Montag, 29. Dezember 2008

Die Republik Österreich 1918/2008



Hannes Leidinger / Verena Moritz
Die Republik Österreich 1918/2008
Überblick - Zwischenbilanz - Neubewertung
Wien 2008 (Paul Zsolnay)
287 S.







Das AutorInnenteam ist mir vor allem durch ihr Schwarzbuch der Habsburger aus dem Jahr 2003 (berechtigtes Anliegen, leider um eine Spur zu viel cum ira et studio) sowie ihre "andere Geschichte des Ersten Weltkriegs", das 2006 erschienene Buch Die Nacht des Kirpitschnikow (glänzend!), ein Begriff. Wenn man allein aus den Anmerkungen auf ihr weiteres Oeuvre schließt, scheinen sie - teils mit anderen zusammen - schneller geschichtswissenschaftliche Bücher zu schreiben und herauszugeben als man sie lesen kann.

Das Buch über die Geschichte der Republik besteht aus zwei Modi, aus der Betrachtung von "Längsschnitten" durch Leidinger und von "Augenblicken" durch Moritz. In essayistischer Form nähern sich beide Ansätze auf breite Literaturkenntnis gestützt der Geschichte. Sie bieten eine in der Zusammenschau interessante Darstellung und in dem v.a. von Leidinger monierten Liberalismusdefizit eine diskutierenswerte Positionierung. Alles qualitätsvoll und in flüssiger Sprache. Durch den laufenden Perspektivenwechsel nehme ich aber an, daß es für Leute ohne tiefere Vorkenntnisse der österreichischen Zeitgeschichte eher schwer sein dürfte, sich zu orientieren - auch wenn gerade das Sinn des Konzepts gewesen sein mag.

Im Titel trennen Leidinger und Moritz die beiden Jahreszahlen durch einen Schrägstrich, der, da sich "keine direkte Linie von 1918 bis 2008 ziehen lässt ... das komplizierte Verhältnis zwischen Bruch und Kontinuität markiert". Zum Februar 1934 und des immer wiederkehrenden Aufbrechens dieser keineswege vernarbten Wunde, heißt es, es "köchelt auf kleiner Flamme ein mittlerweile verdünntes Gemisch aus Interpretationen und (Rest)Ideologien, das einmal diesen und einmal jenen den Magen verstimmt.". Ein treffendes Bild.

In Summe ein interessanter Essay über die Geschichte der Republik. Minuspunkt des Buchs ist, daß die kontroverse Zeit der letzten zwei Jahrzehnte praktisch ausgeblendet bleibt.

P.S.: Und eine stilistische Anmerkung: Man kann die Republik ruhig "Republik" nennen, man muß nicht immer "Alpenrepublik" schreiben. Jetzt habe ich persönlich ein sehr unentspanntes Verhältnis zu Bergen, ich sehe aber den den durchaus gehaltvollen Kontrast der Worte Donaumonarchie und Alpenrepublik. Die Republik braucht aber kein Epitheton rurans, nennen wir sie einfach beim Namen.

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Prokla 152



PROKLA 152
Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft
38.Jg., Nr.3, September 2008
150 S.







Die Sicherheitspolitik bzw., wie es der Prokla-Titel ausdrückt, die Politik mit der inneren (Un)Sicherheit steht im Zentrum dieser Ausgabe.

Interessant war dabei der Artikel Gesicherte Freiheit von Alexander Klose und Hubert Rottleuthner, in denen sie die Konjunkturen der "Bedrohung der Inneren Sicherheit" und die rechtlichen Reaktionen darauf seit den 1950er Jahren in (West-)Deutschland Revue passieren lassen, einer kritischen Bewertung unterziehen und daraus acht abschließende Thesen ableiten, von einem "kumulativen Effekt der Sicherheitsgesetzgebung. Mit dem Verschwinden eines alten Feindes (etwa der RAF) und dem Auftauchen eines neuen Feindes werden die zuvor eingeführten Normen nicht wieder außer Kraft gesetzt. Sie bleiben meist erhalten und verselbständigen sich im Kampf gegen neue Bedrohungen." bis hin zu den kaum vorhandenen Untersuchungen zur Effektivität der Maßnahmen - "Gerade weil es um diffuse Bedrohungen geht, lassen sich Sinn und Zweck der Maßnahmen im Diffusen halten."

Loïc Wacquant argumentiert, daß die explodierenden Gefängnisinsassenzahlen in den USA, nach denen auf 1.000 Straftaten fünf Mal stärker bestraft wird als vor einem Vierteljahrhundert und der Strafvollzug die Arbeitslosenquote der USA in den 1990er Jahren um zwei volle Prozentpunkte nach unten korrigiert habe, nicht auf einen "Gefängnis-industriellen Komplex" zurückzuführen ist, analog zum seit Eisenhower geflügelten Wort des militärisch-industriellen Komplexes in den USA, sondern in Gefolge des sozialpolitischen Paradigmenwechsel der Clinton-Administration von Welfare zu Workfare als Teil eines "neuen Armutsregimes, in der ein restriktives Workfare-System und eine expansive Straflogik zusammenkommen" zu analysieren ist.

Montag, 22. Dezember 2008

Willkommen bei den Sch’tis


Willkommen bei den Sch'tis
(Bienvenue chez les Ch'tis)
Frankreich 2008
Regie: Dany Boon
u.a. mit: Kad Merad, Dany Boon, Zoé Félix, Anne Marivin





Mangels Kenntnissen der französischen Sprache sind mir wohl viele Feinheiten des Sprachwitzes in der deutschen Fassung verborgen geblieben. Auch ohne vorherigen Detailwissens über die offenbar verbreiteten Klischees in Südfrankreich über Nordfrankreich hat der Film als unterhaltsame Komödie aber ziemlich gut funktioniert (bzw. war diesbezüglich ein kultureller Lehrfilm).

Das Ende ist zwar leider schmalzig, doch wird eine Parade an Klischees und deren Durchbrechung sehr witzig präsentiert. Man kann über hochamüsante Szenen wie eine für die Ehefrau auf Besuch buchstäblich aus Klischees konstruierte Dorfwelt doch ordentlich lachen. Nett.

