Mittwoch, 5. Januar 2011
Das Kreisky-Prinzip
Margaretha Kopeinig /
Wolfgang Petritsch
Das Kreisky-Prinzip
Im Mittelpunkt der Mensch
Wien 2009 [recte 2008] (Czernin Verlag)
239 S.
Über Bruno Kreisky erschienen und erscheinen viele Bücher − gerade anläßlich seines 100. Geburtstags, den er dieser Tage, am 22. Jänner, gefeiert hätte. Sie beschäftigen sich mit Biographie und der Historisierung der Politik Zeit seines Lebens und ich bin wohl der letzte, der historische Literatur nicht gerne liest. Doch gerade anläßlich der nun hereinbrechenden Feierlichkeiten ist das bereits 2009 veröffentlichte Buch der Journalistin Margaretha Kopeinig und des Diplomaten und ehemaligen Kreisky-Mitarbeiters Wolfgang Petritsch eine lohnende Lektüre, da es einen etwas anderen Zugang wählt.
Thema des Buchs ist Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Die Kreisky-Ära 1967/70−1983 unter den Maximen der Vollbeschäftigung und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird durch Interviews mit Mitstreitern dargelegt. Aufschlußreich dabei vor allem die Gespräche mit Ernst Eugen Veselsky, Hannes Androsch und Hans Seidel. Der Bogen reicht und den Anfängen der Politikkonzeption der SPÖ-Wirtschaftspolitik in der Opposition Ende der sechziger Jahre bis zu ihrer Krise in den 1980er Jahren. Die subjektiven Sichtweisen und auch Gegensätze der Gesprächspartner im einzelnen (v.a. Veselsky vs. Androsch und vice versa) stehen nebeneinander. Bewertung und Urteilsfindung überlassen Autorin und Autor der Leserin und dem Leser. Ein Manko.
Die Wirtschaftspolitik der siebziger Jahre bleibt bis heute Gegenstand innenpolitischen Streits. Hier beziehen Kopeinig/Petritsch dann doch klar Position: „Es ist einfach falsch zu sagen − und Wirtschaftswissenschaftler, ehemalige Spitzenpolitiker und Interviewpartner in diesem Buch bestätigen das −, daß wir heute noch die Schulden Kreiskys zurückzahlen. Die Ära Kreiskys ging 1983 zu Ende, die Staatsschulden von damals sind längst getilgt, aber die Infrastruktur, die damit finanziert wurde, ist noch vorhanden und nützt den auf Kreisky folgenden Generationen von Österreicherinnen und Österreichern.“
Der spannende Moment des Buchs ist ein anderer. Kopeinig und Petritsch legen ihr Augenmerk auf das Spätwerk Bruno Kreiskys als elder statesman, seine Tätigkeit als Vorsitzender der Europäischen Kommission für Beschäftigungsfragen („Kreisky-Kommission“) 1986−1989 (initiiert vom Europäischen Gewerkschaftsbund), die Vorschläge zur Umsetzung einer europäischen Beschäftigungspolitik erarbeitete. Der über nationalstaatliche Grenzen hinaus gedachte europäische Politikansatz, mit Investionen im Umweltbereich, in Bildung, Forschung und Innovation ist für seine Zeit bemerkenswert.
Die Beurteilung der Person Kreiskys greift zu kurz ohne gebührende Beachtung dieser letzten Phase seines politischen Wirkens. Sie wurde in der österreichischen Rezeption Kreiskys bisher vernachlässigt. Hier liegen wesentliche Anknüpfungspunkte für eine heutige Politik. Darauf hinzuweisen ist Kopeinigs und Petritschs Verdienst, denn, wie sie schreiben: „Während die EU-Staaten und die Europäische Union als Ganzes punktuell und mit ständig großem rhetorischen Aufwand versuchen, Lösungen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und zunehmende Armut zu finden, fehlt der umfassende Ansatz und/oder der politische Wille dazu.“
Leider liest sich das Buch streckenweise redundant. Der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors wird mehr als oft lobend erwähnt. Daß der Bericht der Kreisky-Kommission Eingang ins Weißbuch der EG-Kommission von 1993 gefunden hat, weiß man spätestens ab der dritten Erwähnung ganz sicher. Der Abschnitt zur Entwicklung der aktuellen EU-Beschäftigungspolitik ist etwas zu institutionenorientiert und daher, wenngleich informativ, langatmig. Der Versuch der Aktualisierung von Kreiskys Spätwerk ist es aber wert, manch formale Trockenheit zu ignorieren und das Buch zur Hand zu nehmen.
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