Samstag, 3. September 2016

Lučenec

3.9.2016

Im slowakischen Lučenec (ungarisch Losonc, deutsch Lizenz) wurde ein Fußballspiel besucht. 28.000 Menschen leben hier.

Der Bahnhof. 1871 wurde die Stadt an das Eisenbahnnetz angeschlossen.



Ende des 19.Jh. entstand hier v.a. Textilindustrie. 1911 beschäftigten alle Fabriken der Stadt 3.800 Arbeiterinnen und Arbeiter. In der Zwischenkriegszeit bestand hier eine starke Arbeiterbewegung. 1927 gab es einen Streik der Textilarbeiterinnen und -arbeiter.


Straßenszene. Lučenec wurde 1247 zum ersten Mal schriftlich als Luchunch erwähnt. Der lateinische Name der Stadt ist Lutetia, ebenso wie der antike Name von Paris. Bis 1844 bzw. 1848 war Latein die Amtssprache im Königreich Ungarn, ehe im Zuge des ungarischen Nationalismus allen Nationalitäten Ungarisch als Amtssprache verordnet wurde.


In vielen Kriegen wurde die Stadt vom 16. bis ins 19.Jh. mehrmals von Soldaten verschiedener Herren niedergebrannt. Eine martialische Statue namens Obranca Novohradu („Verteidiger von Novohrad“) wurde 2002 aufgestellt. Dankenswerterweise gibt es die dazugehörige Inschrift nicht nur auf slowakisch sondern auch auf Latein, das ich dann doch wesentlich besser verstehe. Man ehrt mit der Figur alle Soldaten, die ab 1551 das Komitat für seine jeweiligen Herrscher gegen diverse Feinde in Kriegen verteidigten. Lučenec ist eines der Zentren der Landschaft Novohrad, die bis 1918 unter ungarischem Namen mitsamt Gebieten des heutigen Nordungarns das Komitat Nógrád bildete. Der Name selbst leitet sich von der ehemaligen Burg Neograd ab.


Die katholische Kirche aus dem Jahr 1783.


Die 1851 bis 1853 errichtete reformierte (calvinistische) Kirche.


Der Gebäudekomplex der 1810 entstandenen Redoute (Reduta), die damals ein Offizierskasino beherbergte. Heute gibt es hier neben einem Hotel ein Kaffeehaus im Stil des Wiener Fin de Siècle, als Café Franz Lehar benannt nach dem österreichisch-ungarischen Komponisten, der in der Redoute zwischen 1890 und 1894 mehrmals aufgetreten war.


Das 1894 eröffnete Rathaus. Bis zum Zerfall des Habsburgerreichs war die Stadt Teil Ungarns. Im Jänner 1919 nahm die tschechoslowakische Armee die Stadt für die neugegründete Tschechoslowakei in Besitz. Doch schon im Mai 1919 eroberte die Rote Armee der ungarischen Räterepublik die Stadt mit Teilen der Slowakei, um sie im ungarischen Herrschaftsgebiet zu halten. Eine kurzlebige Slowakische Sowjetrepublik bestand im Juni/Juli als ihr Vasallenstaat. Anfang Juli 1919 vertrieb die tschechoslowakische Armee sie wieder und stürzte gemeinsam mit der rumänischen und jugoslawischen Armee das kommunistische Regime in Budapest, um den ungarischen Großmachtanspruch militärisch zu beenden. Es folgte nach blutigem Racheterror die rechtskonservative Horthy-Diktatur in Ungarn, die als Verbündete Hitlers 1938 Lučenec mit dem Süden der Slowakei wieder besetzte und bis 1945 wieder an Ungarn anschloss. Mehr als 3.000 slowakische Einwohnerinnen und Einwohner flüchteten 1938 aus der Stadt. Nach 1945 wurde die ungarische Bevölkerung großteils vertrieben bzw. zwangsweise nach Ungarn umgesiedelt, wie man das nannte. 1930 waren von den 15.459 Einwohnerinnen und Einwohnern 8.725 tschechoslowakisch, 4.007 ungarisch und 889 deutsch. 2011 lebten hier 28.475 Menschen, davon waren 23.127 slowakisch und 2.660 ungarisch.


Antisemitische Propaganda ist frei erhältlich.


Die evangelische Kirche aus dem Jahr 1784.


Stadtmauer


Hochhäuser


Die Synagoge wurde 1925 von der neologischen jüdischen Gemeinde eröffnet. Das Gebäude wurde 1948 verstaatlicht und dann als Lagerhaus für Kunstdünger benutzt. Ab 1980 stand es leer, erhielt in den 1990er Jahren aber ein neues Dach, um den gröbsten Verfall zu verlangsamen. 2015/16 wurde die Synagoge mit EU-Fördergeld renoviert.


2.100 Jüdinnen und Juden lebten hier in den 1930er Jahren, 17% der Stadtbevölkerung. 1.400 waren neologisch, 200 orthodox. Mit dem Anschluss an Horthy-Ungarn 1938 begannen der Verlust der Grundrechte und die diversen staatlichen Anfeindungen, Verhaftungen, Folter und Morde. 1941 wurde der Großteil der jungen Männer in Zwangsarbeitseinheiten der ungarischen Armee eingezogen, in denen die meisten ums Leben kamen. Mit der deutschen Besetzung Ungarns 1944 begann der Holocaust an den ungarischen Jüdinnen und Juden. Die Jüdinnen und Juden der Stadt wurden in ein Ghetto gesperrt und von dort zur Ermordung ins KZ Auschwitz deportiert.


Nach der Befreiung 1945 versammelten sich bald 400 Jüdinnen und Juden in Lučenec und eine neue jüdische Gemeinde entstand wieder. Die meisten wanderten aber bis 1949 nach Israel aus. Die orthodoxe Synagoge wurde 1969 abgerissen, die neologische Synagoge zum Lagerhaus. Heute leben wenige dutzend Jüdinnen und Juden hier.


Eine spannende Ausstellung in der Synagoge erinnert an Aron Grünhut, der die Rettung von mehr als 1.300 rassistisch verfolgten Bürgerinnen und Bürgern der heutigen Slowakei und der Nachbarländer organisiert hat. Er rettete auch jüdischen Österreicherinnen und Österreichern das Leben.


In der Frauengalerie im Obergeschoß gibt es Ausstellungsstücke zur jüdischen Religion und Überreste der zerstörten einstigen Ausstattung der Synagoge.


Nach der Spaltung der jüdischen Gemeinde 1871 wurde der Neue jüdische Friedhof als Begräbnisstätte der neologischen Richtung eröffnet. Er ist heute noch in Verwendung. 1909/10 wurde eine Leichenhalle in klassizistischem Stil errichtet.


Der Alte jüdische Friedhof stammt aus dem Anfang des 19.Jh. und wurde nach der Glaubensspaltung von der orthodoxen Richtung weiterverwendet. Die letzte Beerdigung fand in den 1940er Jahren statt. Der Friedhof liegt heute mitten in einer Wohnsiedlung.

1 Kommentar:

  1. Mein Onkel Bernhard Jende ist am 13. Januar 1945 an der Straße nach Lucenec gefallen! Bis heute konnten wir keine Grabstätte ausfindig machen!
    Er soll in einem Massengrab begraben sein!

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