5.11.2015
Im westböhmischen Pilsen (tschechisch Plzeň) wurde ein Fußballspiel besucht. 168.000 Menschen leben hier. Es war der zweite Stadtspaziergang hier nach einem ersten Besuch im Jahr 2011.
Der Pilsener Hauptbahnhof (Plzen hlavní nádraží) wurde 1907 eröffnet und glänzt in prächtigem Jugendstil. Nach schwerer Zerstörung durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg im Frühjahr 1945 wurde er in der Nachkriegszeit wiederhergestellt. Die künstlerische Ausgestaltung der Haupthalle, die Arbeiter zeigt, stammt aus jener Zeit.
Denkmal für die von den deutschen Besatzern 1939 bis 1945 umgebrachten Pilsener Eisenbahner.
Denkmal für die Tschechoslowakischen Legionen, die im Ersten Weltkrieg auf alliierter Seite gegen Österreich-Ungarn und im zweiten Weltkrieg gegen Nazideutschland kämpften.
Mitte des 19.Jh. bauten brauberechtigte Bürger Pilsens eine neue Brauerei und setzten 1842 den aus Bayern stammenden Josef Groll als ersten Braumeister ein. Die neue Pilsener Brauart war bald erfolgreich, im Pilsener Bürgerlichen Brauhaus arbeiteten Ende des 19.Jh. bereits 600 Menschen, 1898 wurde die Marke Pilsner Urquell geschützt. 1913/14 überstieg die Jahresproduktion erstmals 1 Million Hektoliter. Neben dem Bürgerlichen Brauhaus entstand 1869 die Erste Pilsener Aktienbrauerei mit der Marke Gambrinus. In der kommunistischen Tschechoslowakei wurden beide Brauereien verstaatlicht und zusammengeschlossen. 1992 bis 1994 wurde das Unternehmen privatisiert und erhielt den Namen Plzeňský Prazdroj a.s. („Pilsner Urquell AG“).
Die Sokol-Turnhalle.
Straßenszene. In den blutigen Religionskriegen des 15.Jh. wechselte die Herrschaft über Pilsen mehrmals zwischen hussitischer und katholischer Seite. 1417 übernahmen die Hussiten nach einem Putsch die Macht in der Stadt und Pilsen wurde zu einer Hochburg des radikalen Flügels um die Priester Václav Koranda und Jan Žižka. 1420 mussten sie aber die Stadt verlassen und Pilsen wurde wieder katholisch. Von Juli 1433 bis Mai 1434 belagerte ein hussitisches Heer fast ein Jahr die Stadt, konnte sie aber nicht erobern. Bei einem Pilsener Gegenangriff im Jänner 1434 wurde ein von den Belagerern mitgeführtes Kamel erbeutet. In Erinnerung daran ziert seit den 1460er Jahren ein Kamel das Pilsener Stadtwappen.
Straßenszene. Bis 1945 lebten in der Stadt etwa 6.000 Deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden.
Straßenszene. In der seit 1948 kommunistischen Tschechoslowakei kam es am 1. Juni 1953 in Pilsen zu den größten Protesten vor 1968, dem Pilsener Aufstand (Plzeňské povstání). 20.000 Menschen, vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter der Škoda-Werke demonstrierten aufgrund der harten Auswirkungen einer Währungsreform für die Lebensbedingungen gegen das kommunistische Regime. Die Unruhen von Pilsen waren die größten von 130 Streiks und Protesten, die es dazu in der Tschechoslowakei zwischen 2. und 5. Juni 1953 gab. Das Pilsener Rathaus wurde gestürmt, kommunistische Symbole, Möbel und andere Gegenstände aus den Fenstern geworfen. Ab Nachmittag wurde die Demonstration von der Polizei gewaltsam beendet. 250 Menschen wurden dabei verletzt. In Pilsen wurden rund 650 Menschen verhaftet, in Ostrava waren es 84 und in Prag 61. 331 Menschen wurde in 14 politischen Gerichtsprozessen in Pilsen für ihre Beteiligung an den Protesten verurteilt, von außergerichtlichen Repressionsmaßnahmen und Säuberungen waren noch mehr betroffen. Die kommunistische Regierung sah sich aber auch gezwungen, Zugeständnisse für einen verbesserten Lebensstandard der Bevölkerung zu machen.
Das sgraffitoverzierte Renaissance-Rathaus.
Mit dem Bau der gotischen Bartholomäus-Kathedrale inmitten des Marktplatzes wurde mit der Stadtgründung 1295 begonnen. Der 103 Meter hohe Kirchturm ist der höchste Böhmens.