Den Film haben im Frühjahr in Frankreich mehr Leute gesehen als "Titanic", über 20 Millionen. Was sich aus dem kulturellen Kontext erklärt. Im Juli-Heft des Fußballmagazins Der tödliche Pass berichtete Albrecht Sonntag über die (Fußball-)Kultur Nordfrankreichs und deren Stellung innerhalb des Landes und kam dabei auch auf den Film, eine berühmte Episode aus der Welt des Fußballs und deren Konnex zu sprechen:
"Der Film besteht im Grunde aus einem ununterbrochenen Spiel mit den Stereotypen, die über die 'Ch'tis' - eine traditionelle Bezeichnung für die Nordfranzosen, deren Ursprung unklar ist - kolportiert werden. Vom bizarren Dialekt über eher derbe Tischmanieren und seltsame kulinarische Vorlieben bis hin zu einem gewissen Hang, Missverständnisse aller Art im Alkohol aufzulösen, wird jedes Klischee sozusagen gleichzeitig entkräftet und dann doch wieder indirekt bestätigt.
Und genau da setzten auch die berüchtigten 'Boulogne-Boys' aus der Pariser Fankurve an, als sie während der zweiten Halbzeit des Ligapokal-Finales zwischen PSG und dem RC Lens am 29. März das inzwischen bekannteste Spruchband der französischen Fußballgeschichte enthüllten. Die etwas krude Formulierung 'Pädophile, Arbeitslose, Inzüchtler: Willkommen bei den Ch'tis' löste nicht nur zahlreiche lexikalische Anfragen zuschauender Kinder aus - 'Papa, was bedeutet eigentlich pédophile oder consanguin?' - sondern auch eine nationale Welle der Empörung, die damit endete, dass der PSG, der das Spiel mit 2:1 gewann, als Titelverteidiger vom Ligapokal 2009 ausgeschlossen wurde."


Der Fußball ist immer und überall - auch im Film besucht die Hauptfigur (Kad Merad) als Teil des Akkulturationsprozesses ja ein Fußballmatch im Lens-Fanblock.

Freitag, 19. Dezember 2008

Django und Sabata - wie blutige Geier


Django und Sabata - wie blutige Geier / Django - schieß mir das Lied vom Sterben / Django und Sartana - wie blutige Geier / Django - die Gier nach Gold
(C'è Sartana ... vendi la pistola e comprati la bara!)
Italien 1970
Regie: Giuliano Carnimeo
u.a. mit: George Hilton, Charles Southwood



Obwohl George Hilton seine Sache gut macht, war dieser Film langweilig. Der in der Mitte des Films auftretende Co-Held Southwood mit Sonnenschirmchen und im weißen Anzug, während Hilton einen schwarzen Anzug trägt, war nicht witzig, sondern hat einem mäßigen Italowestern den Rest gegeben. Lediglich die Eröffnungssequenz und hie und da ein paar verspielte Bilder und Einfälle (mit der Pistole aus einem Brotlaib heraus schießen...) haben gefallen können, sonst war das nichts.
Kommt wohl nicht von ungefähr in einem Film, der im italienischen Original als "Sartana" gedreht wurde, wobei der Titelheld einen "Django" gegeben hat. In der deutschen Fassung wurde daraus dann ein "Django".

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Datum 12/08



Datum
Dezember 2008
98 S.







Neben einer gedruckten Sightseeing-Tour durch die Hofburg gibt's ein interessantes Portrait von Maria Fekter, laut Wilhelm Molterer selig ja die "Eiserne Lady" der ÖVP. Zumindest ich assoziiere mit dem Begriff ja nur ein Foltergerät und soziale Katastrophe in England. Aber bitte...
Btw: Viel interessanter als der eher unschöne Österreich-Schriftzug am Bauch des auf S.12 bildlich portraitierten tätowierten Patrioten ist der berüchtigte Schläger-Kampfruf "Eisern Wien" am Hals.

In der Rubrik "Was ich lese... und was nicht" ist diesmal Andi Schieder gefragt, der meint, "wer viele Bücher besitzt, kennt auch das Problem: Wie aufstellen und ordnen? Nach vielen unterschiedlichen Versuchen habe ich mich jetzt für Fachgebiete und innerhalb dieser für eine alphabetische Reihung entschieden. Ob das das letzte System ist, das ich teste, bezweifle ich selbst stark". Also ich selbst verfolge dieses Ordnungsprinzip in meiner Bibliothek seit Jahren und lebe hervorragend damit. Kann es nur empfehlen! Sehr sympathisch übrigens seine fundamerntale Ablehnung von E-Books und Hörbüchern, da damit die "Faszination Buch zerstört" werde. Meine Rede!

Nettes Heft. Für die nächste Ausgabe erwarte ich mir aber eine gebührend große Entschuldigung dafür, daß ein Text, der durch das Internetz als von Kurt Tucholsky und aus dem Jahr 1930 seiend gegeistert ist, aber von einem aus dem rechten Eck kommenden und lebenden Autor stammt (so Der Standard und Die Presse am 31.10.2008), abgedruckt wurde. Wenn auch unbeabsichtigt offenbart wurde, welche honorigen Herrschaften selbst darauf reingefallen sind.

Montag, 15. Dezember 2008

Arbeit und Wirtschaft, 11/2008



Arbeit & Wirtschaft
Herausgegeben von AK und ÖGB
Nr. 11/2008
46 S.






Wie es sich derzeit gehört gibt's auch hier viel zur Finanzkrise. U.a. bilanziert David Mum von der GPA "Der Neoliberalismus ist am Ende. Doch auch bei seinem Scheitern ist er ein verteilungspolitisches Fiasko. Nach den privaten Bereicherungen der vergangenen Jahre, kommen nun alle für die Kosten auf." Ob ersterer Befund zutrifft, wage ich noch nicht festzustellen. Letzteres stimmt sicher. Wie Mum schreibt, werden ja nicht nur für den Wirtschaftskreislauf überlebenswichtige Banken vom Staat gerettet, sondern auch "Privatbanken, deren Kunden nur extrem vermögende Personen sind". Daß der Staat für seine teuren Rettungsaktionen im Gegenzug auch die Zügel der Finanzwelt kürzer zieht und diese im Interesse der Allgemeinheit reguliert, ist wohl noch nicht ausgemacht. Die nächste werbekampagnisierte Gehirnwäsche, daß man doch keine staatliche Pension mehr bekomme und daher sein Geld in gaaanz sichere, dubiose Fonds stecken solle, liegt derzeit nur in der Schublade und wird sicher für bessere Zeiten bereitgehalten. Wie flächendeckend die Gehirnwäsche funktioniert hat, hat andernorts gerade Leo anhand der deutschen Finanzpolitik beleuchtet.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Blätter, November 2008



Blätter für deutsche und internationale Politik
53.Jg., Heft 11/2008
128 S.







