7.6.2015
In der polnischen Hauptstadt Warschau wurde ein Fußballspiel besucht. Die Hauptsehenswürdigkeiten und die Altstadt waren bereits beim letzten Besuch besichtigt worden. Diesmal gab es Vertiefendes und Ergänzendes dazu.
Das Schloss Ujazdowski (Zamek Ujazdowski) entstand aus einer mittelalterlichen Burg. Von 1620 bis 1624 wurde das Schloss zu einer barocken Festung ausgebaut. Bis zum Zweiten Weltkrieg fungierte das Schloss 150 Jahre lang als Militärkrankenhaus. Wie der Großteil der Warschauer Gebäude wurde das Schloss nach dem Warschauer Aufstand 1944 von der deutschen Wehrmacht in Brand gesetzt und dabei zu 40% zerstört. Nach dem Krieg wurde es nicht wiederaufgebaut, sondern seine Überreste 1954 abgerissen. Ab 1975 wurde es dann aber in frühbarocken Stil wiedererrichtet und beherbergt seit 1985 ein Kunstmuseum.
Eine Gedenktafel am Zaun der deutschen Botschaft erinnert daran, dass im Herbst 1989 insgesamt 6.000 aus der DDR geflohene Deutsche in der damaligen BRD-Botschaft Zuflucht fanden und bedankt sich für die Unterstützung der damaligen polnischen Regierung, der schon kein Kommunist mehr vorstand.
Wandgestaltung einer Hausfassade aus kommunistischer Zeit
Das weithin sichtbarste Zeichen aus der kommunistischen Herrschaft in Polen von 1944 bis 1989 ist der zwischen 1952 bis 1956 von 3.500 Bauarbeitern aus der Sowjetunion errichtete riesige Kulturpalast (offiziell Kultur- und Wissenschaftspalast, Pałac Kultury i Nauki). Das weit ausladende, 231 Meter hohe Gebäude im Stil der Prunkbauten des Stalinismus war und ist für die Warschauer Bevölkerung ein Symbol der kommunistischen Diktatur.
In den letzten Jahren entstand nebenan ein Hochhausviertel, um dem Kulturpalast die Stellung als Landmark zu nehmen.
Überlebensgroße Skulpturen umgeben das Gebäude
Bis zur Entstalinisierung in den 1950er Jahren stand auf dem Buch, das der Herr trägt, auch noch der Name Stalin unter dem Lenins.
Der Kulturpalast beherbergt diverse Museen, Theater, ein Kino etc.
Von der Aussichtsplattform bietet sich eine weite Aussicht über Warschau.
Blick Richtung Altstadt
Es geht doch ziemlich tief hinunter. Die Vergitterung der Öffnungen wurde nach dem achten Selbstmörder, der über die Brüstung gesprungen war, angebracht.
Blicke auf das Stadion Narodowy und das am Abend besuchte Legia-Stadion.
Im Park hinter dem Kulturpalast erinnert ein Denkmal an den Arzt, Kinderbuchautor und Pädagogen Janusz Korczak, eigentlich Henryk Goldszmit, der ab 1912 ein jüdisches Waisenhaus in Warschau führte. 1940 musste das Waisenhaus ins von den deutschen Besatzungsbehörden eingerichtete Ghetto umziehen. Unter den unmenschlichen mörderischen Bedingungen im Ghetto tat er alles für seine Kinder und als die SS 1942 die etwa 200 Kinder des Waisenhauses in das Vernichtungslager Treblinka abholte, bestand Korczak ebenso wie seine Mitarbeiterin Stefania Wilczyńska darauf, die Kinder zu begleiten, um ihnen etwas die Angst zu nehmen. Obwohl Korczak und Wilczyńska wussten, dass dies ihren Tod bedeutete. Sie wurden alle in Treblinka umgebracht.
