Montag, 25. August 2014

Tallinn

23.8.2014

In der estnischen Hauptstadt Tallinn wurden nachmittags und abends zwei Fußballspiele besucht. Bis 1918 trug die Hafenstadt jahrhundertlang offiziell den deutschen Namen Reval, im Estnischen wurde der Name Tallinn aber bereits seit dem 13.Jh. verwendet.

Blick auf die Ostsee. 1227 eroberten Schwertbrüderordens-Ritter eine dänische Burg und holten 1230 von der Insel Gotland 200 westfälische und niedersächsische Kaufleute hierher, welche die Stadt Reval gründeten. Mit seiner deutschen Oberschicht gehörte Reval ab dem 13.Jh. zur Hanse. Nach dänischer, Ordens- und schwedischer Herrschaft wurde Reval 1710 von russischen Truppen erobert und gehörte fortan zweihundert Jahre zum Zarenreich. Die Amtssprache in der Stadt blieb bis zur Einführung von Russisch im Zuge der Russifizierungspolitik 1889 Deutsch. Das Ende der deutsch-baltischen Geschichte kam mit dem Hitler-Stalin-Pakt, gemäß dem die deutschbaltische Bevölkerung über den Hafen im Herbst 1939 von Hitlerdeutschland ausgesiedelt und im eroberten Polen angesiedelt wurde.


Die zwischen dem 13. und 16.Jh. erbaute und immer wieder erweiterte Stadtmauer ist an vielen Stellen erhalten und erzählt davon, dass das mittelalterliche Reval eine der am besten befestigten Städte an der Ostsee waren. Als reiche Hansestadt war dies notwendig. Von den einst 2,35 km umit 40 Türmen stehen heute noch 1,85 km und 26 Türme.



Die Große Strandpforte und der massive Kanonenturm Dicke Margarethe, mit dem das Stadttor verteidigt wurde. Als die Große Strandpforte gebaut wurde, stand sie so nah am Ufer, dass bei Sturm die Wellen ans Tor schwappten.


Die Olaikirche (Oleviste kirik), benannt nach dem norwegischen König Olaf II., der die Christianisierung Nordeuropas betrieb, wurde im 13. Jh. erstmals urkundlich erwähnt. 1625 zerstöre ein Brand die Kirche. Beim Wiederaufbau zwischen 1649 und 1651 erreichte der neue Turm eine Höhe von 139 Metern und diente damit auch als Signal für die Seefahrt. Mit ihm war die Hansestadt Tallinn schon von weitem auf See zu erkennen. Allerdings schlug in den hohen Turm auch mindestens acht Mal ein Blitz in den Kirchturm ein und drei Mal brannte die Kirche komplett nieder. Nach einem erneuten Turmbrand 1820 erfolgte der Wiederaufbau des heutigen Turms mit Förderung des Zaren bis 1834.


Zentrum der Altstadt (Vanalinn) ist der Rathausplatz (Raekoja plats) mit dem im 13. Jh. errichteten gotischen Rathaus.


Am Rathausplatz fand ein Folklorefestival mit Volkslied-Gesangsdarbietungen statt. Das Lied und das gemeinsame Singen haben einen zentralen Stellenwert in der estnischen Nationalkultur, da über Jahrhunderte fremder Herrschaft so die estnische Sprache weiter gepflegt wurde. 1990/91 fanden sich einmal 300.000 und einmal eine halbe Million Menschen zusammen (ein Drittel der gesamten Bevölkerung!), um gemeinsam Volkslieder zu singen. Das waren machtvolle revolutionäre Akte, mit denen für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion demonstriert wurde.



Die Ratsapotheke (Raeapteek) wurde 1422 erstmals erwähnt und ist eine der beiden ältesten noch betriebenen Apotheken Europas (die andere ist in Dubrovnik). Nach Umbauten im 16. Jh. führte die aus Ungarn stammende Familie Johann Burchart die Apotheke über 300 Jahre. Im Inneren sind historische Gerätschaften ausgestellt.