In der Novemberausgabe gibt es informative Berichte über die politische Lage in Südamerika und Südafrika, dazu Artikel über die Krise der Linken in Frankreich. Die Hochkaräter Immanuel Wallerstein, Jörg Huffschmid, Heiner Flassbeck und James K. Galbraith (der Sohn) analysieren die Finanzkrise. U.v.m.
Ein Heft ohne einzelnen herausragenden Text, aber stattdessen sehr viel Interessantes gut geschrieben auf hohem Niveau dargeboten. Danke, perfekt. In kürzester Zeit ward das Heft verschlungen.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Django kennt kein Erbarmen


Django kennt kein Erbarmen
(Pochi dollari per Django)
Italien/Spanien 1966
Regie: León Klimovsky, Enzo Girolami
u.a. mit: Antonio De Teffè (Anthony Steffen), Gloria Osuña, Frank Wolff





Einmal wieder ein billig gemachter Western um einen "Django" genannten Kopfgeldjäger, der die Bösen besiegt. Trotz der Kombination der Erfolgstitelbestandteile dollari (Für eine Handvoll..., Für ein paar ... mehr) und Django und Held Anthony Steffen als optischem Verschnitt von Clint Eastwood und Franco Nero in den diesbezüglichen Filmen, reicht es daran aber bei weitem nicht heran. Die - grüne - Landschaft Montana, die klassische US-Western-Gegend, ist nicht mein Fall. Aber okay, sie hat sich aus der erzählten Geschichte logisch ergeben, dem Konflikt Viehzüchter gegen Farmer um das Land (dem zweiten großen Land-Konflikt des amerikanischen Westens nach dem Völkermord an der Urbevölkerung). Ist die Grundkonstellation zwar interessant, ist der Film aber leider langweilig.

Freitag, 5. Dezember 2008

Bandidos



Bandidos
Italien/Spanien 1967
Regie: Massimo Dallamano
u.a. mit: Enrico Maria Salerno, Terry Jenkins, Venantino Venantini







Ein sehr gut gemachter Western. Allein die nicht geglückte deutsche Synchronisation beeinträchtigt das Erlebnis. Aber Enrico Maria Salerno spielt seinen Part des heruntergekommenen, weil verkrüppelten Schießkünstlers ziemlich großartig. Inhaltlich gibt's Gut/Böse, Vater/Sohn-Problematik und das Rachemotiv, also italowesterntypische Elemente. Außergewöhnlich gut macht den Film seine schöne Inszenierung.

Literatur:
Ulrich P. Bruckner, Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute. Stark erweit.u.aktual.Neuausg., Berlin 2006, S.211-213

Mittwoch, 3. Dezember 2008

spw 167


spw
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft
Heft 167 (7/2008)
Oktober 2008
58 S.






Der Schwerpunkt des Heft liegt auf der Europapolitik, Perspektiven einer sozialdemokratischen Europapolitik: "Soll man auf institutionelle Reformen setzen und hoffen, darüber politische Mehrheiten für ein Soziales Europa zu erlangen oder soll man versuchen, ungeachtet der europäischen Institutionen national erreichte Regulierungen beizubehalten? Das verbindende Dilemma ist allerdings, dass die politischen Machtverhältnisse derzeit keinem der Ansätze zulassen." Die SPW-Autoren Burmeister, Hindersmann und Stache schlagen den "klassischen" strategischen Kompromiss ("Man macht das eine, ohne das andere zu lassen.") vor und raten dazu, die kommende EU-Parlamentswahl mit europapolitischen Konzepten statt als nationale (Vor-)Wahl zu bestreiten. Ersteres läßt unbefriedigt zurück; letzteres läßt unberücksichtigt, daß die Trennung hier einfacher klingt als sie ist. Und heruntergebrochen werden Wahlkämpfe ja meist kürzestfristorientiert, nämlich um sie zu gewinnen, geführt.
Interessant weiters Thilo Scholles Artikel über die SPD-Linke in der Weimarer Republik und die Zeitschrift "Der Klassenkampf", in der auch der Austromarxist Max Adler publizierte.

Montag, 1. Dezember 2008

Requiescant


Requiescant
(Mögen sie in Frieden ruh'n)
Italien/BRD 1967
Regie: Carlo Lizzani
u.a. mit: Lou Castel, Mark Damon, Pier Paolo Pasolini





"In dem an Bizarrerien wahrlich nicht armen Genre des Italowestern ist Requiescant eines der bizarrsten Werke." meinte Georg Seeßlen. Tatsächlich ist dieser Film ziemlich außergewöhnlich, indem er klassische Motive dieses Stils aufnimmt, aber damit etwas eigenes schafft.
Stark gleich der Bruch zu Beginn, vom tragischen Massaker zur mit fröhlicher Musik unterlegten Auflesen des Kindes durch seine neuen Eltern. Irritierend bis zum Schluß der religiöse Mantel, der sich schließlich aber immer stärker in Richtung Auflehnung gegen die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, bis hin zum Revolutionstribunal, dreht. Etwas seltsam die Stilisierung des Bösewichts als blasse, draculahafte Gestalt - wohl als Betonung seines Rassismus gegenüber der mexikanischen Unterdrückten.
Pier Paolo Pasolini als schweigsamer revolutionsführender Priester, der Gewalt nur widerwillig in Kauf nimmt, im Gegensatz zur Zentralfigur des Films, Lou Castel als von religiösen Elternhaus kommender, immer mehr in den Rausch der Gewalt Gezogener.
Nur oberflächlich ein einfacher, jedenfalls aber faszinierender Film. Ich fürchte aber, nur eine stark gekürzte Version gesehen zu haben.

Literatur:
Georg Seeßlen, Requiescant. Mögen sie in Frieden ruh'n (1967) von Carlo Lizzani. in: Studienkreis Film (Hg.), Um sie weht der Hauch des Todes. Der Italowestern - die Geschichte eines Genres. 2., erweit.Aufl., Bochum 1999, S.40-47
Ulrich P. Bruckner, Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute. Stark erweit.u.aktual.Neuausg., Berlin 2006, S.126-129

Freitag, 28. November 2008

Otto Bauer und der Austromarxismus



Walter Baier / Lisbeth N. Trallori / Derek Weber (Hg.)
Otto Bauer und der Austromarxismus
"Integraler Sozialismus" und die heutige Linke
(Rosa-Luxemburg-Stiftung Schriften 16)
Berlin 2008 (Karl Dietz Verlag)
301 S.






