Freitag, 17. Oktober 2008

Datum 10/08



Datum
Oktober 2008
98 S.








Die bisher beste Nachbereitung der Nationalratswahl, die ich gelesen habe sind die Seiten des Datum, in denen ausländische Österreich-Korrespondenten ihre Sicht von Wahlkampf und Wahl darlegen. Und zwar nicht die üblichen Verdächtigen, sondern die Korrespondentin des mongolischen Fernsehens, Leute aus Ägypten und Rußland oder der Berichterstatter einer Pekinger Tageszeitung mit einem höchst skurillen Kommentar. Er schreibt "Im Sinne der Ganzkörpertheorie der Traditionellen Chinesischen Medizin sehe ich nach dieser Nationalratswahl einige Gleichgewichte im 'Körper Österreich' gestört." und kritisiert, daß in der Politik zu viel debattiert und zuwenig schnell entschieden wird sowie die Medien politische Entscheidungen "objektiver wahrnehmen und analysieren" sollten. In China geht das halt alles anders... Großes Kino!

Die prägnanteste Charakterisierung der Spitzenkandidaten des Wahlkampfs stammt von Oscar Sanchez, aus Mexiko:
"Könnte nicht der Grünen-Chef Alexander Van der Bellen als der Zinedine Zidane der österreichischen Spitzenpolitiker gesehen werden? Er wirkt ruhig und überlegt, übersieht das Spielfeld, und eine gewisse Eleganz ist ihm, trotz seines gesetzten Alters, nicht abzusprechen.
Im Gegenzug dazu wirkt Herr Strache wie Marco Materazzi: jung, attraktiv, stark in der Verteidigung, aber ohne jede Hemmung, seine Gegner zu foulen. Herr Molterer wiederum könnte mit Bernd Schuster verglichen werden, dem Trainer von Real Madrid: ­sicher ein guter Coach, aber viel zu farblos und ohne Fähigkeit, die Massen zu ­begeistern. Wie das Wahlergebnis hinlänglich bewiesen hat. Der attraktive Herr Faymann dagegen hat etwas von David Beckham. Samt starker Frau an seiner Seite, wie man hört.
Und der Kärntner Landeshauptmann? Kennen Sie die Geschichte vom Schlächter von Bilbao? Der argentinische Fußballgott Diego Maradona, der 1983 bei Barcelona spielte, wurde von Bilbaos Andoni Goikoetxea derart böse gefoult, dass er sich das Bein gebrochen hat und vier Monate lang pausieren musste. 'Goiko' bekam während des Spiels nur die gelbe Karte, wurde später allerdings nachträglich bestraft und für 18 Spiele gesperrt.
Beim letzten Match vor Antritt seiner Sperre wurde er von den baskischen Fans frenetisch gefeiert und in einem Triumphzug auf den Schultern aus dem Stadion getragen. 2007 wurde 'Goiko' von der
Times zum 'gewalt­tätigs­ten Fußballer' aller Zeiten gewählt."

Es erschließt sich der/dem Fußballunkundigen vielleicht nicht die Brillanz der Vergleiche, aber das ist die absolut beste journalistische Leistung, die ich im Zusammengang mit der Wahl überhaupt gelesen habe.

Sehr interessant ist im Heft noch der Vorabdruck aus der Biographie Oscar Bronners. Die wird man lesen müssen. Dann doch noch ein dicker Minuspunkt: Unnötig, den alten rechten Recken Richard Nimmerrichter, der jahrzehntelang an der Vergiftung des politischen Klima in diesem Land führend beteiligt war, als friedlichen Pensionisten auf seiner Terrasse am Wörthersee (in Kärnten, wo sonst...) zu porträtieren. Sorry, aber was soll ich daraus lernen außer daß er lebt so wie andere reiche ältere Herren in Pension auch?

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