Mittwoch, 12. Mai 2021

Museum Niederösterreich – Haus der Geschichte

St. Pölten, 8.5.2021

Das Museum Niederösterreich wurde 1903 als Niederösterreichisches Landesmuseum in Wien (damals war Wien noch Teil Niederösterreichs) gegründet und zog 2002 im Zuge des Auszugs der niederösterreichischen Institutionen aus Wien in den Neubau im Landesregierungsviertel in St. Pölten ein. Nachdem es zunächst nur Natur- und Kunst-Sammlungen gab, wurde 2017 dazu das Haus der Geschichte Niederösterreich eröffnet. Hier wurde die Sport-Sonderausstellung besucht und davor die Dauerausstellung besichtigt.


Die größten Exponate gibt es gleich zu Beginn zu sehen: Ein Wachturm von der Grenzanlage des Eisernen Vorhangs bei Raabs, mit dem der kommunistische Ostblock bis 1989 die Flucht aus seiner Diktatur zu verhindern suchte, sowie der selbstkonstruierte Flugapparat, mit dem 1988 der Tscheche Jiří Rada Zäune, Gräben, Minengürtel und auf Flüchtlinge schussbereite Grenzsoldaten in der Luft überwand und von Adamov u Brna 110 km nach Sierndorf an der March flog. Der Flughängegleiter ist so sichtlich filigran, dass das Risiko der Lebensgefahr der Flucht augenscheinlich ist.


Die erste Lektion ist die Eigenschaft Niederösterreichs als Grenzland und dass nichts in der Geschichte sich immer wieder so sehr verändert und verschoben hat wie Grenzen.


Die Ausstellung ist nicht chronologisch sondern nach 13 Themen geordnet. Das ist spannend, lehrreich und gut gelungen.


Religion lässt Menschen Böses tun. In Vergangenheit und Gegenwart. Ein Beispiel aus der Vergangenheit und für unterschiedliches Handeln von Menschen: „Maria Kropf aus Riegersburg wird im Jahr 1675 bezichtigt, eine Hexe zu sein. Einer ,Untersuchung‘ durch Kirchenvertreter folgt ihre Verbrennung. In der Steiermark werden zwischen 1497 und 1750 152 Personen als Hexen oder Zauberer hingerichtet – etwa doppelt so viele Frauen wie Männer. In Niederösterreich gibt es in etwa diesem Zeitraum fünf Hinrichtungen.“


Barocke Pracht des 17.Jh. wird als sichtbarer Ausdruck der mit Blut und Tod mit militärischer Gewalt des Staates sowie mit öffentlichen Massenveranstaltungen in der katholischen Gegenreformation wiedergewonnenen Macht der katholischen Kirche über die sich von ihr teilweise abgewandt habende Bevölkerung benannt. Das findet man nicht so oft und kann man positiv herausstreichen. „Selbstbewusst feiert die katholische Kirche ihren Triumph; das kommt in der Kunst des Barock auch sichtbar zum Ausdruck. Marienverehrung, Wallfahrten und Prozessionen zeugen nicht nur von großer Volksfrömmigkeit, sondern verhelfen der katholischen Kirche auch zum Durchbruch.“


Im Abschnitt über die Entwicklung der Demokratie hängt ein zur anschaulichen Repräsentation gedachtes Gemälde von Josef Jungwirth, Eine Sitzung des Niederösterreichischen Landtages 1908. Es zeigt die Verteilung der Macht nach dem Wahlsystem in der Habsburgermonarchie. Bis zu deren Sturz und der Gründung der demokratischen Republik 1918 bestand der Landtag des die heutigen Bundesländer Niederösterreich und Wien umfassenden Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns aus 66 Mitgliedern: dem Erzbischof von Wien, dem Bischof von St. Pölten, dem Rektor der Universität Wien, 15 Abgeordneten des Großgrundbesitzes, 28 Abgeordneten der Städte und Märkte sowie der Handels- und Gewerbekammern und aus zwanzig Abgeordneten der ländlichen Gemeinden. Zur Wahl der frei wählbaren Abgeordneten der Städte und Gemeinden waren nur die reichsten Bürger zugelassen, rund 7% der Bevölkerung waren wahlberechtigt. Frauen wurde das Wahlrecht 1888 eigens ausdrücklich verboten – nachdem zuvor das Wahlrecht nur an Reichtum geknüpft war und nicht berücksichtigt wurde, dass Frauen als Witwen oder Erbinnen Besitz erhalten konnten. Dies spiegelt sich zum Beispiel darin, dass es hier mit dem Wiener Albert Sever nur einen einzigen sozialdemokratischen Abgeordneten gab. Zum Vergleich: Bei der ersten freien Landtagswahl der Republik im Jahr 1919 war hier die Sozialdemokratie mit 47% der Stimmen stärkste Partei (Niederösterreich und Wien noch in einem Bundesland zusammen).


Blick in die Ausstellung


Zum Ersten Weltkrieg wird nicht angebliches Heldentum des Töten und Getötetwerdens dargestellt sondern es wird das Leid der großen Kriegsgefangenenlager in Niederösterreich thematisiert. Im Hintergrund etwa ein Bild des Gefangenenlagers in Sigmundsherberg.


Die Beseitigung der Demokratie und die Erichtung einer Diktatur durch den christlichsozialen Bundeskanzler Dollfuß 1933/34 wird in den Kontext der europäischen Entwicklung verbreiteter diktatorischer Regime der 1930er Jahren gestellt (auf der Karte grau) und nicht herausgestrichen, wer Freiheit und Demokratie abschaffte und wer sie erhalten wollte.


Zur Entwicklung der Nazi-Herrschaft und ihrer Verbrechen wird zutreffend hervorgehoben, dass das spätere Morden mit Diskriminierungen und dem Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus dem öffentlichen Leben begann.


Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis wie Mauthausen und Auschwitz, wo ein riesiges auf Mord ausgerichtetes System dahinterstand, und durchaus auf Tötung der politisch andersdenkenden Gefangenen ausgerichtete, aber eher als verbrecherische Spitze denn als systemhaft zu betrachtende Zwangsarbeitslager wie Jáchymov in der kommunistischen Diktatur der Tschechoslowakei in einem zu nennen, ist mir zu sehr an der Oberfläche bleibend.


Immer wieder zu vergegenwärtigen ist, dass der KZ-Komplex der Nazis wie hier an den Außenlagern des KZ Mauthausen und der Tötungsanstalt Hartheim zu sehen, sich über weite Teile des Landes erstreckte und nicht versteckt war.


Wegweiser nach Krems in kyrillischen Schriftzeichen zur Symbolisierung der sowjetischen Besatzung von 1945 bis 1955.


Politische Säulenheilige und das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit.


Eine interessante und mit vielfältigen Informationen und Punkten ausgestattete Zeitleiste begleitet den Raum zur Nachkriegszeit. Dass im Jahr 2003, als gegen die einschneidenden Pensionskürzungen der ÖVP/FPÖ-Bundesregierung für Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellte die vom ÖGB organisierten größten Demonstrationen der Zweiten Republik stattfanden, mit allein 200.000 Menschen am Wiener Heldenplatz, das berichtenswerteste Ereignis ein Spargelessen des SPÖ-Vorsitzenden mit dem FPÖ-Chef war, ist zu hinterfragen. Ein Schelm, wer hier vergeblich ÖVP-Kritik sucht.


Erwill Pröll überwand die Teilung Europas, wenn ich das der überlebensgroßen Bebilderung im Abschnitt über den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 richtig entnehme.


Leitsprüche niederösterreichischer Landeshauptleute dienen als Wegmarken der Geschichte.

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