Freitag, 30. September 2011

Blätter, Juli 2011




Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 7/2011
128 S.







Der interessanteste Artikel des Hefts ist der Beitrag von Michal Bodemann über eine Lektion in Multikulti aus der Geschichte der USA. Er erinnert angesichts der Debatte um „Integrationsunwilligkeit“, „Parallelgesellschaft“ etc. an die „hochgradig geschlossene Gruppe“ der deutschen Immigration in den USA um 1900, mit eigener Sprache, eigenen Vereinen, Schulen, Feiertagen und Weltanschauungen. Er analysiert, wie aus dieser Parallelgesellschaft ein assimilierter Teil der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft wurde und wie überaus konfliktreich dies ablief.

Weiters interessant ist ein Artikel von Jonas Gabler über Fußball als Männerbund und Die Rolle der Frauen in der Fankultur. Der Artikel ist für das Zielpublikum in einer politischen Zeitschrift geschrieben und bietet daher für meinereinen Fußballverrückten wenig tiefgehend Neues.

Sonntag, 25. September 2011

Schloß Ambras

Innsbruck, 24.9.2011

Es war wenig Zeit vor dem Fußballspiel, doch ein bisserl Kultur ging sich aus, schließlich liegt das Schloß Ambras nur eine Busstation vom Stadion entfernt. Drei Minuten mit dem Postbus den Berg hinauf.
Der Name kommt von der lateinischen Bezeichnung ad umbras („im Schattigen“). Auch wenn die Anlage auf der Schattenseite des Tales liegt, präsentierte sie sich in strahlender Herbstsonne.

Das sogenannte Hochschloß mit dem davor liegenden Spanischen Saal. Im Jahr 1078 bestand hier bereits eine Burg, sie wurde aber bereits 1133 zerstört. Im 13.Jh. wurde die Burg wiederaufgebaut, zur landesherrschaftlichen Festung und schließlich im 15.Jh. repräsentativ ausgebaut. Im 16.Jh. wurden die dicken Burgmauern mit Fenstern durchbrochen und die Fassade einheitlich gestaltet.


Im Schloßpark (ein englischer Landschaftsgarten) gibt es allerlei Tiere. Ein hübsches Exemplar eines schwarzen Schwans scheint dabei ein wenig zum Inventar zu gehören, watschelte unter herzlicher Begrüßung quer über den Schloßhof zum Museumsshop und wurde dort vom Angestellten zwar am Eintritt gehindert, aber freundlich gefüttert.


Der zu Füßen des Hochschlosses liegende Spanische Saal wurde 1507 begonnen. Er wurde als herrschaftlicher Speisesaal errichtet und mit Fresken verziert, die eine bis ins 18.Jh. fortgeführte Herrschergalerie Tirols (ab 1365 Habsburger) zeigen.


Da der Saal direkt an den Felsen gebaut wurde, waren die Fresken bereits im 17.Jh. stark von dessen Feuchtigkeit beschädigt. Im 19.Jh. wurden die Wand neugebaut und die Fresken rekonstruiert.


Der rundum freskenverzierte Innenhof des Schlosses (Blick aus dem dritten Stock). Durch die Malerei von architektonischen Elementen wurde der Burghof im Zuge des Umbaus zum Renaissanceschloß im 16.Jh. optisch verbreitert.


Detail der Innenhof-Fresken.


In den Räumen des Schlosses ist eine Portraitgalerie der Habsburger zu sehen.


Die Galerie geht auf die Sammlungen des Erzherzogs Ferdinand II. Ende des 16.Jh. zurück. Zur Kunstsammlung gehörte auch eine Bibliothek kostbarer Schriften. Die Bestände befinden sich heute in der Nationalbibliothek in Wien und in der Innsbrucker Universitätsbibliothek. Einige schöne alte Bücher sind auch heute hier ausgestellt. Fast noch faszinierender sind drei große Tische mit eingebautem Stauraum, die zur Bibliotheksausstattung der zweiten Hälfte des 16.Jh. gehörten.


Im 1567 erichteten Bad der Philippine Welser, Frau von Ferdinand II.
Das Vorzimmer ist mit thematisch entsprechenden Fresken geschmückt. Das 1,5 Meter tiefe Becken aus Kupferblech (mit eingebautem Hocker als Sitzgelegenheit) ist ebenso zu sehen wie der dazugehörende Heizraum nebenan. Sehr spannend, zumal waschen damals ja auch im Adel nicht state of the art war.