Das Buch bietet eine Mischung aus historischen Analysen und Beiträgen, die Perspektiven linker Politik aufzeigen wollen. Wobei es das Anliegen der HerausgeberInnen ist, "die Abkanzelung des Austromarxismus als Tarnung opportunistischer Politik mittels radikaler Rheotrik durch eine differenziertere Sicht zu ersetzen. Seine Limits werden mit den Grenzen der fordistischen ArbeiterInnenbewegung des vorigen Jahrhunderts in Beziehung gesetzt. Es ist diese Perspektive, aus der sich das Verhältnis von Reform und Revolution für heutige Verhältnisse neu bestimmen ließe."
Bemerkenswert für ein Werk, das aus dem Umfeld der kommunistischen Tradition kommt, die ersteres stets verfochten hat. In den Beiträgen, die das angesprochene Ziel leisten sollen, wurde dabei hauptsächlich auf bekannte linkssozialdemokratische Ansätze und AutorInnen zurückgegriffen. So Fritz/Derek Weber, der schreibt: "Bauer war - auch wenn er in seiner politischen Taktik und Strategie letzten Endes zu den sozialdemokratischen Reformpolitikern gezählt werden muss - ein Wortführer des westlichen Marxismus, der die Errungenschaften der bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts bewahren und in der sozialistischen Revolution gleichsam aufheben, nicht durch sie abschaffen wollte. Gleichzeitig war er sich darüber im Klaren, dass die ökonomischen Verhältnisse in einem entwickelten Land viel komplizierter waren als im rückständigen Russland."
Hierbei war es interessant, Giacomo Marramaos Interpretation auf Deutsch (ich hatte ihn bisher mangels Italienischkenntnissen nicht berücksichtigt) zu lesen - auch wenn sein Text, wie am Bezug zur Sekundärliteratur erkennbar, aus den 1970er Jahren stammt.

Die große Stärke des Buchs ist sein Augenmerk auf Aspekte, die in der breiten Austromarxismus-Rezeption der 1960er bis 1980er Jahre unbeleuchtet geblieben sind, wie vor allem die Frauen- und Genderfrage. Ich habe einiges von und über AustromarxistInnen gelesen, aber die v.a. Artikel von Karin Schneider über "frauen- und genderpolitischen Positionen im Austromarxismus" und von Eveline List über Margarethe Hilferding brachten mir einiges an Neuem und bieten einen wesentlichen Beitrag zur historischen Analyse und Bewertung der österreichische Sozialdemokratie bis 1934.
Der weiters im Band enthaltene Überblick über Arbeiten der jüngeren Vergangenheit (etwa Tommaso La Rocca über Religion, Manfred Bauer über Friedrich Adler) machen das Buch zu einem aktuellen Referenzwerk.

Michael Krätke bemüht sich seit längerem verdienstvollerweise um die Edition eines unveröffentlichten Manuskripts Otto Bauers zur Weltwirtschaftskrise. Seit Jahren ist dessen Erscheinen bereits angekündigt, seit Jahren wird der Termin immer wieder nach hinten verschoben, seit Jahren warte ich darauf. In seinem Beitrag gibt Krätke die Edition aber als bereits erschienen an, obwohl dies nicht der Fall ist - dies ist sehr ärgerlich! Umso mehr, da Krätkes Text, der der Einleitung der Edition zu entsprechen scheint, das Interesse noch größer macht.

Manche Beiträge im Band sind mir zu wenig der historischen Analyse verpflichtet - was mein hauptsächliches Interesse ist (die Vergangenheit zu kennen, die per se interessiert), weniger herausgegriffene Stellen zur gegenwärtigen politischen Verwertung (Baiers Gedanken zu Bauers Konzept des "integralen Sozialismus", das einer spezifischen historischen Situation entstammt, überzeugen mich nicht).
Manches ist sehr seltsam, wie der zwischen aus vergangenen Jahrzehnten bekannter parteikommunistischer Geschichtsinterpretation und obskur changierende Artikel zur "nationalen Frage" und ein Text zur KPÖ-Geschichte, wo man sich eher fragt, was der hier soll.

Der Band ist das Buch zu einer im Dezember 2006 von der KPÖ und deren europäischen Plattform in Wien abgehaltenen Konferenz. Laut den Tagungsunterlagen für Sommer 2007 geplant gewesen, ist er heuer, im Jahr des 70. Todestags von Otto Bauer, erschienen. Die Tagung hatte ich an einem der drei Tage (der hauptsächlich der Historie gewidmete Samstag) ob des Settings mit gemischten Gefühlen besucht. Das Buch überzeugt mehr.

Mittwoch, 26. November 2008

Arbeit und Wirtschaft, 10/2008



Arbeit & Wirtschaft
Herausgegeben von AK und ÖGB
Nr. 10/2008
62 S.






Das Heft dreht sich vor allem um Betriebsräte, ihre Arbeit, organisatorische Veränderung von Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit, den Europabetriebsrat für länderübergeifende Unternehmen. Interessant die internationale Perspektive durch Berichte über Dänemark (mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad), Ecuador (wo die Gewerkschaften zerschlagen und praktisch inexistent sind) bis hin zu den USA, wo 80 Prozent der Unternehmen "Union Busters" engagieren, die Gewerkschaften verhindern sollen oder etwa die Supermarktkette Wal Mart ihren Angestellten verboten hat, für Barack Obama zu stimmen.

Montag, 24. November 2008

Graz

23.11.2008

Den Uhrturm einrüsten und eine Art Riesenrad aufstellen. So kann Graz den Hauptstädter nicht überzeugen, da bleibt nur das Stadion als Destination.


Freitag, 21. November 2008

Der lange Tag der Rache


Der lange Tag der Rache
(I lunghi giorni della vendetta)
Italien/Spanien 1966
Regie: Florestano Vancini
u.a. mit: Giuliano Gemma, Conrado San Martín, Nieves Navarro





Ein ästhetisch sehr schöner Italowestern, der nicht nur optisch ein Genuß ist, sondern auch eine interessante Handlung um einen zu Unrecht im Gefängnis Sitzenden bietet, der ausbricht, um die Intrige gegen ihn aufzudecken.
Und wieder einmal werde ich erst nachher durch Ulrich Bruckners Italowestern-Anthologie darauf hingewiesen, daß der Film die Transferierung eines literarischen Stoffes in den Italowestern ist, nämlich von Der Graf von Monte Christo. Ertappt: meine Kenntnisse der Literaturgeschichte sind genauso gegen Null gehend wie die des aktuellen Literaturgeschehens.

Literatur:
Ulrich P. Bruckner, Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute. Stark erweit.u.aktual.Neuausg., Berlin 2006, S.123-125

Mittwoch, 19. November 2008

Transit 35



Transit 35
Europäische Revue
Sommer 2008
196 S.







Die Transit-Ausgabe widmet sich dem Umgang mit der Vergangenheit. Interessant dabei v.a. Heidemarie Uhls Schuldgedächtnis und Erinnerungsbegehren. Thesen zur europäischen Erinnerungskultur und Aleksander Smolars Artikel über Geschichtspolitik in Polen. Unglaublich ergreifend der Augenzeugenbericht über die Ermordung jüdischer ZivilistInnen durch Deutsche in Mariupol 1941 von Samuil Aronovich Belous, aus dem von Timothy Snyder vorgestellten Unbekannten Schwarzbuch, einer diesbezüglichen Sammlung.
Einen guten Kontrast zur im westlichen Diskurs dominanten Wahrnehmung von "1968" bieten weiters Texte über die Tschechoslowakei, Polen und die sowjetische westliche Ukraine 1968.