1940 pferchten die deutschen Besatzer die halbe Million Jüdinnen und Juden aus der ganzen Stadt in ein abgesperrtes Stadtgebiet. Die Lebensbedingungen im Ghetto waren katastrophal, es fehlte an allem, die Menschen starben massenhaft. Bereits nach zwei Jahren waren Mitte 1942 100.000 Menschen an Mangelerscheinungen ums Leben gekommen. Ab Juli 1941 wurden in nur zwei Monaten 250.000 Menschen aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Im April 1943 lebten im Ghetto noch 56.000 Menschen. Den Tod vor Augen wehrten sie sich im April und Mai 1943 in einem bewaffneten Aufstand gegen Abtransport und Ermordung. Der Aufstand wurde von deutschen SS-Truppen blutig niedergeschlagen. Etwa 7.000 Jüdinnen und Juden starben kämpfend. 300 SS-Soldaten konnten sie töten. Die übrigen überlebenden Menschen im Ghetto wurden von den deutschen Soldaten in Massenhinrichtungen vor Ort erschossen oder nach Treblinka deportiert. Wenige konnten über das Kanalsystem entkommen, woran dieses Denkmal erinnert. Sie beteiligten sich großteils dann am allgemeinen Warschauer Aufstand von 1944.
Das Denkmal des Polnischen Untergrundstaats und der Heimatarmee (Pomnik Polskiego Państwa Podziemnego i Armii Krajowej) erinnert seit 1999 gegenüber dem Parlamentsgebäude an den polnischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg.
Im Jahr 2004 wurde 60 Jahre nach den Ereignissen von 1944 das große Museum des Warschauer Aufstandes (Muzeum Powstania Warszawskiego) in den umgebauten Hallen eines ehemaligen Straßenbahn-Elektrizitätswerks eröffnet.
Die auf mehrere Ebenen verteilten Ausstellungsräume beherbergen eine moderne Präsentation. Etwas zu effekthascherisch waren für meinen Geschmack das Beschallen mit Kriegsgeräuschen und die Abdunkelung. Inhaltlich wird eine nationale polnische Geschichtsdarstellung gepflegt, die auf die nationalpolnische Heimatarmee und ihren Widerstand fokussiert. Das Schicksal der halben Million jüdischer Warschauerinnen und Warschauer und der verzweifelte Aufstand im jüdischen Ghetto von 1943 oder die in den sowjetischen Reihen kämpfenden polnische Militäreinheiten werden teilweise erwähnt und keineswegs verschwiegen, aber aufgrund dieser Fokussierung dann doch weitgehend ausgeblendet. Auch findet leider keine Kontextualisierung im Rahmen des Zweiten Weltkriegs und von Aufständen gegen die Nazis in anderen Regionen und Städten Europas statt, obwohl gerade dieser Vergleich die Stellung des Warschauer Aufstands eher noch befördert hätte. Es ist eine nationale Heldengeschichte, die hier ohne zu viele Eintrübungen erzählt wird.
Karte des besetzten und aufgeteilten Polens 1939
Ausweispapiere waren unter der deutschen Besatzung überlebenswichtig, da alle Menschen rassistisch klassifiziert waren und eine Einstufung als deutsch, polnisch, jüdisch, ukrainisch etc. Auswirkungen hatte. Auch half ein Arbeitsausweis gegen eine Verschleppung ins Deutsche Reich, wohin Millionen Menschen zur Zwangsarbeit gebracht wurden.
Bereits ab Dezember 1939 mussten sich alle Jüdinnen und Juden öffentlich als solche kennzeichnen. Die Vorstufe zur Ermordung.
Im besetzten Warschau gab es alle möglichen Einrichtungen, Parks, Straßenbahnen etc., die nur den Deutschen vorbehalten waren.
Während die Gebiete des Deutschen Reichs bis Kriegsende verhältnismäßig ausreichend mit Lebensmitteln versorgt wurden, hungerten die Menschen in den besetzten Gebieten. Am schlimmsten in den jüdischen Ghettos, wo man zu zehntausenden verhungerte. Eine Collage einer Plakatwand, die den Alltag nachempfindbar machen soll, zeigt die Gesichter der Filmschauspieler Hans Moser und Paul Hörbiger. Mit Kinofilmen hielt das Naziregime bis zum Schluss eine Fassade aufrecht, dass alles im Lot sei.
Der deutsche Besatzungsalltag bestand aus Morden. Die Todesstrafe stand auf alles mögliche. Hundertfache, tausendfache, zehntausendfache Hinrichtungen und deren Bekanntgabe per Plakaten sollten Angst und Schrecken verbreiten.