Blick aus dem Hochschloß über den Garten auf den unteren Teil, in dem die Rüstkammer untergebracht ist, wo Waffen und Rüstungen ausgestellt sind. Ein Besuch darin ging sich zeitlich nicht mehr aus, das Umbringen und Verletzen von Menschen und die dazugehörigen Gerätschaften sind aber ohnehin vergleichsweise weniger im Zentrum meiner Interessen.

Montag, 19. September 2011

Óbuda (Budapest)

18.9.2011

Zwischen zwei Fußballspielen in Budapest an Vormittag und Nachmittag wurde ein kleiner Rundgang in Óbuda (Alt-Buda) unternommen. Dies war eine der drei historischen Städte, die 1873 mit Buda (Ofen) und Pest zur neuen großen Hauptstadt Budapest vereinigt wurde. Die Budaer Donauseite ist der am ältesten besiedelte Teil der Stadt. Im heutigen Óbuda wurde im Jahr 89 das römische Militärlager Aquincum errichtet. In ihrer Blütezeit im 2./3.Jh. wurde daraus eine Stadt von 60.000 Menschen und die Hauptstadt der Provinz Unterpannonien. Im 19. Jahrhundert stand die Kleinstadt Óbuda aber klar im Schatten des seit dem 13.Jh. als Königsstadt fungierenden Buda und des zur Metropole und Großstadt gewachsenen Pest am gegenüberliegenden Donauufer.

Der barocke Fő tér (Hauptplatz) von Óbuda verströmt kleinstädtische Atmosphäre. Man würde es kaum glauben, hier in einer Millionenstadt zu sein, wenn sich nicht dahinter große Wohnbauten des 20.Jh. erheben würden.


Ums Eck in der Laktanya utca steht auf einer Verkehrsinsel die Figurengruppe Wartende mit Schirmen des 1923 geborenen Bildhauers Imre Varga. Weitere seiner Werke befinden sich nebenan in einem Museum.


Beeindruckend sind die Ruinen des großen römischen Amphitheaters aus dem 2.Jh. (es ist dies die Arena der Militärstadt, es gibt noch eine zweite kleinere in der Zivilstadt). An einer Seite ist noch ein Teil der Bogenkonstruktion erhalten, die Ausgrabung der Grundmauern läßt die einstige Größe des Runds gut erkennen. 10.000 bis 12.000 Menschen paßten hier einst hinein, um zum Gaudium dem Töten und Sterben von Menschen und Tieren beizuwohnen.




Dem Lauf der heutigen Straße Pacsirtamező utca folgend kommt man an einigen weiteren schönen Überresten aus der römischen Antike vorbei, die frei zu besichtigen sind. Der Besuch des Aquincum-Museums wurde auf ein anderes Mal verschoben.




Die Straßenunterführung am Flórian tér ist mit einer Vielzahl an römischen Artefakten geschmückt und daher trotz äußerer Nüchternheit die kunsthistorisch bemerkenswerteste Unterführung der Stadt.


Unter den großen Pfeilern der Autostraße am Flórian tér liegen heute die Reste des einstigen Großbadeanstalt (Thermae maiores) der römischen Militärstadt. Die Anlage wurde im 2.Jh. errichtet und mehrmals umgebaut.

Donnerstag, 15. September 2011

Prokla 161




PROKLA 161
Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft
40.Jg., Nr.4, Dezember 2010
171 S.






