Donnerstag, 1. Juli 2021

Blumau-Neurißhof

1.7.2021

In Blumau-Neurißhof im niederösterreichischen Industrieviertel wurde ein Fußballspiel besucht. 1.900 Menschen leben in der aus den Ortschaften Blumau und Neurißhof bestehenden Gemeinde Blumau-Neurißhof.

Einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte die Gegend nachdem die Armee hier 1891 mit 36 Objekten die k.u.k. Pulverfabrik Blumau, die erste staatliche Munitionsfabrik Österreichs, errichten ließ. Das für die Munitionsherstellung erforderliche Ausgangsprodukt Nitrozellulose wurde ab 1892 von einem in Neurißhof durch die Firma Dynamit-Nobel erbauten Werk produziert, welches 1894 von der k.u.k. Heeresverwaltung übernommen wurde. 1899/1900 erfolgte eine erste Erweiterung der Fabrik, 1897/98 der Bau einer Dynamitfabrik sowie einer Salpetersäurefabrik. Die ehemaligen Verwaltungsgebäude der Salpeterfabrik wurden 1912 in neoklassizistischen Formen errichtet. Die beiden symmetrischen zweigeschoßigen Häuser sind durch einen offenen Gang mit dem Portalbau in der Mitte verbunden.


Der 1914/15 erbaute Wasserturm der ehemaligen k.u.k. Pulverfabrik, ein Stahlbeton-Ständerbau auf achteckigem Grundriss. Die großen Industrieanlagen und die zehntausenden Menschen, die sich hier in kurzer Zeit ansiedelten und hier arbeiteten, erfordeten einen schnellen Infrastrukturausbau. Von den beiden damals zur Wasserversorgung errichteten Wassertürmen in Blumau-Neurißhof ist einer noch in Betrieb.


Es war dies hier ein bedeutender Cluster der Kriegsindustrie des Habsburgerstaats, sodass für militärische Bewachung zwei Kasernen errichtet wurden, die hier zu sehende Blumauer Kaserne sowie die Salvator-Kaserne. Beide Anlagen dienen heute als Wohnbauten.


Das Feuerwehrhaus mit Turm wurde 1916 im Heimatstil errichtet. Am 25. Mai 1922 verursachte ein Brand in der Pulverfabrik eine schwere Explosion, bei der 19 Menschen getötet, hunderte verletzt und fast jedes Gebäude des Ortes beschädigt wurde. Die Explosion war bis nach Wien zu hören.


Das Gemeindewappen zeigt brennende Granaten und den Wasserturm als Zeichen der (Kriegs-)Industriegeschichte des Ortes. Blumau wurde im Jahr 1380 erstmals schriftlich erwähnt. Erste Besiedlungsversuche der menschenleeren und verödeten Gegend fanden erstmals in der Regierungszeit Kaiserin Maria Theresias zwischen 1740 und 1780 statt (siehe das 1763 gegründete Theresienfeld in der Nachbarschaft). In dieser Zeit entstand auch der Name Neurißhof, abgeleitet von neu umgerissenem (= geackertem) Land östlich von Blumau. Die Gemeinde Blumau-Neurißhof gibt es seit 1988. Damals wurde die bis dahin bestehende Gemeinde Steinfelden in vier Gemeinden getrennt: Blumau-Neurißhof, Günselsdorf, Tattendorf und Teesdorf.


Die katholische Pfarrkirche Blumau-Neurißhof sieht ungewöhnlich aus, da dieses Gebäude 1917 als Kaufhaus des Konsum gebaut wurde. 1935 wurde das Gebäude dieser sozialdemokratischen Institution während des Austrofaschismus zu einer Kirche umgebaut. Der hiesige Anton-Rauch-Platz ist nach Anton Rauch benannt. Der Bleilöter war von 1926 bis 1934 sozialdemokratischer Bürgermeister von Blumau, wurde im Zuge des Bürgerkrieges am 12. Februar 1934 festgenommen und war bis Oktober 1934 im austrofaschistischen Anhaltelager Wöllersdorf interniert. Nachdem ihn schon die Austrofaschisten wegen seiner Haltnúng für Freiheit und Demokratie eingesperrt hatten, taten dies danach auch die Nazis. Am 21. Mai 1942 verurteilte ihn die NS-Justiz des Sondergerichts Wien wegen sogenannter „Wehrkraftzersetzung“, also Widerstand gegen das Nazi-Verbrecherregime, zu zehn Monaten Gefängnis, die er vom 18. Jänner bis zum 17. November 1943 in der Strafanstalt Landsberg am Lech verbüßen musste.