Montag, 17. November 2008

Der Tod ritt dienstags



Der Tod ritt dienstags
(I giorni dell'ira)
Italien/BRD 1967
Regie: Tonino Valerii
u.a. mit: Giuliano Gemma, Lee Van Cleef, Walter Rilla






Großartige Schauplätze, der immer großartig anzuschauende Lee Van Cleef im Bild (der kerzengerade aufrecht steht, auch wenn er nach Folterung blutüberströmt ist), großartig pathetische Musik, großartige Szenen wie ein an ein Ritterturnier gemahnendes Duell zu Pferd... Ein schöner Film. Und spannend durch den sich langsam aufbauenden zweifachen Vater-Sohn-Konflikt. Gemma im Dilemma zwischen zwei Vaterfiguren: Wer hat recht? Kann der, der ihn aus der Unterdrückung gerettet hat, wirklich ein Böser sein?
Es gibt nur wenige Italowestern, in denen die Charaktere derartige Entwicklungen machen, v.a. Gemma glänzt hier. Dazu ein Schuß Humor (nicht zuviel!), ordentlich Brutalität, die verkommene Kleinstadt-Oligarchie.

Literatur:
Ulrich P. Bruckner, Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute. Stark erweit.u.aktual.Neuausg., Berlin 2006, S.155-158

Freitag, 14. November 2008

Datum 11/08



Datum
November 2008
98 S.







Eine interessante Reportage bietet das Heft über die Schließung des Glanzstoffwerks in St. Pölten und die schwierige Situation, daß damit einerseits hunderte Menschen ihre Arbeit verlieren, aber andererseits der typische Gestank der Stadt ein Ende haben wird.

Gut auch Florian Gassers Artikel über das berühmte (zumindest für den Historiker, der sich mit der Zwischenkriegszeit beschäftigt hat) Wörgler Schwundgeld-Experiment 1932/33 und seinen Initiator, den sozialdemokratischen Bürgermeister Michael Unterguggenberger. Auch wenn es "nur" von historischem Interesse ist und seine Aussagekraft beschränkt ist, kann ihm doch gar nicht zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet werden. Leider gibt der Autor keine Quelle für seine Recherche an, daher vermute ich einfach mal, daß er das voriges Jahr erschienene Buch Schwundgeld von Wolfgang Broer gelesen haben wird. Sollte man der Ehrlichkeit halber anführen.

Auch sonst sehr schöne Geschichten. Ein rundes, gelungenes Heft. Nur bei dem Leichenbestatter hat's mir schon sehr gegraust - ich habe Six Feet Under im Fernsehen ja sehr gemocht, aber eher nicht wegen Details, was die da genau mit den Toten machen.

Mittwoch, 12. November 2008

ÖZP 2008/2



Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft
2008/2
111 S.





Das Schöne an Zeitschriftenabos ist ja, daß man(n) Hefte mit Schwerpunktthemen bekommt, mit deren Themenstellungen man(n) sich sonst eher nicht beschäftigt hätte. So das (mittlerweile auch schon gut abgelegene) Heft No.2 der ÖZP 2008, Feministische Perspektiven zu Anti/Terror/Kriegen. Es gibt Interessantes zu Soldatinnen in den USA, Selbstmordattentäterinnen, Frauen im failed state Somalia, Kritik an feministischen Rechtfertigungsmustern für die US-Kriegsführung.

Am meisten im Kopf herumgespukt hat Simona Sharonis Artikel über militarisierte Männlichkeit:
"All too often, the de-humanization of the 'other' has been not only central to militarization but also a legitimate practice that is rewarded by one's national collectivity. [...] Given the context of militarized patriotism that has been a centerpiece of U.S. culture since 9/11, soldiers who resist militarization have to take some great personal risks as they begin to de-militarize their identities. [...] To de-militarize masculinities and to de-legitimize the military system that they uphold and the militarized foreign policy they serve, we must distinguish between the military as a system, militarization as a process, and soldiers as human beings. A powerful and effective way of doing that is by reaching out to soldiers and listening to their stories. Because war cannot be fought without militarized masculinities, soldiers' war stories, which help de-mystify war, also work in turn to weaken, if not undo, the tightly constructed knot between masculinities and violence."
Sie zitiert dazu eine Aussage des US-Soldaten Camilo Mejia, der nach achtmonatigem Einsatz im Irak nicht zum zweiten Mal dorthin geschickt werden wollte, woraufhin er für neun Monate ins Gefängnis gesteckt wurde: "To those who have called me a coward I say that they are wrong, and that without knowing it, they are also right. They are wrong when they think that I left the war for fear of being killed. I admit that fear was there, but there was also the fear of killing innocent people, the fear of putting myself in a position where to survive means to kill, there was the fear of losing my soul in the process of saving my body, the fear of losing myself to my daughter, to the people who love me, to the man I used to be, the man I wanted to be. I was afraid of waking up one morning to realize my humanity had abandoned me."

Montag, 10. November 2008

Gomorra


Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra
(Gomorra)
Italien 2008
Regie: Matteo Garrone
u.a. mit: Salvatore Abruzzese, Salvatore Ruocco, Gianfelice Imparato, Maria Nazionale




Der Film zum gleichnamigen Reportagebuch über die neapolitanische Camorra von Roberto Saviano, der unlängst nicht nur zum Film einige mediale Aufmerksamkeit erhalten hat, sondern auch deswegen, daß er wegen Drohungen gegen Leib und Leben Polizeischutz benötigt und aus Italien auswandern will.

Der deutsche Subtitel des Films Reise in das Reich der Camorra trifft den Inhalt. Geschildert wird der Alltag einfacher Menschen in dieser Welt. Jugendliche Nachwuchsmafiosi, die Tony Montana, die Hauptfigur des US-Films Scarface, als Vorbild haben und sich schlußendlich an der realen Welt übernehmen. Das Leben und Sterben in einem heruntergekommenen, klaustrophobischen, dabei aber unglaublich authentischen Wohnsilo. Ziemlich bedrückend.

Gefehlt hat mir die politische Dimension, diese findet sich wahrscheinlich im von mir nicht gelesenen Buch (das ewige Dilemma: man kann nicht alles lesen). Eine solche Welt ist natürlich ohne diese Dimension nicht konstruierbar. Die Einbindung der mafiösen Welt in die "cleanen" Wirtschaftsbeziehungen wird dafür sehr anschaulich illustriert, anhand der Beispiele von sweatshopartigen Schneidereien für die Modewelt und der illegalen (Gift-)Müllentsorgung im Raum Neapel (in den letzten Monaten auch medial sehr präsent).

Als Aufklärungsfilm funktioniert Gomorra daher nur bedingt (diese Absicht wird nicht zuletzt im Abspann überdeutlich) - als Spielfilm funktioniert er mit seinen Handlungssträngen hingegen sehr gut. Gut erzählt, gut gespielt (der schwer verunsicherte, schweigsame Don Ciro!). Und mit der (filmisch) schönen Schlußszene, die über ihre Aussage zum Denken anregt.

