
Sammelsurium
Freitag, 27. Juni 2025
Erfurt
27.6.2025
In Erfurt, der Hauptstadt des deutschen Bundeslands Thüringen, habe ich etwas anderes als ein Fußballspiel besucht. 219.000 Menschen leben hier.
Der Erfurter Hauptbahnhof wurde 1847 eröffnet. Das alte Bahnhofsgebäude mit seinem Turm wurde bis 1890 genutzt und war danach Bürogebäude der Reichsbahndirektion Erfurt.
Das heutige Bahnhofsgebäude, einige Meter östlich des alten Bahnhofs, wurde 1893 eröffnet. Davon ist aber nur noch die Eingangshalle zu sehen. Im Zuge der Modernisierung des Bahnhofs 2002 bis 2008 hat man das Inselgebäude zwischen den Bahnsteigen abgerissen und die Bahnanlagen neu gebaut.
Der Erfurter Hof war von vor 1872 bis 1995 ein Hotel gegenüber des Erfurter Bahnhofs. Das heutige Gebäude ist ein Neubau der Jahre 1904/1905, der 1914 bis 1916 nochmal erweitert wurde. In der DDR wurde das Hotel 1965 eines von zwölf Interhotels der DDR, in denen hauptsächlich Gäste aus dem Ausland untergebracht wurden. 1970 fand hier das erste Gipfeltreffen zwischen den Regierungschefs der beiden deutschen Staaten BRD und DDR statt, dem Sozialdemokraten Willy Brandt und dem Repräsentanten der SED-Diktatur Willi Stoph. Der Platz zwischen dem Bahnhof, wo der Sonderzug aus der BRD ankam, und dem Hotel war von Polizei und Stasi abgesperrt, um Kontakt der Bevölkerung mit den Westdeutschen zu verhindern. Dennoch versammelten sich gegen den Willen der DDR-Verantwortlichen Massen an Menschen, die dem westdeutschen Besuch zujubelten. Als die Delegationen über den Platz gingen, überwand eine Menge von rund 2.000 Menschen die Absperrungen unter „Willy! Willy!“-Rufen, was theoretisch beiden Politikern gegolten haben könnte, aber klar Brandt galt. Bald erschallte immer wieder der Ruf „Willy Brandt ans Fenster!“. Zum Jubel der Menschenmasse zeigte sich Willy Brandt kurz an einem Fenster, zog sich aber nach einer Minute wieder zurück, um die Gespräche mit der DDR-Führung nicht zu beinträchtigen. Für diese war aber auch dieser kurze Moment ein Fiasko, der ihrer Politik zuwiderlief, dass die Menschen der DDR die BRD ablehnen und ein eigener Staat sein wollten. Über das DDR-Fernsehen ließ das Regime vermelden, es hätten sich „einige offensichtlich bestellte Provokateure eingefunden, die den Auftakt der Gespräche stören wollten.“ 2009 wurde – nach kontroverser Debatte darüber – ein Denkmal in Form einer Leuchtschrift Willy Brandt ans Fenster des Künstlers David Mannstein am Dach angebracht.
Straßenszenen. Vor rund 1.300 Jahren wurde Erfurt im Jahr 742 erstmals schriftlich erwähnt und war damals bei der Errichtung eines christlichen Bistums bereits eine größere Siedlung. Das Bistum hatte aber nicht lange Bestand und das Bistum Mainz übernahm die religiöse Kontrolle. Im 10.Jh. übernahmen die Mainzer Erzbischöfe auch die weltliche Herrschaft über Erfurt. Im Zuge der Auflösung der weltlichen Herrschaftsgebiete von Bistümern und Stiften im Reichs im Reichsdeputationshauptschluss wurde Erfurt 1803 in das Königreich Preußen eingegliedert. 1803 bis 1814 gehörte Erfurt als Fürstentum Erfurt dem napoleonischen Frankreich und die Festung war französischer Truppenstützpunkt. Nach der Eroberung 1814 war die Festung Erfurt Stützpunkt der preußischen Armee. Nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 schwand die militärische Bedeutung und die Festung wurde 1873 aufgelöst.
Der Erfurter Kaisersaal war ein Gebäudekomplex, den 1769 die Universität Erfurt durch Vereinigung zweier Häuser und Umbau zu einem Theater und Ballsaal bauen ließ. Seinen Namen erhielt das Gebäude als Veranstaltungsort einer Konferenz des französischen Kaisers Napoleon I. mit dem russischen Zaren Alexander I., zu deren Dekoration und zur Beeindruck des Zaren der französische Machthaber die ihm Untertanen Fürsten der Staaten des von ihm in Deutschland geschaffenen Rheinbunds anreisen ließen. Das 1803 bis 1814 bestehende Fürstentum Erfurt war Territorium Frankreichs. Das heutige Aussehen erhielt das Haus mitsamt seiner klassizistischen Fassade aber erst bei einem Neubau 1831. Hier fand im Oktober 1891 der wichtige Erfurter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie statt, bei dem sowohl der Name Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) festgelegt wurde als auch das als Erfurter Programm in die Geschichte eingegangenes Programm beschlossen wurde. Es enthielt eine klar marxistische Analyse und auch praktische Forderungen für den politischen Alltag. Erst seit 1890 galten damals die Bismarck'schen Sozialistengesetze nicht mehr und die Behörden des Deutschen Kaiserreichs sperrten nicht mehr ins Gefängnis, wen sie für einen Sozialdemokraten oder eine Sozialdemokratin hielten. Die Sozialdemokratie war selbstbewusst. Nachdem zu DDR-Zeiten im Gebäude eine SED-Propagandaausstellung untergebracht war, zu der eine Tafel am Haus gehört, erinnerte nach der Wende lange nichts mehr an den geschichtsträchtigen Ort. Seit dem 120-jährigen Jubiläum des Erfurter Parteitags 2011 gibt es die heutige Gedenktafel.