Das Ortsbild prägen zahlreiche Arbeiter-/Angestelltenwohnhäuser der vormaligen Fabriken. 40.000 Menschen lebten hier am Höhepunkt gegen Ende des Ersten Weltkriegs rund um die Fabrik in Häusern und Baracken.


Villenartige ehemalige Offizierswohnhäuser, die 1915 bis 1917 in einer von Heimatstil und Klassizismus geprägten Architektur gebaut wurden.


Mit dem Ersten Weltkrieg und seinem hohen Bedarf an Material zum Töten von Menschen wurde der Fabrikskomplex auf über 30.000 Beschäftigte im Jahr 1918 ausgebaut. Mit Kriegsende fiel für zehntausende Menschen ihr Arbeitsplatz weg, es wurde nur die Pulverfabrik in radikal kleinerem Maßstab mit circa 100 Arbeitern weitergeführt. Im Zweiten Weltkrieg wurde hier erneut viel für den Kriegsbetrieb produkziert. Nach Kriegsende wurde die Munitionsfabrik 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und das gesamte Inventar demontiert und abtransportiert. Seither zeugen einerseits Ruinen und übriggebliebene Fundamente einstiger Fabriksanalgen und andererseits die zahlreichen großen Wohnbauten vom einstigen Umfang der Ortschaft. Sie unterscheiden das Ortsbild deutlich von der üblichen Einfamilienhäuser-Tristesse anderer Dörfer.


Das Republiksdenkmal in Form eines Obelisken wurde am 1. Mai 1960 enthüllt. Eine Inschriftstafel erinnert an Daten der Geschichte der Republik.


Der Veranstaltungssaal ist nach dem 2009 verstorbenen Fußballer Karl Koller benannt. Die Vienna-Legende (Meister 1954/55) und der 86-fache Teamspieler (u.a. bei der WM 1954 und 1958) Karl Koller. Der 1929 geborene Koller begann hier 1943 in der Jugend mit dem Fußball und spielte 1945 bis 1949 für den ASK Blumau in der Kampfmannschaft.


Villenartigen Direktionswohngebäude aus dem Jahr 1916.




Straßenszene


Der Lehrer Eduard Göth leitete unter der Nazi-Zeit eine Schule der Hitler-Jugend im Haus der Sauerstiftung in der Hinterbrühl. Er gehörte einer Widerstandsorganisation der Revolutionären Sozialisten an, also der illegalen Sozialdemokratie. Zwecks Tarnung übernahm Göth die Funktion eines Ortswalters der Deutschen Arbeitsfront. Der Schwerpunkt seiner Widerstandstätigkeit lag im Verfassen von Berichten über die Rüstungsindustrie in Floridsdorf und Wiener Neustadt. Insbesondere seine Arbeit in den Wiener Neustädter Flugzeugwerken war für die Gruppe wichtig, weil er Einblicke in die Aufrüstung des Regimes bekam. Die Widerstandsgruppe umfasste an ihrem Zenit mindestens 200 Personen. Mutmaßlich auf Grund einer Denunziation erfolgte schließlich ihre Zerschlagung und die Verurteilung von mindestens vierzig Mitgliedern zum Tode. Göth wurde von der Gestapo verhaftet, 1943 in Berlin verurteilt und 1944 im Wiener Landesgericht hingerichtet. Der 1946 von der SPÖ Blumau errichtete Gedenkstein erinnert an seinen Einsatz und sein Opfer für die Freiheit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen