Montag, 28. Oktober 2013

Kazerne Dossin

Mechelen, 26.10.2013

In der ehemaligen österreichischen Infanteriekaserne Dossin mitten in der Stadt Mechelen befand sich von Juli 1942 bis September 1944 ein SS-Sammellager, das als Durchgangslager für die Deportation der Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma aus Belgien in KZ diente. Mechelen befindet sich auf halbem Weg zwischen den Großstädten Brüssel und Antwerpen, in denen 90% der jüdischen Bevölkerung Belgiens lebte. Im Rahmen des Holocaust wurden 25.257 Jüdinnen und Juden und 351 Sinti und Roma von hier aus vor allem in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Nur 1.207 davon überlebten, 95% wurden umgebracht. Die Transportlisten, auf denen die Namen der Gefangenen vermerkt waren, sowie das Archiv des zuständigen SS-Sicherheitsdienstes sind erhalten. Neben dem 1988 zu einem Wohnhaus umgebauten Komplex befindet sich das 2012 eröffnete neue Museum.


Im Lager in der Kaserne wurden die Menschen gesammelt, warteten manchmal Tage, Wochen oder Monate bis ein Transport fertig war. Die Deportationen fanden in 28 Zugtransporten statt, der Großteil zwischen August und Oktober 1942. In hundert Tagen wurden damals 17.000 Menschen deportiert. Danach versuchten die meisten Jüdinnen und Juden unterzutauchen. Bis zur Befreiung Belgiens im September 1944 wurden jedoch weitere 8.000 Menschen entdeckt und in den Tod zu geschickt. Ein für die Deportationen verwendeter, restaurierter, Eisenbahnwaggon steht vor der Kaserne.


Denkmal für die Ermordeten.


Im Gebäude des ehemaligen Sammellagers befand sich seit 1995 das Jüdische Deportations- und Widerstandsmuseum. 2012 wurde stattdessen daneben ein großer Museumsneubau eröffnet.


Blick von der Dachterrasse des Museums auf die Dossin-Kaserne.






Kazerne Dossin
Memoriaal, museum en documentatiecentrum over holocaust en mensenrechten
(Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum Holocaust und Menschenrechte)






Das Museum zeigt die Geschichte des Sammellagers und der Judenverfolgung in Belgien und bindet sie in die Geschichte des Holocausts ein. Daneben werden auch andere Menschenrechtsverletzungen und Genozide bis in die Gegenwart angesprochen.


Eine sehr gute interaktive Darstellung läßt einen in anschaulicher Weise unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Ländern bei der Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden erfahren. In Belgien wurden fast die Hälfte der Jüdinnen und Juden umgebracht, aber 56% konnten durch Flucht oder in Verstecken überleben. In den benachbarten Niederlanden wurden dagegen 75% aller Jüdinnen und Juden umgebracht.


Der erste Teil der Ausstellung widmet sich dem Phänomen Masse und beleuchtet die Geschichte des Antisemitismus und die Entstehung des Nazismus.


Recht deutlich wird, daß die Diskriminierung, Entrechtung, Verfolgung und schließlich Ermordung so vieler Menschen nicht ohne den Verwaltungsapparat des besetzten Belgiens funktioniert hatte. Beamte erstellten Listen und setzten Anordnungen um. Polizisten führten in manchen Städten Razzien durch, bei denen anstatt Verbrechern jüdische Familien verhaftet wurden. In anderen taten sie dies nicht.


Ein Beispiel des bürokratischen Verwaltungsapparats des Holocausts: Die Einberufung eines Juden zur Zwangsarbeit in die Dossin-Kaserne. Er überlebte nicht.


Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich der Angst. Individuelle Biographien und Lebensentscheidungen sowie Widerstandshandeln werden dargestellt.


Der dritte Teil der Holocaust-Ausstellung handelt vom Tod. Von Mord. Von den Millionen Menschen, die erschossen wurden, in den Ghettos zugrunde gingen, in KZs starben oder in den Vernichtungslagern vergast wurden.


Es ist nicht in Worte zu fassen und doch muß man sich dem Grauen stellen. Die nicht zum ersten Mal gesehenen und doch immer wieder in ihrer Wucht unfaßbaren Bilder der Massenerschießung von Frauen und Kindern im Oktober 1942 bei der sogenannten Liquidierung des Ghettos in Mizocz (damals Polen, heute Ukraine) durch SS-Männer, einfache deutsche Polizisten und ukrainische Hilfstruppen.


Neben den drei Ebenen zum Holocaust gibt es immer Hinweise zu anderen Beispielen von rassistischen Diskriminierungen wie z.B. Apartheid in Südafrika oder der europäische Kolonialismus in Afrika (die belgische Rolle dabei wird nicht gerade überbetont), Verfolgungen wie z.B. das zeitweise und regional verbreitete Lynchen von Afroamerikanern in den USA im 19./20.Jh. oder zu Völkermorden der Gegenwart wie in Ruanda.


Im obersten Stockwerk gibt es Wechselausstellungen. Derzeit eine bedrückende Ausstellung der Fotografin Claudia Heinermann über die Witwen von Srebrenica.

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