Freitag, 13. Dezember 2013

Kiew

11./12.12.2013

In die ukrainische Hauptstadt Kiew (ukrainisch Київ, russisch Киев) führte ein Fußballspiel. Rund 2,8 Mio. Menschen leben hier im engeren Stadtgebiet, über 4 Mio. sind es mitsamt der Umlandgemeinden.
Leider waren eineinhalb (kurze Winter-)Tage viel zu kurz und einiges Interessantes konnte nicht besichtigt werden. Also bleibt für einen allfälligen weiteren Besuch sehr vieles übrig, möglicherweise ja zu einer anderen Jahreszeit.

Vom 9. bis zum 13. Jh. war Kiew das Zentrum des ostslawischen Großreichs des Kiewer Rus. Nach einer Eroberung in blutigen Erbfolgekämpfen war Kiew ab 1169 nicht mehr Großfürstenresidenz, 1240 wurde die Stadt von einem mongolischen Heer nach monatelanger Belagerung zerstört und seine Menschen massakriert, nach einer erneuten Kriegszerstörung verließ 1299 auch der orthodoxe Metropolit ein verwüstetes Kiew, womit die herausragende Stellung der Stadt vorerst beendet war. Das Goldene Tor (ukrainisch Золоті ворота, Soloti worota) war das 1024 fertiggestellte Hauptstadtor jener Zeit, was es bis ins 18.Jh. blieb. Eine erste Rekonstruktion seiner Ruinen erfolgte bereits 1832, in den 1970er Jahren wurde mit einer vollständigen Rekonstruktion begonnen und diese 1982 eröffnet.


Der Gebäudekomplex rund um die Sopienkathedrale (Софійський собор) in seiner um 1700 entstandenen Außenansicht mit Umfassungsmauer des Geländes und dem großen freistehenden barocken Glockentum (1699−1707 errichtet, 1851 aufgestockt). Zur Zeit der Sowjetunion wurde der Komplex 1934 verstaatlicht und wird seither als Museum geführt. 1991 sollte er der Kirche zurückgegeben werden, nachdem im ukrainischen orthodoxen qKirchenstreit aber sowohl das Kiewer als auch das Moskauer Patriachat Anspruch erhoben und auch die ukrainisch-katholische Kirche sich meldete, verlief dies ergebnislos.


Die Sophienkathedrale wurde ursprünglich Anfang des 11.Jh. errichtet, im Laufe der Jahrhunderte mehrfach zerstört, umgebaut und erweitert. Zuletzt wurde sie nach einem Brand 1697 im Barockstil vollkommen neu gebaut. Die mittelalterliche Kathedrale war der Ort aller großen politischen und religiösen Zeremonien des Kiewer Rus.


Gegenüber der Kathedrale steht das 1722 im Zuge des barocken Ausbaus erreichtete Refektorium, das als kleinere beheizbare Kirche für die Wintermonate auch „Warme Sophie“ genannt wurde.


Die Karäer-Kenesa (russisch Караимская Кенаса) wurde zwischen 1898 und 1902 im maurischen Stil erbaut. Eine Kenesa ist die Synagoge karäischer und persischer Jüdinnen und Juden. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Innere von den Nazis zerstört. Die heute fehlende einstige Kuppel über dem Gebäude wurde wohl auch damals zerstört. Nach dem Krieg wurde ein Neubauflügel angebaut und die Synagoge zum Schauspielhaus umgebaut, was sie bis heute ist.


Straßenszene


Die barocke Andreaskirche (ukrainisch Андріївська церква, russisch Андреевская церковь) wurde 1767 eingeweiht und steht imposant auf dem Andreashügel im Stadtzentrum. In den 1930er Jahren wurde die Kirche vom Sowjetregime zum Museum umgewandelt.


Das Gelände des Michaelsklosters (ukrainisch Михайлівський золотоверхий монастир, russisch Михайловский златоверхий монастырь) ist wie schon dasjenige der Sophienkathedrale von einem großen Turm, hier einer Torkirche, am Haupteingang gekennzeichnet.


Gegenwärtig finden in Kiew tägliche Protestdemonstrationen von zehntausenden Menschen gegen die Regierung und politische Zuwendung zu Rußland statt. Vor dem Klostereingang befand sich eines ihrer kleinen Lager, in denen sie Tag und Nacht biwakieren. Ihren barrikadenbewehrten Hauptstützpunkt hatten sie am Hauptplatz Maidan. Es ist ein politischer Konflikt. Von einer Atmosphäre nahe am Bürgerkrieg, wie sie westliche Medien teils phantasierten, war bei oberflächlichem Augenschein in der winterlich-gemächlichen Millionenstadt Kiew aber nichts zu spüren und zu sehen.