Freitag, 7. November 2008

Das Lächeln der Henker



Anton Holzer
Das Lächeln der Henker
Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918
Darmstadt 2008 (Primus Verlag)
208 S.






Im Spectrum der Presse ist an letztem Wochenende ein Artikel des ehemaligen Direktors des Heeresgeschichtlichen Museums, Manfried Rauchensteiner, über das Ende des Ersten Weltkriegs aus österreichisch(-ungarisch)er Sicht erschienen (Die Villa des Senators Giusti, Die Presse, 31.10.2008, Spectrum, S.If.) wie es sie seit Jahrzehnten immer wieder gibt: die Tragik der Soldaten und der kriegsverlierenden Armee an der italienischen Front. Und schlußendlich der Kaiser, der "vergaß, jenen zu danken, die in seinem Namen und letztlich auch für ihn einen Weltkrieg durchlitten hatten. Auch die Republik Deutschösterreich fand kein Wort des öffentlichen Danks". Die Soldaten als die Opfer des Krieges.

In Rauchensteiners Opus magnum Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, dessen 700 Seiten ich vor eineinhalb Jahrzehnten noch als Schüler geradezu verschlungen habe, kommen Verbrechen österreichischer Soldaten praktisch nicht vor. Ich habe erst wieder nachschlagen müssen, um festzustellen, daß sogar ein Kapitel Im Schatten des Galgens heißt, wo ein Massaker an serbischer Zivilbevölkerung gleich im August 1914 erwähnt wird und Rauchensteiner schreibt, daß sich in Galizien "der als Abschreckung gedachte Terror" der k.u.k. Armee, also massenweise öffentliche Hinrichtungen von, hier hauptsächlich ukrainischen und jüdischen, Einheimischen als "Spione" und "Verräter", "auch gegen die eigene Bevölkerung" richtete. Im Bildteil findet sich auch ein (1) Foto einer solchen Massenhinrichtung (Bildtext: "Auf dem galizischen wie auf dem Balkankriegsschauplatz ging die Furcht vor Spionen um. Verdächtige, aber auch Unschuldige wurden zu Tausenden hingerichtet, wie hier irgendwo in Serbien.")

Die Verbrechen werden in diesem Standardwerk erwähnt, kurz und nur kursorisch im Vergleich zur detaillierten Schilderung des Kriegsverlaufs aus österreichisch(-ungarisch)er Sicht, aber eben doch. Und dennoch hat Holzer Recht, wenn er in seinem Buch über den unbekannten Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918 schreibt:
"Eine der zählebigsten Klischees über den Ersten Weltkrieg lautet: Es war ein Krieg, der vorwiegend an der Front geführt wurde und es handelte sich - trotz der gewaltigen Materialschlachten - vor allem um einen Krieg von Soldaten gegen Soldaten." Durch die eindrucksvollen Bilddokumente, die Holzer präsentiert und nachvollziehbar kommentiert, kommt man nicht umhin, seinen Schluß zu teilen: "Tatsächlich aber [...] richtete sich dieser Krieg mit ebenso großer Brutalität - wenn auch mit anderen Methoden und Waffen - mindestens ebenso gegen die Zivilbevölkerung. Diese systematische Ausweitung der Kampfzone ist bisher ein zu wenig beachtetes Kennzeichen des Ersten Weltkrieges."

Holzer nimmt hier ein Kapitel seines Vorgängerbuchs Die andere Front auf, in dem er die Wirkung und den Einsatz der Photographie zur Propaganda im Ersten Weltkrieg analysierte. Er präsentiert und kommentiert Bilder von zumeist außergerichtlichen Hinrichtungen von ZivilistInnen durch österreichisch-ungarische Soldaten, stellt sie in den historischen Kontext und zieht schließlich Schlußfolgerungen zur "Pornographie der Gewalt", von der Hinrichtung der Lincoln-MörderInnen 1865 bis zu Abu Ghraib 2004. Negativ sind nur ein manchmal etwas zu moralisierender Ton und die oftmaligen Wiederholungen von bestimmten Stellen ("als 1917 das Wiener Parlament wieder zusammentrat...").

Das Leiden der einfachen Soldaten ist mit Sicherheit unvorstellbar furchtbar, kritische Geschichtswissenschaft rückte es in den Vordergrund, dazu die wirtschaftliche Not, den Hunger der Millionen im ganzen Land, der den Untergang von Monarchie und Habsburgerreich zur Frage der Zeit machte. Holzer legt seinen Finger in eine klaffende Wunde, die bisher einfach nicht genügend berücksichtigt wurde: Zum Nationalismus, der die Grundfesten des Reichs nahe an den Einsturz gebracht hatte, kamen mit dem Weltkrieg nicht nur die tiefen sozialen Spannungen und die militärische Niederlage, sondern auch der Terror des Militärs - nicht "nur" in den militarisierten Industriebetrieben und in den besetzten Gebieten, sondern eben auch im eigenen Territorium. Die Monarchie wurde nicht mit dem Kondukt Kaiser Franz Josephs 1916 oder mit dem Scheitern der letzten Offensive in Italien 1918 zu Grabe getragen (und auch nicht mit dem Jännerstreik 1918), sie starb zu tausenden an den Galgen der k.u.k. Armee. Sie starb als gehenkter ruthenischer Pope und als erschossene serbische Frau.

Mittwoch, 5. November 2008

Wörthersee

Die Klagenfurter Wörtherseeküste in der Dämmerung gestern Abend (vor dem Rapid-Spiel). Wenn Kärnten erträglich ist: Es ist finster und ruhig, die Berge und die Menschen sind nicht zu sehen.

Montag, 3. November 2008

Karl-Marx-Hof - Versailles der Arbeiter


Gerald und Genoveva Kriechbaum (Hg.)
Karl-Marx-Hof - Versailles der Arbeiter
Wien und seine Höfe
Fotografiert von Gerald Zugmann
Wien 2007 (Holzhausen)
152 S.





Das Buch ist hauptsächlich ein Architekturbildband über den Döblinger Karl-Marx-Hof, kontextualisiert durch historische Artikel über die Gemeindebauten des Roten Wien, Biographisches zum Architekten, Interviews mit jahrzehntelangen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie, für den Vergleich, kurzen Abrissen über andere typische Gemeindebauten (Teil Wien und seine Höfe).

