Montag, 8. Juli 2013

Rechnitz

7.7.2013

Rechnitz (ungarisch Rohonc, kroatisch Rohunac, Romani Rochonca) im Südburgenland wurde am Weg zum Fußballspiel in Schachendorf besucht. Rund 3.100 Menschen leben hier heute.

Die katholische Pfarrkirche am Hauptplatz. Die barocke Kirche stammt aus der Mitte des 17. Jh. und wurde 1850 umgebaut. Im Inneren sind religiöse Wandmalereien aus dem Jahr 1935 zu sehen.


An erhöhter Position gegenüber der Kirche stand bis 1938 die Synagoge der einst großen jüdischen Gemeinde von Rechnitz. Bereits um 1649 gab es hier eine Synagoge. 1718 wurde in barockem Stil ein Neubau errichtet, 1834 erweitert und 1864 renoviert. 1938 wurde sie von den Nazis requiriert. Nach 1945 wurde das Gebäude als Feuerwehrhaus genutzt und schließlich ein Wohnbau errichtet. 1991 wurde eine Gedenktafel angebracht.


Um 1850 erreichte die jüdische Gemeinde mit 850 Mitgliedern ihren Höchststand, sie stellte ein Fünftel der Ortsbevölkerung. Im Zuge der Industrialisierung sowie der sich nach der Verlegung der im Schloß Rechnitz stationierten Militärgarnison verschlechternden wirtschaftlichen Situation, wanderten viele ab. 1934 waren lebten hier noch 170 Jüdinnen und Juden. Die meisten hatten als Kaufleute gearbeitet, zehn Prozent waren Bauern. Nach der NS-Machtübernahme im März 1938 flohen einige Rechnitzer Jüdinnen und Juden nach Wien, von wo diejenigen, die nicht weiter entkamen, in KZ deportiert wurden. Von den in Rechnitz Verbliebenen wurden im April 1938 43 Menschen an der jugoslawischen Grenze ausgesetzt. Da sie dort jedoch als Flüchtlinge nicht einreisen durften, mußten sie bis Juni im Niemandsland der Grenze in einer Scheune hausen, bis eine internationale Hilfsorganisation für sie eine Einreiseerlaubnis erreicht hatte. Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Jugoslawien wurde viele ermordet, einigen gelang die weitere Flucht.


Die tausendjährige Zugehörigkeit zu Ungarn zeigt sich nicht nur in der ungarischen Beschriftung des Brunnens am Hauptplatz, sondern auch in der religiösen Vielfalt. Hier links das evangelische Pfarrhaus (heute auch evangelisches Jugendgästehaus) und die neogotische evangelische Pfarrkirche aus den 1850er Jahren rechts.


Über Jahrhunderte war die bauliche Dominante des Ortes das auf das 13.Jh. zurückgehende Schloß Rechnitz. Ende März bis Anfang April 1945 wurde Rechnitz erst von der sowjetischen Armee besetzt, dann von deutschen Truppen wiedererobert und nach fünf Tagen schließlich wieder von der Roten Armee eingenommen. Das Schloß brannte bei den Kämpfen aus, die Ruine wurde anschließend abgerissen. Hier befand sich der einstige Schloßhof.


Zur Bauernbefreiung in der Revolution von 1848 wurde am 6. Mai 1848 feierlich diese Freiheitssäule aufgestellt. Nach der Niederschlagung der Revolution durch die Habsburger wurde sie bereits 1848 wieder abgetragen. 1898 wurde sie wiederaufgestellt, änderte aber in die folgenden Jahrzehnten ihren Standort einige Male bis sie in den 1970er Jahren entfernt wurde. 1997 wurde sie am Hauptplatz erneut aufgestellt.


Der jüdische Friedhof wurde 1682 angelegt und bis ins 19.Jh. hinein immer wieder vergrößert. Seit 1827 prägt die umlaufende Steinmauer die Außenansicht. Bereits in der ersten Hälfte des 18.Jh. kam es zu ersten antisemitischen Friedhofsschändungen, während der NS-Zeit dann zu großen Zerstörungen. 1988 wurde der Friedhof von der Kultusgemeinde Graz wieder instand gesetzt. Im November 1990 gab es erneut antisemitische Schändungen der Gräber.



Das 1968 aufgestellte Kriegerdenkmal am Schloßpark wurde 1991 durch einen Gedenkstein für vier von den Nazis umgebrachte Rechnitzer Widerstandskämpfer, die vertriebenen und ermordeten Rechnitzer Jüdinnen und Juden sowie die Opfer des Kreuzstadlmassakers vom März 1945 ergänzt.




Gleichförmig steht daneben ein weitere Gedenkstein, der den getöteten und vermißten Soldaten und Zivilpersonen des Zweiten Weltkriegs ein Gesicht gibt. Auch den kommentarlos abgebildeten SS-Männern.



