Donnerstag, 24. November 2011

Blätter, November 2011




Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 11/2011
128 S.







Neben interessanten Berichten zur politischen Lage in Spanien oder zum Umgang der deutschen Politik mit dem Völkermord des wilhelminischen Kaiserreichs in seiner einstigen Kolonie Namibia stechen vor allem zwei spannende Artikel heraus:

Das lange Leben des Neoliberalismus ist ein Beitrag von Colin Crouch betitelt, der auf seinem aktuellen Buch Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus fußt. Er befaßt sich mit der Frage, warum die katastrophale Finanzkrise an der herrschenden Ideologie nichts geändert hat und diese weiterhin fröhliche Urstände feiert. Zentral ist dabei seiner Ansicht nach, daß die politische Debatte, „die allein um das Verhältnis von Markt und Staat kreist“, einen entscheidenden Punkt verfehlt. Nämlich den Umstand, daß „der real existierende Neoliberalismus bei weitem nicht so sehr auf die freie Marktwirtschaft setzt, wie es seine Theorie behauptet. Stattdessen beruht er auf dem politischen Einfluß von Großkonzernen und Banken.“ Es geht also um eine klassische politische Machtfrage.
„Da die Politiker“, schreibt Crouch in eigentlich unzulänglicher Verkürzung mit Zielrichtung auf die herrschende Politik, die mehr ist als die Summe politisch agierender Individuen, „die neoliberalen Vorurteile gegen staatliche Interventionen teilen, die wachstumshemmende Wirkung von Regulierungen fürchten und glauben, dass ihnen die Manager des privaten Sektors in beinahe jeder Hinsicht überlegen sind, vertrauen sie immer mehr darauf, dass sich allgemeine gesellschaftliche Ziele (nur) durch die Selbstregulierung von Großkonzernen erreichen lassen.“ Nicht um die klassische Alternative Markt oder Staat geht es nach Crouch, sondern um (Rückkehr zum?) Primat politischen Handels gegenüber politischer Selbstaufgabe in der Krise angesichts der Macht von Banken und Großkonzernen.

Von Meredith Haaf gibt es in der Blätter-Ausgabe Auszüge aus ihrem Buch Heult doch. Sie schreibt darüber, warum ihre Generation (sie ist Jahrgang 1983) „endlich erwachsen werden muss“. Es sei die Generation der „TINA-Kinder“, geprägt von der von einem Ausspruch von Margaret Thatcher geprägten Konstante „There Is No Alternative“, die ihr Leben begleitet: „Im Namen der Zukunft wird an der Gegenwart gespart, um die Vergangenheit zu bezahlen. Am meisten leiden darunter, grob gesagt, zwei soziale Gruppen: diejenigen, die ohnehin arm sind. Und diejenigen, die erst im Begriff sind, an wirtschaftlichen Zusammenhängen teilzunehmen.“ Viele befänden sich in der paradoxen Lage, in einer finanziellen Sicherheit aufgewachsen zu sein, „die uns zu materiell extrem anspruchsvollen Menschen gemacht hat“, gleichzeitig aber schlechtere Chancen als die Elterngeneration zu haben, diesen Wohlstand zu halten.
„Ich lebe über meine Verhältnisse. Dafür bin ich verdammt gut angezogen“, schreibt Haaf, „twitterte eine Bekannte, und ich mußte lachen, weil ich so viele Menschen in meinem Alter kenne, auf die das zutrifft, aber so wenige, denen wirklich klar ist, dass ihr Anspruch, verdammt gut angezogen zu sein und dafür viel Geld ausgeben zu können, keine materielle Grundlage hat.“
Dies müsse aber nicht so sein. „Bevor wie die Kritik aufgeben, sollten wie erst einmal wieder zu ihr finden. ... Wir müssen nicht als plappernde, erschöpfte Hüllen durchs Leben gehen, immer konzentriert darauf, die Vorgaben zu erfüllen und nicht durchs Raster zu fallen.“ Sie bemerkt und kritisiert dies auch an ihrer eigenen Biographie. „Wir müssen nicht immer nur zuschauen. Es gibt eine Alternative. Man muss sie nur suchen.“

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