Die Bildstrecken des Architekturphotographen Zugmann sind tatsächlich ziemlich eindrucksvoll, auch wenn man den Bau kennt. Der Beitrag von Gert Kähler über die Bautätigkeit der Gemeinde Wien in der Zwischenkriegszeit bietet dazu eine gute Zusammenfassung der historischen Hintergründe des kommunalen Wohnbauprogramms. Nicht ganz sattelfest dürfte er nur in ballestrischen Dingen sein, da er schreibt, daß "alle zwei Wochen 50.000 Fußballfans von der Stadtbahn ins Hohe-Warte-Stadion zur 'Wunderelf' der Vienna" durch die großen Torbögen gezogen wären. Das Stadion war und ist bis heute dasjenige der Vienna, Wunderteam war aber die Nationalmannschaft, die dort in den 1920er und 30ern spielte. Sehr interessant ist die von Genoveva Kriechbaum vorgestellte, sehr österreichische Biographie des Architekten des Karl-Marx-Hofs, Karl Ehn, städtischer Beamter unter Monarchie, Rotem Wien, Austrofaschismus, Nazi-Zeit und Zweiter Republik. Leider fehlen bei allen AutorInnen jegliche Anmerkungen, Literaturhinweise oder sonstige Quellenangaben, was den Wert ihrer Texte schmälert und das Buch über den Status des schönen Bildbands hinausgehoben hätte.

In fünf Interviews erfahren wir zum Abschluß des Buches über das vergangene Gemeinschaftsleben, für das der Bau konzipiert war, und die heutigen Probleme des Lebens im Gemeindebau.

Freitag, 31. Oktober 2008

Blätter, Oktober 2008



Blätter für deutsche und internationale Politik
53.Jg., Heft 10/2008
128 S.






Die Oktober-Blätter-Ausgabe bringt u.a. eine Analyse der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Samantha Power, die im Vorwahlkampf im Obama-Team war, über die Frage der außenpolitischen Kompetenz der Demokratischen Partei im Präsidentschaftswahlkampf der USA. Sie stellt die Frage der Außenpolitik, in den letzten Jahrzehnten republikanisches As und demokratisches thematisches Problem, in historischen Kontext, analysiert die aktuelle Situation im Wahlkampf, bringt hierzu Umfragedaten, diskutiert die Literatur zum Thema. Sehr spannend. Zental ist das problemanalytische Zitat Bill Clintons aus dem Jahr 2002, daß strong and wrong eher ankommt als smart and right ("Wenn die Leute sich unsicher fühlen, haben sie lieber jemanden, der stark ist und irrt als einen der Recht hat, aber schwach ist.").

Daneben gibt es auch interessante Artikel über den georgisch-russischen Krieg oder die politische Situation in Bolivien und Thailand. Ich mag die hochqualitativen Hintergrundberichte dieser Zeitschrift, da sie die Lektüre der Außenpolitikseiten der Tageszeitungen viel aufschlußreicher machen.

Mittwoch, 29. Oktober 2008

Ried im Innkreis

28.10.2008

Schon x Mal in Ried gewesen, aber außerhalb des Stadions blieb die Stadt terra incognita. Diese brennende Bildungslücke wurde gestern mit einem kleinen Stadtrundgang vor dem Rapid-Match geschlossen. Fazit: Die Altstadt ist sehr kleinstadttypisch. Der Hauptplatz schaut dabei nett aus, aber in Zukunft werde ich wieder nur mehr das Stadion besuchen.

Blick auf den Kirchturm


Hauptplatz, Blick auf das Rathaus mit Turm


rechts das Schärdingertor, altes Stadttor


Altes Braugasthaus

Montag, 27. Oktober 2008

Eine Pistole für Ringo


Eine Pistole für Ringo
(Una pistola per Ringo)
Italien/Spanien 1964
Regie: Duccio Tessari
u.a. mit: Giuliano Gemma, Fernando Sancho





Die Kostüme sind sehr US-Westernlike, also sehr sauber (Highlight: die schwarzglänzend polierten Schuhe Ringos in seiner ersten Szene - etwas untypisch und unauthentisch für einen im Staub stehenden Westernhelden.

Aber das war's: Mehr an Kritik fällt mir nicht ein. Giuliano Gemma in einer der wenigen Rollen, in der er mir gefällt. Er rettet die als Geisel genommene Gutsbesitzerfamilie vor den Banditen (die täglich zwei Geiseln erschießen, aber eh "nur" die LandarbeiterInnen und DienstbotInnen, da wird kein großes Aufheben gemacht...) in stimmungsvoller Kulisse. Und das ganze spielt sich zu Weihnachten ab (wiewohl unter sengender Sonne) - mit dem Höhepunkt als der Bösewicht zum Schluß tödlich getroffen niederfallend den Baum umstößt. Eine sehr kurzweile Westernunterhaltung at its best.

Wie Ulrich Bruckner lehrt, war der Film der Startschuß für die Italowesternkarrieren von Gemma (als idealtypischer braver schöner Guter) sowie Fernando Sancho, der noch in unzähligen Filmen den mexikanischen Banditen darstellte.

P.S.: Im Vorspann fingiert Antonio Negri als Produktionsleiter. Ist das der Negri?

Literatur:
Ulrich P. Bruckner, Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute. Stark erweit.u.aktual.Neuausg., Berlin 2006, S.57-59

Samstag, 25. Oktober 2008

Europäische Rundschau 2008/3

Europäische Rundschau
36. Jg., Nr. 3/2008
136 S.



ÖVP-Spitzenkandidat Wilhelm Molterer darf sich prominent präsentieren (die folgende Wahl hat er trotzdem verloren, ätsch). Der Deutsche Walter Schilling darf wieder verrückte Verschwörungstheorien spinnen: Das Parteiprogramm der SPD von 2007 beinhalte die Absicht "einige fundamentale Bestimmungen des Grundgesetzes mißachten" zu wollen, da sich darin das Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus befindet (padautz!). Aber Schlling beruhigt, "das Kalkül der SPD-Führung, mit der Benennung des derzeitigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat die wahren Koalitionsabsichten zu verdecken, wird nicht aufgehen." Was für ein Szenario! Den Rechten zum Kandidaten machen, um mit der Linkspartei eine Koalition einzugehen und den Kapitalismus zu stürzen. Aber: "Niemand sollte sich damit beruhigen, daß die von einer Regierungskoalition der extremen Linken konkret angestrebten Maßnahmen des Systemwechsels zum Sozialismus letztlich ein Fall für das Widerstandsrecht gemäß Artikel 20 des Grundgesetzes wären." Diese Drogen möchte ich nicht nehmen.

Zur SPÖ schreibt Peter Michael Lingens einen wie üblich verqueren Artikel (der späte Nenning ist fast erreicht), Anton Pelinka einen diskussionswürdigen Beitrag und Trautl Brandstaller eine streitbaren Text anläßlich des gerade aktuellen Buchs von Norbert Leser (beutel) über die SPÖ. Leider verliert der Artikel durch einige historische Faktenfehler (da bin ich i-tüpferl-fixiert...) - ein (besseres?) Lektorat hätte abhelfen können. Wie hat Anton Pelinka bei der Präsentation von Lesers Buch so schön gesagt: Es ist mehr ein Buch über Leser als eines über die SPÖ.