Nach elf Jahren wieder eine Prokla-Ausgabe zur kapitalistischen Entwicklung in China. Man stellt fest, wie alt man ist: Ich dachte, das vorige Themenheft wäre vor jüngerer Zeit erschienen, doch die Nachschau im Regal belehrte eines Besseren.
Spannend ist Gerhard Armanskis Artikel über Chinas Abgang von der Weltbühne, in dem er sich damit beschäftigt, warum Chinas Wirtschaft und Staat bis ins 18.Jh. Europa ebenbürtig bis überlegen war, aber dann stagnierte, die westliche Industrielle Revolution und geistige Moderne auch nicht wie Japan in einer nachholenden Entwicklung aufnahm und zurückfiel. Skeptisch stimmt allerdings sein Hohelied auf die KP am Ende des Essays.
Tobias ten Brink beschäftigt sich mit Chinas Rolle in Ostasien und Jörg Goldberg mit seiner wirtschaftlichen Expansion in Afrika, wo der Usus, Projekte mittels chinesischer Arbeitskräfte zu errichten, mittels chinesischer Warenlieferungen auf Kredit vorzufinanzieren und „schlüsselfertig“ zu übergeben nicht nur positiv gesehen wird.
Zur Diskussion um die Interpretation der wachsenden sozialen Proteste und Arbeitsunruhen bietet das Heft eine Übersetzung des Artikels Chinas as an Emerging Epicenter of World Labor Unrest von Beverly J. Silver und Lu Zhang mit der These „Wo das Kapital hingeht, folgt der Konflikt zwischen Arbeiterklasse und Kapital bald nach“ mitsamt einem weiteren Text zum Thema von Florian Butollo.

Samstag, 10. September 2011

Wels

9.9.2011

Die zweitgrößte Stadt Oberösterreichs, mit 59.000 hier lebenden Menschen größer als etwa St. Pölten, war für mich lange ein blinder Fleck auf der Landkarte, was schlicht daran liegt, daß hier seit Jahrzehnten kein Spitzenfußball mehr gespielt wird. Die fußballerische Verortung ist ein entscheidender Baustein in meinem geographischen und assoziativen Koordinatensystem. Daher war ich noch nie hier, wenn man von einem Aufenthalt bei einem Musikfestival im Jahr 1997 absieht, wo ich aber außer dem Genuß von Heavy Metal in verschiedener Spielart und dem Festivalgelände nichts gesehen habe.
Diese Lücke wurde nun geschlossen. Der Besuch eines Fußballspiels führte hierher. Neben der Besichtigung von eins zwei drei vier anderen Sportplätzen wurde die Altstadt erkundet.

Burg Wels. 776 wird eine Burg in Verbindung mit der Siedlung erwähnt, im 12./13.Jh. wurde aus dem Holzbau eine steinerne Festung. Zwischen 1508 und 1514 wurde die Anlage unter Kaiser Maximilian I., der hier starb, in spätgotischem Stil umgebaut und bietet heute samt kleinem Park davor einen schloßartigen Anblick.


Wels liegt am Fluß Traun.


Schönstes Haus am Stadtplatz ist das Hoffmann'sche Freihaus zwischen Burg und Stadtpfarrkirche. Die Fassade ist mit sehr schönen Fresken aus dem 16.Jh. verziert, die erst 1956 bei einer Renovierung wieder freigelegt wurden. 1552 war das Haus in den Besitz der Freiherren von Hoffmann gekommen und zum Freihaus geworden, unterstand als Adelssitz also nicht der Stadtgemeinde. Bekannt ist das Haus auch dadurch, daß hier von 1611 bis 1633 Salome Alt wohnte, seinerzeit Lebensgefährtin des Fürsterzbischof von Salzburg (die Sache mit dem Zölibat war für die Herrschaft eher eine unverbindliche Empfehlung als eine Verpflichtung).


Der langgezogene Stadtplatz ist durchaus nett. Der Platz dürfte auf das 13.Jh. zurückgehen. Blick auf den Turm der Stadtpfarrkirche.


Stadtplatz, Blick in die andere Richtung, auf den Ledererturm.


Die Fassaden der Häuser am Stadtplatz sind aus dem Barock, der Kern der Häuser ist aber meist viel älter und stammt aus Mittelalter und Renaissance. Die Modeerscheinung der Renaissance, luftige mediterrane Arkadenhöfe, ziert einige Innenhöfe der Häuser.


Bemerkenswert ist ein Rundmedaillion mit einem römischen Relief, das in eine Hausfassade am Stadtplatz eingearbeitet wurde. In Wels war im Bereich der heutigen Altstadt vom 1. bis 4. Jh. die römische Stadt Ovilava. Bis ins 18.Jh. wurde die Skulptur als mittelalterliche Darstellung eines Ehepaars, das die Pest überlebt habe, interpretiert, bis es als römisches Kunstwerk erkannt wurde.