Die Kathedrale des Michaelsklosters wurde erstmals im 12.Jh. errichtet und im 18.Jh. im Barockstil neu gebaut. So ist sie auch heute zu sehen. Doch der Kirchenbau ist jungen Datums. In den 1930er Jahren wurde die Kirche vom Sowjetregime abgerissen, jahrhundertealte Kunstschätze gingen verloren. Diese Ecke der Stadt sollte planiert und mit Monumentalbauten zu einem neuen Stadtviertel werden. Daraus wurde aber nicht schließlich nichts. Der Rest des Geländes wurde für Sportanlagen genutzt. Nach dem Ende der Sowjetunion erhielt die ukrainisch-orthodoxe Kirche (Kiewer Patriarchat) die Anlage zurück und ließ die Kirche in der Barockversion wiederaufbauen. 1999 wurde sie eröffnet.


Vom geplanten sowjetischen Architekturensemble wurde nur ein Gebäudekomplex im neoklassizistischen Baustil des Stalinismus errichtet, in dem heute das Außenministerium der Ukraine untergebracht ist. Anstelle des gegenüberliegenden Klosters hätte ein spiegelgleiches Gebäude errichtet werden sollen.


Vor dem Kloster steht ein Denkmal aus dem Jahr 1993 für die Millionen Hungertoten der großen Hungerkatastrophe der Jahre 1932/33, die von der sowjetischen Politik mitverursacht und nicht gebremst, sondern vielmehr aus politischem Kalkül benutzt wurde. Diese stalinistische Politik wird hier Holodomor genannt (ukrainisch Голодомор, „Tötung durch Hunger“). Gesicherte Opferzahlen der Hungersnöte gibt es nicht, es ist von 4 Mio. Toten in der Ukraine und weiteren 2 Mio. Toten in den betroffenen Gebeten Südrußlands auszugehen. Die begleitende Ausstellungstafeln hinter dem Denkmal erzählen die Geschichte rein auf die Ukraine beschränkt.


Die Wladimirkathedrale wurde zwischen 1859 und 1882 in neobyzantinischem Stil errichtet, aber nach Fertigstellung der Innenraumgestaltung erst 1896 eröffnet. Im polnisch-sowjetischen Krieg 1920 wurde die Kirche beschädigt. 1929 wurde sie geschlossen und zu einem Atheismus-Museum gemacht, später zu einem Archiv. Seit 1944 wird sie wieder als Kirche genutzt und ist heute die Hauptkirche der ukrainisch-orthodoxen Kirche (Kiewer Patriarchat).



Der 1982 errichtete Bogen der Völkerfreundschaft sollte die ukrainisch-russische Vereinigung und Freundschaft unter sowjetischen Vorzeichen symbolisieren. Unter dem 60m hohen Stahlbogen halten zwei Arbeiter ein sowjetisches Wappen hoch.
Heute ist Kiew eine zweisprachige Stadt, in der sowohl Russisch als auch Ukrainisch verbreitet sind. Noch in den 1980er Jahren war Kiew fast ausschließlich russischsprachig, dies änderte sich mit der staatlichen Unabhängigkeit.



Babyn Jar ukrainisch (Бабин Яр) oder Babi Jar russisch (Бабий Яр) ist eine Schlucht nordwestlich des Stadtzentrums von Kiew, heute Teil eines Parkgeländes. 1941 fand hier die größte einzelne Mordaktion an jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Zweiten Weltkrieg statt. In 36 Stunden wurden hier von 29. auf den 30. September 1941 33.771 Menschen erschossen. Dies wurde unter der Verantwortung des Heeres der deutschen Wehrmacht durchgeführt (die später bei Stalingrad vernichtete 6. Armee) und in einer gemeinsamen Sitzung von Wehrmacht und SS in Kiew beschlossen. Wehrmachtssoldaten organisierten die als Evakuierung getarnte Aktion mit, sicherten das Gelände und sprengten anschließen die Seitenwände der Schlucht, um die Leichenberge zu begraben. Gemordet selbst wurde hauptsächlich von Männern der SS und deutschen Polizeieinheiten (darunter eine Polizeiregiment mit vielen Österreichern) unter Beteiligung ukrainischer Hilfstruppen. Bis zum 12. Oktober 1941 wurden insgesamt 51.000 Jüdinnen und Juden getötet, bis zur Befreiung Kiews 1943 wurden hier von deutschen Besatzungstruppen nach unterschiedlichen Schätzungen 100.000 oder 150.000 Menschen erschossen.