Interessant sind die Skizzen aus dem heutigen Serbien von Vedran Džihić.

Freitag, 24. Oktober 2008

Irre



Werbeplakat in den Straßen Berlins, aufgenommen von meiner Schwester vorige Woche - bei dem Fotocasting mit Model Christoph Grissemann als "Irrem" wär' ich dabei gern gewesen ;-)

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Kugeln tragen keine Unterschrift



Kugeln tragen keine Unterschrift
(Due volte Giuda / 2x Judas)
Italien/Spanien 1969
Regie: Fernando Cicero
u.a. mit: Klaus Kinski, Antonio Sabàto, Cristina Galbo, Pepe Calvo





Ein intelligentes Drama zweier Brüder im Italowesterngewand. Einer der Brüder hat sein Gedächtnis verloren und taumelt zu Beginn durch die Handlung, ohne Recht zu wissen was warum geschieht. Und den ZuschauerInnen geht es genauso. Langsam, schrittweise erkennt der Held - und mit ihm das Publikum - um was es geht. Und das ganze in wunderschönen Bildkompositionen. Auch wenn's zu Beginn verwirrend ist: Ein ziemlich guter Film!

Montag, 20. Oktober 2008

Florenz

18.-19.10.2008

Der Besuch in Florenz war, wie es sich gehört, eine Verbindung aus Stadtbesichtigung und Matchbesuch. Ich kann nur sagen: sehr schön, sehr schön! Eine Reise wert. Und: SchülerInnendemos in Italien schauen genauso aus wie bei uns.

Die Piazza Santa Maria Novella im Morgengrauen. Blick auf die gleichnamige Kirche (13.Jh.) mit in Florenz immer wieder zu sehender Renaissance-Fassade (15.Jh.) aus verschiedenfarbigem Marmor.


Mercato Centrale (Markthalle)


San Lorenzo. Renaissancekirche des Architekten Filippo Brunelleschi. Darin gibt's eine berühmte Bibliothek und die Fürstengruft der Medici.


Palazzo Medici-Riccardi. Renaissancepalast der Medici aus dem 15.Jh., als sie in einem bürgerlich-republikanischen Stadtstaat noch nicht unumschränkt herrschen konnten. In Wien sieht man so was als Stilkopien aus dem 19.Jh. (in der Teinfaltstraße geh' ich täglich dran vorbei), hier ist's 400 Jahre älter und original.


Duomo (Santa Maria del Fiore) mit prägnantem Kuppelbau, eine technische Pionierleistung der Renaissance (Filippo Brunelleschi), im Hintergrund. Im Vordergrund rechts das Battistero San Giovanni (Taufkirche des hl. Johannes).


Portalansicht des Doms. Die Fassade aus weißem, grünen und rotem Marmor stammt im Gegensatz zum gegenüberliegenden Battistero aus dem 19.Jh.


Porta del paradiso von Lorenzo Ghiberti, berühmte Bronzetür des Battistero San Giovanni (15.Jh.)


Palazzo Vecchio. Der burgartige gotische Palast war Sitz der republikanischen Stadtregierungen und hernach fürstlicher Palast der Medici, nachdem sie ihre Herrschaft ab 1530 dauerhaft durchsetzen konnten. Auch heute Sitz der Stadtregierung.


Vor dem Palazzo Vecchio steht der David von Michelangelo (in Kopie, Original im Museum). Heute leider eingerüstet.


Palazzo Vecchio, primo cortile (erster Innenhof)


Palazzo Vecchio, Salone di Cinquecento (Saal der Fünfhundert), 1495. Riesiger, beeindruckender Sitzungssaal, der die Aufgabe, die Macht der Stadt Florenz in der Renaissance darzustellen, tatsächlich erfüllt.


Palazzo Vecchio. Die Tour durch den Palast beeindruckt durch die einheitliche originale Renaissancepracht.


Blick aus dem Palazzo Vecchio auf die Piazza della Signoria. Signoria hat die Regierung der Stadtrepublik geheißen, deren Vorsitzender übrigens den schönen Titel Gonfaloniere della Giustizia (Bannerträger der Gerechtigkeit) hatte. 1250 löste eine Patrizier-Regierung die Adelsherrschaft ab, seit 1293 regiert eine neunköpfige Signoria die Republik, in der ab 1434 die Familie der Medici die Vorherrschaft gewann. 1494 wurden die Medici vertrieben, dann folgten vier Jahre Gottesstaat unter Savonarola, dann 1502-1512 Republik, Rückkehr der Medici, 1527-1530 erneut Republik und dann 1532 endgültige Rückkehr der Medici, nunmehr Herzöge und später Großherzöge der Toskana. Das Reiterstandbild von Cosimo I. de' Medici aus dem Jahr 1594 war das erste öffentlich aufgestellte Denkmal seit der Antike.


Ponte Vecchio, Brücke über den Arno. Im 13. Jh. wurden auf der Brücke Geschäfte und Wohnungen errichtet, seit 400 Jahren nur mehr Goldschmiede.


Ponte Vecchio, Blick über den Arno und auf die Büste von Benvenuto Cellini (1900), bekannt als Schöpfer der geraubten und wiedergefundenen Saliera.


Italien!


Porta Romana. Erhaltenes Stadttor (1326)


Blick über die Stadt, Piazzale Michelangelo. Schön zu sehen der Turm des Palazzo Vecchio (links), der Dom mit Campanile und Kuppel (Mitte) und die Kirche Santa Croce (rechts)


Blick über die Stadt, Piazzale Michelangelo. Links sehr schön der Verlauf der Stadtmauer zu sehen, rechts Ponte Vecchio über den Fluß Arno.


Santa Croce (13.-15. Jh.), mit der für Florenz typischen Marmorfassade. In der Kirche gibt es viele Grabmäler. Allerdings ist 5 Euro Eintritt zu zahlen und das war mir selbst das Grab von Niccolò Machiavelli dann doch nicht wert.


Santa Croce, Blick in den Primo Chiostro (ersten Kreuzgang)


Piazza Santa Croce, Blick von den Stufen der Kirche auf den Platz, auf dem in der Renaissance ein fußballähnliches Spiel ausgetragen wurde.


SchülerInnendemo gegen die Bildungsministerin von Berlusconi


Fortezza da Basso (1534). Nach der endgültigen Rückkehr der Medici 1532 nach zweimaliger Vertreibung festigten sie ihre Herrschaft über die Stadt durchaus martialisch. Der Festungsbau war auch Bedingung dafür, daß der Habsburger Karl V. dem Herzog Alessandro seine Tochter heiraten ließ.