Aussicht vom Kirchturm. Der Hauptplatz, der heutige Náměstí Republiky, ist das Zentrum der 1295 als böhmische Königsstadt gegründeten und planmäßig mit rechteckigen Häuserblöcken und für mittelalterliche Verhältnisse breiten Straßen angelegten Stadt. Der Platz ist einer der größten Marktplätze Europas.
Aussicht vom Kirchturm
Die in maurisch-neoromanischen Stil errichtete und 1893 eröffnete Große Synagoge ist nach der Großen Synagoge in Budapest der zweitgrößte Synagogenbau Europas aus dem 19.Jh. Vor der Besetzung Pilsens durch Nazideutschland 1939 waren von den 125.000 Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt 3.200 jüdisch. Im Jänner 1942 wurden 3.000 Pilsener Jüdinnen und Juden in drei Transporten nach Theresienstadt und andere KZ deportiert und meist ermordet. Das Gebäude wurde zur Nazizeit als Lagerhalle genutzt und blieb so äußerlich erhalten. Nach dem Krieg wurde die Synagoge der jüdischen Gemeinde zurückgegeben. Der letzte reguläre Gottesdienst der nach dem Holocaust nur mehr wenigen Jüdinnen und Juden fand aber 1973 statt. Das verfallene Gebäude wurde schließlich 1995 bis 1998 renoviert und dient seither für kulturelle Veranstaltungen.
Das Denkmal Thank you America erinnert daran, dass am 6. Mai 1945 Einheiten der 3. US-Armee Pilsen von den Nazis befreiten. Ende November 1945 zogen die US-Truppen wieder ab und übergaben Westböhmen an die Sowjetunion. In der kommunistischen Zeit ab 1948 wurde der Umstand, wer Pilsen von der deutschen Besetzung befreit hatte, geflissentlich übergangen und ab 1990 dafür besonders betont.
In einem Kulturzentrum wurde 2005 zum 60. Jahrestag des Kriegsende ein Weltkriegsmuseum namens Patton Memorial eröffnet. Es widmet sich den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs in Westböhmen, der Befreiung durch die US-Soldaten unter General Patton und ihrem Verbleib bis zur vereinbarungsgemäßen Übergabe an die sowjetische Armee im November 1945.
1869 kaufte der Ingenieur Emil Škoda eine 1859 von Graf Waldstein gegründete Maschinenbaufabrik, in der er seit 1866 gearbeitet hatte. Er machte den unter seinem Namen fortgeführten Betrieb zum größten Unternehmen der Habsburgermonarchie. Pilsen wurde zur Stadt der Großindustrie, die Arbeiterinnen und Arbeiter lebten in großem Elend. Erst 1911 bis 1919 begann Škoda mit dem Bau der Arbeiterwohnsiedlung Karlov entgegenzuwirken, für die breite Masse der Menschen bedeuteten Škoda und Pilsen aber weiterhin harte Arbeit und kurzes Leben. Škoda baute Zuckerfabriken, Brauereien, Dampfmaschinen, Bergwerksmaschinen und Eisenbahneinrichtungen. Mit der Zeit verlegte man sich auf die gewinnträchtige Rüstungsindustrie. Ab 1886 baute man Geschütztürme für Kriegsschiffe. 1917 arbeiteten im Ersten Weltkrieg 32.000 Arbeiterinnen und Arbeiter bei Škoda. Am 25. Mai 1917 kam es dabei zu einem Explosionsunglück in der Munitionsfabrik im Pilsner Vorort Bolevec, bei dem 300 Menschen starben. Von 1939 bis 1945 arbeitete die Pilsener Rüstungsindustrie im deutsch besetzten Böhmen für Nazideutschland. Allein im Werk Pilsen arbeiteten 1944 45.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Pilsen und die Škoda-Werke waren deshalb auch Ziel von alliierten Luftangriffen. In der Nachkriegszeit wurden bei Škoda in Pilsen Lokomotiven, Turbinen, Kraftwerksanlagen gebaut sowie schlüsselfertige Industrieanlagen hergestellt und auch im Ausland montiert. Nach der Wende 1989 wurde der Konzern privatisiert und geteilt. Daher tragen heute mehrere verschiedene Unternehmen den Namen Škoda, die zusammen noch die größten Arbeitgeber der Stadt sind. In die Autoproduktion war Škoda 1925 durch Übernahme des Automobilhersteller Laurin & Klement eingestiegen.
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