Im Zweiten Weltkrieg wurden in Rechnitz an zwei Stellen Zwangsarbeiter untergebracht, im „Lager Wald“ und in den Schloßanlagen. In den letzten Kriegstagen wurden etwa 600 Zwangsarbeiter, vor allem ungarische Juden, nach Burg transportiert, um bei der Errichtung des sogenannten Südostwalls eingesetzt zu werden. 200 von ihnen, die ausgemergelt und krank nicht mehr arbeiten konnten, wurden nach Rechnitz zurücktransportiert und dort ermordet.


Während eines Fests auf dem Rechnitzer Schloß der Gräfin Batthány-Thyssen ermordeten 15 Festgäste unter dem örtlichen Gestapoführer Franz Podezin in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 die rund 200 schwachen und kranken ungarische Jüdinnen und Juden. Ein möglicher Tatort oder Ort von Massengräbern ist der sogenannte Kreuzstadl am Ortsrand, die Ruine eines ehemaligen Gehöfts.


Die Menschen wurden mitten in der Nacht zu Gruppen von ca. 50 erschossen oder erschlagen. Zwei Zeugen wurden nach 1945 ermordet, um sie an Aussagen vor einem Volksgerichtsprozeß zu hindern. Trotz oftmaliger Suchgrabungen konnten die Gräber der Opfer bis heute nicht gefunden werden. Dies liegt wohl daran, daß sie nicht alle an einem Ort, sondern an mehreren Stellen verscharrt worden sind. Darüber stehen heute vielleicht Häuser oder der 1948 errichtete Fußballplatz. In den 1960er-Jahren wurden 18 Leichen durch Zufall gefunden.


Der Kreuzstadl wurde 1993 nach einer privaten Spendenaktion von Marietta Torberg, dem Bildhauer Karl Prantl und David Axmann angekauft und an den Bundesverband Israelitischer Kultusgemeinden zur Errichtung einer Gedenkstätte übergeben. Viele Informationen bietet die Website kreuzstadl.net. Mit der Erinnerung tat sich Rechnitz lange schwer. Der einstige NSDAP-Gauleiter des Burgenlands Tobias Portschy lebte hier bis zu seinem Tod 1996 als hochangesehene und auch von burgenländischen Landespolitikern hofierte Persönlichkeit.



Einer der umstehenden Bäume erzählt auf einer Tafel die Geschichte des Sándor Székely, dem aus der Zwangsarbeit die Flucht gelang und in Rechnitz durch die Hilfe von Franziska Hutter und der Familie Tomsits überleben konnte.


Daneben wurde im März 2012 ein Open Air Museum eröffnet. Es dokumentiert auf Schautafeln sowie durch Videozeugnisse und Objekte, wie ab Herbst 1944 einheimische Zivilpersonen, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zum Bau der Militärstellung „Südostwall“ gezwungen wurden. Für Zehntausende unter ihnen, Juden und Jüdinnen aus Ungarn, bedeutete das Qual und Ermordung, am Bau oder auf den Todesmärschen Richtung KZ Mauthausen. Die Rote Armee hielt die Stellung nicht im geringsten auf.



Insgesamt waren 300.000 Menschen am Bau des Walles beteiligt. Neben Hitlerjugend, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus den besetzten Gebieten sowie der ortsansässigen Bevölkerung wurden 30.000 ungarische Juden ab November 1944 als Zwangsarbeiter zur Errichtung des Südostwalls verpflichtet. Unmenschliche Behandlung, Unterernährung und Seuchen führten zum Tod von 33.000 Arbeitern durch Krankheit, Erschöpfung oder Erschießung durch die Wachmannschaften. Arbeitsunfähig gewordene Menschen wurden oft gruppenweise erschossen. Von Nord bis Süd im nahezu ganzen Burgenland. Etwas verwundert hat mich an dieser Liste allerdings die Erwähnung von Engerau, da das heutige Petržalka als Stadtteil von Bratislava nicht im Burgenland liegt.


Erinnerung an den 1909 geborenen ungarischen Dichter Miklós Radnóti, der 1944 in Abda bei Győr als Zwangsarbeiter ermordet wurde. Er wurde in ein Massengrab geworfen und konnte bei der Exhumierung nach Kriegsende anhand der Gedichte in seiner Tasche identifiziert werden.


Einprägsam sind die Lebensgeschichten, die aus den nüchternen Zahlen und Daten menschliche Schicksale machen. Wie jenes des Dezső Reichlinger, der 1944 in Budapest zur Zwangsarbeit rekrutiert wurde. Er wurde in Kőszeg von einem Schneepflug gerammt, der ihm beide Beine brach. Er erhielt keine medizinische Versorgung und verbrachte den Winter 1944/45 in einer Baracke liegend. Im März 1945 wurde er nach Rechnitz gebracht, wo er ermordet wurde.

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