Mittwoch, 7. November 2007

Die andere Front



Anton Holzer
Die andere Front
Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg
Darmstadt 2007 (Primus Verlag)
368 S.






Ich habe mich weder im Zuge meines Geschichtsstudiums noch im Zuge meines privaten historischen bzw. bibliophilen/-manischen/-graphischen Interesses näher mit Photographiegeschichte und dem Bild als Quelle beschäftigt. Den Ersten Weltkrieg hab' ich aber schon immer interessant gefunden, weswegen ich dieses Buch vor einiger Zeit gleich nach Erscheinen verschlungen hab'. Man muß jetzt nicht auf die klassischen Referenzen von George Kennan oder Eric Hobsbawm zurückgreifen, um deutlich zu machenm welch gigantischer Epochenbruch diese wenigen Jahre waren. In im Nachhinein kaum zu erfassender Beschleunigung veränderten sie in Europa die Welt. Rasanter Umbau der Wirtschaft zu staatlich regulierter "Kriegswirtschaft", von der Getreide- und Viehrequirierungen in der Landwirtschaft (auf die in den 20er und 30er Jahren angesichts der Umorganisationsvorstellungen der Sozialdemokratie immer angstvoll verwiesen wurde) bis zur Einführung militärischer Disziplinierung in der Industrie - leider haben die nachfolgenden Konzeptionen sozialistischer Ökonomie an dieser Kommandowirtschaft viel zu sehr Anklang genommen. Der in seiner Wirkung nicht zu unterschätzende Zivilisationsbruch: Industriell organisiertes Massensterben, Massentöten und Massenleiden in unvorstellbarem, zuvor nicht gekanntem, millionenfachem Ausmaß. Und der ideologische Überbau in hitzigem Nationalismus und dessen Ausbruch in der nationalen Revolution, welche die soziale Revolution (Otto Bauer in der Begrifflichkeit folgend) als Plattform nützte aber dies nur für kurze Zeit konnte. Ohne Verständnis des Ersten Weltkriegs als soziale Umwälzung ist die Entwicklung der Ersten Republik nicht zu verstehen.

Holzers Die andere Front ermöglicht den Blick auf eine andere Geschichte des Ersten Weltkriegs, einerseits die der Zivilbevölkerung im "Hinterland" (und z.B. den Terror der österreichisch-ungarischen Truppen dort) und des soldatischen Alltags und andererseits legt er den Fokus anhand der 520 publizierten Photographien aus dem ÖNB-Bildarchiv vor allem auf die "Ostfront". Das Buch bietet anhand der vielen Bilder, hauptsächlich von Photographen im Propaganda-Dienst aufgenommen, einen wichtigen Blick auf das Geschehen. Die Stärke des Bands liegt neben dem großartigen Bildmaterial in dessen sehr guter Beschreibung und Kontextualisierung von Anton Holzer. Ein beeindruckendes Buch.

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