Straßenszene


Die Altstadt ist geprägt von den langen Gassen mit Kaufmannshäusern


Die Nikolaikirche (Niguliste kirik) ist eine spätgotische Steinkirche aus dem 13. Jh.. Sie ist ein Beispiel der im 13.Jh. verbreiteten „Kaufmannskirchen“, der Dachboden der Kirche diente als Warenlager. Zudem diente sie als Wehrkirche. Ab dem 15. Jh. wurde sie zur Basilika umgebaut. Nach Zerstörung durch einen Bombenangriff im Jahre 1944 ist die Kirche heute Museum und Konzertsaal.


Die große Säule mit dem Kreuz wurde nach dem teilweise gegen russische und deutsch(baltisch)e Armeen und teilweise als blutigem Bürgerkrieg geführten Unabhängigkeitskriegs von 1918 bis 1920 aufgestellt. In Kämpfen und Massakern an der Zivilbevölkerung mit tausenden Ermordeten ging es um die nationale Vorherrschaft (russisch, deutsch oder estnisch) ebenso wie um die politische sozialrevolutionäre Frage. Das bürgerlich-nationale Estland behielt schließlich die Oberhand und schuf eine 1920 anerkannte unabhängige Republik, die bis zum sowjetischen Einmarsch 1940 bestand hielt.


Der hier oberhalb liegend zu sehende Domberg, auf dem der Bischof, die Vertreter des Landesherrn und die Ritter des Deutschen Ordens saßen, und das eigentliche Reval zu Füßen des Hügels waren bis 1877 getrennte Städte. Der Domberg ist als traditioneller Sitz der Staatsgewalt auch heute Sitz von Parlament und Regierung Estlands.


Der Kiek in de Kök ist ein ehemaliger Kanonenturm am Domberg. Der Turm wurde 1475 gebaut und war seinerzeit der größte seiner Art in Nordeuropa. Der niederländische Name dieses Turmtypus kommt daher, dass man von dort aus in die Küchen der Häuser in der Stadt sehen könnte.


Von der mittelalterlichen Burg auf dem Domberg (Toompea loss) sind nur noch die nördliche und westliche Mauer sowie drei Türme erhalten.


Das repräsentative Schloss ist heute Sitz von Parlament und Regierung. Für den Bau eines Schlosses wurde von 1767 bis 1773 der südliche und östliche Teile der Burg abgerissen und ein Barockpalast wie in St. Petersburg entstand für den russischen Gouverneur.


Die russisch-orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale (Aleksander Nevski katedraal) wurde 1894 bis 1900 gegenüber dem Schloss errichtet und gilt aufgrund ihrer prominenten Stelle am Domberg als Sinnbild der Russifizierung Estlands. 1924 war deswegen einmal der Abriss geplant. Inzwischen ist sie ein touristischer Anziehungspunkt.


Viel älter aber äußerlich etwas unscheinbarer ist der Tallinner Dom (Tallinna toomkirik) am Kirchplatz auf dem Domberg. Mit dem Bau wurde im 13. Jh. begonnen, im 14. Jh. wurde der Dom nach dem Vorbild der gotländischen Kirchen in eine dreischiffige Basilika im gotischen Stil umgebaut.


Ausblicke vom Domberg über die Stadt



Der Turm Langer Hermann (Pikk Hermann) wurde im 14.Jh. erbaut und im 15.Jh. noch einmal erhöht. Im Mittelalter wurde er unter anderem als Gefängnis genutzt. Nach der estnischen Unabhängigkeitserklärung 1918 wurde am Turm erstmals die blau-schwarz-weiße Fahne gehisst, die 1940 im Zuge der sowjetischen Okkupation durch eine sowjtische Flagge ersetzt wurde. 1989 wurde die estnische Flagge dort wieder aufgezogen, und das geschieht heute täglich wieder.


Im Kampf um die Unabhängigkeit Estlands während des Militärputsches in Moskau im August 1991 wurde der Domberg mit Betonteilen und Felsbrocken verbarrikadiert. Einer dieser Steine erinnert daran.


Häuser außerhalb des Stadtzentrum. Tallinn ist wie ganz Estland konfliktgeladen national gespalten. Die estnische Bevölkerung (54%) lebt in der Innenstadt und in Cottagevierteln, der Großteil der russischsprachigen Bevölkerung (44%) lebt in Plattenbauwohnanlagen am Stadtrand, die während der sowjetischen Nachkriegszeit gebaut wurden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen