Freitag, 25. Juli 2014

St. Pölten

24.7.2014

In der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten wurde ein Fußballspiel besucht und zuvor ein Stadtspaziergang auf den Spuren der jüdischen Geschichte in der Stadt unternommen.

Die Neue Synagoge wurde 1913 eingeweiht. Im Novemberpogrom 1938 wurde in der Nacht vom 9./10.11.1938 von den Nazis Feuer gelegt. Am Vormittag des 10. November versammelten sich vor dem Gebäude 300 bis 400 Angehörige von SA, SS, HJ und Reichsarbeitsdienst sowie St. Pöltner Schüler unter Führung ihrer Lehrer. Sie zerstörten die Inneneinrichtung der Synagoge unter dem Absingen politischer Lieder. Bücher und Akten wurden auf der Straße unter Bravo-Rufen verbrannt. 1945 wurde das Gebäude durch Bombenangriffe beschädigt. Wind und Wetter zerstörten die leerstehende Ruine weiter bis die Synagoge Ende der 1970er Jahre unter Denkmalschutz gestellt und von 1980 bis 1984 renoviert wurde. Sie ist neben jener in Baden die einzige Synagoge in Niederösterreich. Im Kantorhaus befindet sich seit 1988 das Institut für jüdische Geschichte Österreichs.


Gedenktafel für die St. Pöltner Opfer der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden von 1938 bis 1945 vor der Synagoge. Die 1863 gegründete Kultusgemeinde St. Pölten hatte ungefähr 800 Mitglieder, 400 davon lebten in der Stadt St. Pölten. Im Juni 1940 wurde die IKG St. Pölten aufgelöst, die Verbliebenen mussten zwangsweise nach Wien übersiedeln. Ab Februar 1941 setzten von dort die Deportationen an die Orte der Massenvernichtung ein. Etwa 480 der rund 900 jüdischen und als jüdisch definierten Menschen gelang die Flucht, zehn Personen überlebten versteckt. 310 Männer, Frauen und Kinder wurden von den Nazis ermordet.


Der Alte jüdische Friedhof am heutigen Pernerstorfer-Platz wurde 1859 angelegt. 1904 ordnete die Stadtgemeinde die Schließung des Friedhofs an. Die 1860 errichtete Zeremonienhalle wurde 1935 abgerissen. Nach der Nazi-Machtübernahme wurde der Friedhof von der Stadtverwaltung „arisiert“. Die Grabsteine wurden entfernt und 1943 eine Baracke für den gegenüberliegenden Kindergarten errichtet. 1953 erhielt die Israelitische Kultusgemeinde Wien als Rechtsnachfolgerin der ausgelöschten Kultusgemeinde St. Pölten die Fläche zurück. Die Baracke wurde 1968 abgerissen und ein Gedenkstein errichtet.



1906 wurde der Neue jüdische Friedhof eröffnet. 1938 zerstörten Nazis einen Teil der Grabsteine. Durch die Kriegsereignisse 1945 wurden weitere Grabsteine zerstört, die Friedhofsmauer durch Artilleriebeschuss stark beschädigt. 1951 ließ die Stadt St. Pölten die Grabsteine wieder aufrichten und verrechnete die Kosten dafür bei der Rückstellung an die IKG Wien. Da nach 1945 fast keine Jüdinnen und Juden mehr in St. Pölten lebten, verwahrloste der Friedhof. 1996 renovierte der private Verein Shalom den Friedhof, er wird seither von der Stadt gepflegt. Im Jahr 2000 wurde die Zeremonienhalle instand gesetzt.



Während der Nazizeit wurden in der Viehofner Au bei St. Pölten zwei Zwangsarbeitslager errichtet. Ein Lager bei der Glanzstoff-Fabrik und ein Lager für jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Ungarn. 1944 wurden jüdische Familien aus Ungarn hierher deportiert, um unter elendsten Bedingungen an der Regulierung des Flusses Traisen zu arbeiten. Von Juli 1944 bis April 1945 waren zu diesem Zweck rund 180 Männer, Frauen und Kinder in drei Baracken untergebracht. Namentlich bekannt sind acht Tote. Anfang April 1945 wurden die Alten, Schwachen und Kranken von der SS erschossen. Die übrigen Häftlinge wurden auf einem Todesmarsch Richtung KZ Mauthausen getrieben. Die meisten kamen dort nie an, sondern starben an körperlicher Erschöpfung oder wurden in willkürlichen Erschießungen umgebracht.


Ob und wo die Opfer der Erschießungen und des Todesmarsches begraben wurden, ist unbekannt. 1966 wurde eine Anlage zur Gewinnung von Sand und Schotter auf dem Areal des Lagers errichtet. Bis 1985 entstand dadurch der heutige Viehofner See. Im Jahre 2003 erwarb die Stadt St. Pölten das Areal. Es wird als Naherholungsgebiet genutzt und ist ein Badesee.


Im Jahr 2009 schrieben die Stadt St. Pölten und das Land Niederösterreich die Errichtung eines Mahnmals aus. Catrin Bolt gestaltete am Gelände der Viehofner Seen Informationstafeln, welche die Situation von 1945 in Luftbildern darstellen. In einem zweiten Projekt versandte Tatiana Lecomte an 20.000 St. Pöltner Adressen Postkarten mit Ansichten von den heutigen Spuren des Lagers und vom Massengrab der 223 in der Nacht vom 2./3. Mai 1945 in Ybbs-Persenbeug (Hofamt Priel) ermordeten ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Der handgeschriebene Standardtext lautete: „Ich bin gesund, es geht mir gut.“ Dieser Satz musste in der NS-Zeit in allen Postsendungen von Lagerhäftlingen an ihre Angehörigen enthalten sein.


Bis zuletzt ließ die St. Pöltner Nazi-Führung Häftlinge, Widerständige und geflohene Soldaten umbringen. Am 14./15. April 1945 wurde die Stadt schließlich von der sowjetischen Armee erobert. Sowjetischer Soldatenfriedhof am städtischen Friedhof St. Pöltens: Hier wurden Soldaten, die bei der Befreiung getötet wurden, bestattet sowie auch später noch in der Besatzungszeit Verstorbene.

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