Die Krämerbrücke wurde als Steinbrücke mit zwei Reihen Fachwerkhäusern für Geschäftsräume und Werkstätten darauf sowie jeweils Kirchen und Tordurchfahrten an beiden Ende 1325 fertiggestellt. Zuvor gab es hier bereits seit dem 12. Jh. Holzbrücken mit Buden von Krämern (Händlern) darauf, die aber 1175, 1178, 1213, 1222, 1245, 1265 und 1293 in solcher Häufigkeit abbrannten, dass 1293 die Stadt Erfurt die Brückenrechte von den Klöstern erwarb und die Steinbrücke bauen ließ. Großbrände gab es dennoch immer wieder. Das heutige Aussehen entstammt dem Umbau und Ausbau nach dem Stadtbrand von 1472, in dem die Hälfte der Gebäude der Stadt zerstört wurden und auch die Häuser der Brücke gebrannt hatten.
Straßenszenen
Nach Adam Riese.
Die Alte Synagoge wurde ab 1094 errichtet und ist die älteste erhaltene Synagoge Mitteleuropas. Der Großteil des Bauwerks entstand um 1270 bei einem Umbau. Beim Pogrom gegen die Jüdinnen und Juden Erfurts 1349 wurden diese von der christlichen Bevölkerung Erfurts ermordet. Hier wie an anderen Orten machte man in antisemitischer Verblendung die Anwesenheit von Jüdinnen und Juden für die Ausbreitung der Infektionskrankheit der Pest verantwortlich und brachte sie daher um. Das Gebäude wurde danach als Lagerhaus genutzt und dafür die Toreinfahrt hineingebrochen. Die Pest kümmerte sich nicht darum. Bei der Pestwelle von 1463 starben allein in Erfurt 28.000 Menschen. Das war auch nicht der letzte Ausbruch. Bei der schlimmsten Pestwelle in den Jahren 1682 und 1683 starb die Hälfte der Erfurter Stadtbevölkerung an der Krankheit. Jüdinnen und Juden konnten sich erst im 19.Jh. wieder in Erfurt ansiedeln. Die Nazis deportierten und ermordeten später 447 der 800 Jüdinnen und Juden Erfurts.
Straßenszene
Domplatz mit Blick auf den Erfurter Dom (links) und die Severikirche (rechts). Im Zuge der Napoleonischen Krieg wurden die Kirchenbauten mitsamt dem Petersberg von den französischen Truppen militärisch ausgebaut und genutzt. Seit der Errichtung der ersten Stadtmauern 1066 wurde die Stadt Erfurt im Lauf der Jahrhunderte zu einer großen Festung ausgebaut, mit Mauern und Gräben sowie Zitadellen wie die am Petersberg 1665 errichtete Festung. Bei der Bombardierung der französischen Truppen in der Belagerung Erfurts durch verbündete preußische, österreichische und russische Armeen von Oktober 1813 bis Jänner 1813 wurde die zuvor seit dem Mittelalter dichte Bebauung des Domplatzes durch den Artilleriebeschuss zerstört und nicht wiederaufgebaut, womit der Domplatz seine heutige große Fläche erhielt.
Der Dom geht auf das 12.Jh. zurück. Die damalige romanische Kirche wurde im 14.Jh. mit dem heutigen Kirchenbau in gotischem Stil überbaut. 1184 kamen in der angeschlossenen Dompropstei bei, Einsturz eines Stockwerks im Zuge eines vom König und späteren Kaiser Heinrich VI. abgehaltenen Hoftags rund 60 Menschen ums Leben, darunter viele den König umgebende hochgestellte Adelige. Das Ereignis ging als Erfurter Latrinensturz in die Geschichte ein, da die Unglücklichen durch zwei einstürzende Stockwerke hindurch in die Latrinengrube hinunter stürzten und darin in den angesammelten Suppe aus Kot und Urin ertranken und erstickten oder teilweise auch von den herabfallenden Bauteilen erschlagen wurden. Der König überlebte den Einsturz des wohl durch die große Menschenansammlung überlasteten Holzbodens, da er in einer gemauerten Fensternische saß und die Außenmauern standhielten. Das Ereignis und die doch unschönen Umstände des Todes so vieler ihm im wörtlichen Sinn Nahestehender führten zu seiner schnellen Abreise.
Die Severikirche ist ein gotischer Kirchenbau aus dem 13./14.Jh. anstelle einer dafür abgerissenen älteren romanischen Kirche.
Im Dreißigjährigen Krieg besetzten schwedische Truppen 1632 bis 1635 und von 1637 bis 1650 Erfurt und belasteten die Stadt schwer. Als die Stadt auch nach ihrem Abzug nicht die erhoffte Stellung als reichsfreie Stadt erhielt, kam es zu Auseinandersetzungten mit den Mainzer Erzbischöfen, die auf ihrer Herrschaft über Erfurt bestanden. Kurmainz, wie das Herrschaftsgebiet der Mainzer Erzbischöfe als Kurfürsten hieß, entschied die Frage 1664 durch militärischen Angriff und Eroberung Erfurts nach Belagerung. Um das abzusichern ließ Mainz 1665 bis 1726 eine große moderne Festung am Petersberg errichten, um als Zwingburg mit ihren Kanonen und kasernierten Truppen die Herrschaft über Erfurt abzusichern.
An die Jahrhunderte Erfurts unter Mainzer Herrschaft erinnert das Stadtwappen, welches das Mainzer Rad zeigt.
Ostdeutschland

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