Das monumentale Mahnmal aus dem Jahr 1976 steht in einem Parkteil links der Metrostation, gut erreichbar aber fern des eigentlichen Orts des Mordens. Der sowjetischen Geschichtspolitik entsprechend erinnert das Denkmal allgemein an die Ermordeten, ohne sie spezifisch in Gruppen zu nennen, d.h. auch ohne den Holocaust und die Ermordung der Jüdinnen und Juden zu erwähnen.



Leider gibt es vor Ort keinerlei Orientierungsplan, sodaß ich einzelne Denkmäler eher durch Zufall aufgefunden habe und andere unentdeckt blieben. Die verwitterte Inschrift dieses Gedenksteins konnte ich leider beim besten Willen nicht lesen.


Nach dem Ende der Sowjetunion wurden mehrere unterschiedliche Denkmäler aufgestellt, um an einzelne Personengruppen zu erinnern. Dieses Holzkreuz erinnert an 621 ukrainische Nationalisten und Nationalistinnen (u.a. die Schriftstellerin Olena Teliha), die von den deutschen Besatzern 1942 erschossen wurden.


Ein Denkmal für die in Babyn Jar erschossenen Kinder wurde 2001 rechts der Metrostation aufgestellt. Von den vor dem Krieg etwa 200.000 in Kiew lebenden Jüdinnen und Juden waren bei der deutschen Eroberung noch etwa 50.000 in der Stadt verblieben. Männer waren nach Kriegsbeginn großteils zur Roten Armee eingezogen worden, viele hatten noch aus der Stadt fliehen können. Als Mordopfer blieben vor allem Alte, Frauen und Kinder. Sie hatten sich auf Befehl hin als angebliche Evakuierungsmaßnahme hier einzufinden, mußten sich nackt ausziehen und wurden in Gruppen erschossen. Berichte erzählen auch von sexueller Gewalt an den Frauen durch deutsche Soldaten.


Nahe an der Schlucht, dem Schauplatz des Verbrechens, wurde 1991 ein Denkmal in Form einer Menorah errichtet, das an die hier ermordeten Jüdinnen und Juden erinnert.


Denkmal an die Schlammlawinenkatastrophe von 1961 aus dem Jahr 2006. In den Nachkriegsjahren sollte die Schlucht von Babi Jar aufgefüllt werden, um Bauland zu gewinnen. Dazu wurde sie mit einem Erddamm verschlossen und eine Mischung aus Sand, Ton und Wasser vom Abraum einer Ziegelfabrik eingeleitet. Während diese Methode in anderen Kiewer Stadtteilen funktionierte, verhinderte hier der tonhaltige Boden das geplante Versickern des Wassers. Nach einem Tauwetter brach am 13. März 1961 der Damm. Die Schlammlawine überflutete Wohngebiete und Industrieanlagen. Die Katastrophe und ihr Ausmaß wurde von den sowjetischen Behörden weitgehend verschwiegen. Offiziell gab es 145 Tote, es werden jedoch bis zu 2.000 Tote vermutet.


Die Brodsky-Synagoge wurde zwischen 1897 und 1898 im maurischen Stil erbaut, finanziert vom Fabrikanten Lazar Brodsky. 1926 wurde das Gebäude vom Sowjetregime im Zuge der Zurückdrängung von Religionen beschlagnahmt und als Klubhaus und Puppentheater genutzt. Während der nazideutschen Besatzung wurde es zu einem Pferdestall. 1997 wurde die Synagoge von der Stadt an die jüdische Gemeinde zurückgegeben. In den Jahrzehnten anderer Nutzung war viel zerstört worden, Gewölbebogen und Bimah waren herausgeschlagen und eine Zwischendecke eingebaut worden. 2000 wurde die Synagoge nach umfangreichen Bauarbeiten wieder eingeweiht.


Gedenktafel für den deutschen Kommunisten Ernst Thälmann (1944 im KZ erschossen), wahrscheinlich trug die Straße zu sowjetischen Zeiten seinen Namen.


Die Kiewer Metro wurde 1960 eröffnet. Ähnlich anderen U-Bahnen in der ehemaligen Sowjetunion wurden viele Stationen sehr tief unter dem Erdboden angelegt, um als Bunker und Luftschutzkeller in Kriegszeiten dienen zu können. Man merkt das heute an sehr langen Rolltreppenfahrten. Ebenfalls typisch für die sowjetischen U-Bahnen jener Zeit ist die künstlerische Ausgestaltung der Stationen in der Innenstadt.


Die U-Bahn-Station Zoloti Vorota ist mit Mosaiken im Stil der byzantinisch geprägten mittelalterlichen Kunst geschmückt, was auch und insbesondere auch religiöse Motive mit sich bringt.


Die Station Palats Ukrajina wiederum erinnert an die Anfänge der Sowjetunion im blutigen Bürgerkrieg und zeigt u.a. einen Rotarmisten.

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