Der Ledererturm oder das Lederertor, einziges erhaltenes mittelalterliches Stadttor (13.Jh.), nachdem die weiteren drei Tore zur Altstadt für den wachsenden Verkehr des 19.Jh. abgerissen wurden. Das heutige Aussehen des Torbaus stammt aus den Jahren 1616/19, das Dach aus dem Jahr 1771.


An der Ringstraße außerhalb des Altstadtkerns steht das viktorianisch anmutende Alte Sparkassengebäude. Es wurde 1901 bis 1904 nach Plänen des für seine vielen Theaterbauten bekannten Wiener Architektenbüro Helmer und Fellner errichtet und beherbergte von 1904 bis 2002 auch das Stadtmuseum.

Donnerstag, 8. September 2011

Datum 9/11




Datum
9/2011
98 S.







Die Artikel über Biofleisch und über religiöse Spannung in Ägypten habe ich mit Interesse gelesen.
Sonst einmal ein Heft, das für mich relativ wenig Interessantes bot. Die Sozialversicherungsstory beleuchtet wohl einen für die Betroffenen wichtigen Punkt, vermag mich aber nicht zu enragieren.

Montag, 5. September 2011

Bratislava

4.9.2011

Zwischen zwei Fußballspielen am Vormittag und Nachmittag ein kleiner Abstecher zu einem markanten Gebäude und anschließend ein Spaziergang durch die bekannte Altstadt.

Einen erstaunlichen Anblick bietet das Gebäude des Slowakischen Hörfunks (Slovenský rozhlas), das in der einzigartigen Form einer umgedrehten Pyramide (Obrátená pyramída) errichtet wurde. Nach langer Bauzeit wurde 1984 der Sendebetrieb aufgenommen. Zumindest von außen wirkt das 80m hohe Gebäude heute aber bereits überaus renovierungsbedürftig.


Am Hauptplatz (Hlavné námestie) stand eine Bühne, wo gerade eine Folkloregruppe ihre Weisen ins Mikrophon mehr schrie als trällerte.

Donnerstag, 1. September 2011

Transit 38



Transit 38
Europäische Revue
Winter 2009
191 S.







Timothy Snyder beschäftigt sich in seinem Artikel Der Holocaust: die ausgeblendete Realität mit einer Neubewertung der Geographie der Verbrechen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Eine Vorstudie zu seinem nunmehr bereits erschienenen und allerorts hymnisch gelobten Buch Bloodlands.
Wie Auschwitz, das unseren Blick auf die westeuropäischen Opfer des NS-Regimes konzentriert, und damit die osteuropäischen Opfer, die oft in Massenerschießungen ermordet wurden, übersehen läßt, wie Synder schreibt, lenkt uns auch der Gulag mit seinen berüchtigten sibirischen Lagern vom geographischen Zentrum der sowjetischen Mordpolitik ab. Auf Auschwitz und den Gulag fixiert, übersehen wir, dass in einem Zeitraum von zwölf Jahren, zwischen 1933 und 1944, rund zwölf Millionen Menschen der nationalsozialistischen und der sowjetischen Politik des Massenmords zum Opfer fielen, und zwar in einer Region Europas, die mehr oder weniger deckungsgleich mit den heutigen Territorien Weißrußlands, der Ukraine, Polens, Litauens und Lettlands ist. Snyder denkt die Verbrechen unter Hitler und Stalin in ihrer Eigenschaft als Verbrechen zusammen und ist darin fern von ideologischer Gleichsetzung. Ihm geht es um eine fehlgeleitete Begrifflichkeit, mit einer solchen Zentrierung auf Berlin und Moskau laufen wir Gefahr, die Tatsache zu übersehen, dass sich die Massenmorde vorwiegend in den zwischen Deutschland und Rußland gelegenen Gebieten, nicht in Deutschland und Rußland selbst ereigneten. Zu diesem Zweck differenziert er auch zwischen russischen und weißrussischen sowie ukrainischen Opfern, die zumeist als als russisch wahrgenommen werden.

Weiters gibt es in dieser Ausgabe noch interessante Beiträge von Lynne Viola über die Selbstkolonisierung der Sowjetunion durch den Gulag der 1930er Jahre, die mörderische deutsche Wirtschaftsplanung für die 1941 besetzte Sowjetunion (Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern heißt es hierbei nüchtern) und die militärische Aufrüstung der Ostblockländer gegen Tito-Jugoslawien Anfang der fünfziger Jahre.