Zeitzeugen erzählen in Filmsequenzen
Bilder der kurzen Freiheit. Nachdem die sowjetische Armee die deutschen Truppen im Juli 1944 in die Nähe Warschaus zurückgedrängt hatte und am Ostufer des Flusses Weichsel stand, wurde ein Aufstand versucht. Zwei Monate dauerten die Kämpfe. Unter riesigen Verlusten an Menschenleben mangels ausreichender Bewaffnung vertrieben die Aufständischen die deutschen Besatzer zunächst. Die britische Luftwaffe kam zu Hilfe, erlitt so tief im deutsch beherrschten Gebiet aber erhebliche Verluste. Der US-Luftwaffe wurde die Zwischenlandung im sowjetischen Gebiet verwehrt. Die sowjetische Armee hielt den Vormarsch an und wartete die Niederschlagung des Aufstands ab. In den sowjetischen Plänen war keine Rolle für ein sich selbst befreiendes Polen vorgesehen.
Ein Bild aus dem Stadtteil Praga. Als Beispiel der Kräfteverhältnisse: Hier waren 3.000 gut ausgerüstete Wehrmachtssoldaten als Besatzungstruppe statdioniert. Sie wurden am 1. August 1939 von 6.500 polnischen Aufständischen angegriffen, von denen als Bewaffnung jeder dritte eine Handgranate (1 Stück) und jeder zehnte eine Pistole hatte. Sie kämpften unter großen Verlusten an Menschenleben bis 4. August in Praga, gingen dann wieder in den Untergrund oder setzten auf das andere Flussufer der Weichsel in die Altstadt über und kämpften dort weiter.
Nach 63 Tagen Kampf waren 200.000 Zivilistinnen und Zivilisten und 20.000 polnische Soldaten getötet worden. Die verbliebenen 300.000 Menschen in Warschau wurden vertrieben oder in KZ deportiert. Dann begann die systematische Zerstörung der Stadt. Haus für Haus sprengten die deutschen Soldaten in der Altstadt und im umliegenden Stadtzentrum alle Gebäude, von denen nach Artilleriebeschuss, Bombardements und Bränden noch etwas übrig war. Es sollte nichts stehenbleiben. 90% der Gebäude im Stadtzentrum westlich der Weichsel waren schließlich zerstört.
Die sowjetische Politik betrachtete die polnische Heimatarmee skeptisch, da sie selbständig agierte und sich zur in Londen residierenden Exilregierung bekannte. Die Heimatarmee unterstützte zwar das sowjetische Vordringen jeweils vor Ort, dann wurden sie aber von der sowjetischen Armee entwaffnet. Nach Kriegsende kämpften bis Ende der 1940er Jahre Partisanenverbände gegen die kommunistische Herrschaft. Im Juli 1945 wurden in der Gegend von Augustów von sowjetischen Einheiten im Rahmen der Bekämpfung des polnischen antikommunistischen Untergrundes, ca. 2.000–7.000 Personen verhaftet und unter Folter verhört. Etwa 600 den Gefangenen wurden verschleppt und ermordet. Bis 1956 wurden im kommunistischen Polen die Heimatarmee und der Warschauer Aufstand von 1956 offiziell kleingeredet oder gar als Teil von Kollaboation dargestellt. Danach wurde der Widerstand in einem geschichtspolitischen Schwenk für das Regime reklamiert. Polizeiüberwachungsfotos eines Treffens ehemaliger Kämpfer des Aufstands 1944.
Im Hof sind auf einer 156 Meter langen Gedenkmauer die Namen von ca. 10.000 namentlich bekannten getöteten Aufständischen vermerkt.
Eien Ausstellung kolorierter Fotos aus dem Warschauer Aufstand.
Eugeniusz Lokajski („Brok“), von dem die wichtigsten Fotodokumente stammen. Er wurde 1944 getötet.
Turm des Neubautrakts mit dem Symbol der polnischen Heimatarmee..
Aus einem Kleinlastwagen wurde 1944 ein behelfsmäßiger Panzerwagen namens Kubus gebastelt. Im Garten des Museums steht eine Replik.
Im Warschauer Stadtteil Wola. Um die Widerstandskraft der Aufständischen zu brechen erschossen die deutschen Truppen in diesem Stadtteil als Terrormaßnahme innerhalb weniger Tage alle 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Alle, vom kleinen Mädchen bis zum alten Greis.
Heute erinnern in Wola daran Denkmäler.
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