Donnerstag, 20. Januar 2011
Bruno Kreisky
Wolfgang Petritsch
Bruno Kreisky
Die Biografie
St.Pölten/Salzburg 2010 (Residenz)
420 S.
Das Buch, das man zum 100. Geburtstag Bruno Kreiskys lesen muß. Bisher lag von Wolfgang Petritsch, seinem Mitarbeiter von 1977 bis 1983, ein kürzerer biographischer Essay vor (2000 erschienen), der von ihm nun zu einer wuchtigeren Biographie ausgeweitet und vertieft wurde.
Auch wenn man meint, viel vom Leben Kreiskys zu wissen, man ja schon einiges gelesen hat, bietet das Buch einen interessanten Einblick und bringt manch Neues.
Am spannendsten ist ja immer wieder die erste Hälfte von Kreiskys Leben. Oftmals führte er ja später selbst seine Politik auf seine prägenden Erfahrungen als vom Austromarxismus begeisterter Jugendlicher, politischer Häftling des Austrofaschismus, Flüchting vor dem Naziregime und Exilant in Schweden an. Petritsch liefert hier eine detailreiche und farbige Schilderung, die mit Gewinn und Genuß zu lesen ist.
Tiefe Spuren in der Geschichte der Zweiten Republik hat Bruno Kreisky als Bundeskanzler von 1970 bis 1983 hinterlassen. Vor allem in den ersten Jahren „galt Bruno Kreisky, der ,Mediator der Veränderung‘, schlechthin als Inbegriff des Fortschritts“, wie Petritsch schreibt. „Kreisky verstand es, eine gleichermaßen von den rasanten technologischen Entwicklungen in der Welt angetriebene Aufbruchstimmung geschickt zu nutzen. Von ihm erwarteten nun viele einen österreichischen Weg in die Moderne, den Anschluß an die machtvollen Trends der damaligen Gegenwart.“ Der Modernisierungsschub der siebziger Jahre ist wahrlich nicht zu unterschätzen. Kreisky trug als Kanzler maßgebliche Verantwortung dafür. Vor allem der Reformfurioso der ersten Legislaturperiode mit absoluter Mehrheit 1971−1975 beeindruckt in jeder Hinsicht. Das Österreich vor den damaligen Gesellschafts-, Sozial- und Bildungsreformen ist heute fern wie das 19. Jahrhundert. Über diese Leistungen erfährt man in Petritschs Buch allerdings sehr wenig. Die Person steht hier stärker im Vordergrund als seine (Innen-)Politik. Hier hätte man gerne mehr gelesen. Auch Kreisky in seiner Eigenschaft als Parteivorsitzender kommt mir etwas zu kurz, sowohl in der Oppositions- als auch in der Regierungszeit.
Der aktiven Außenpolitik Kreiskys räumt der Diplomat Petritsch dagegen mehr Platz ein. Kenntnisreich beleuchtet er dessen Versuche, in der Nahostpolitik Akzente zu setzen. Er scheut auch nicht vor harten Urteilen und dem Aufzeigen von Fehlentwicklungen zurück. So sind Petritschs differenzierte Analysen der Konflikte Kreiskys mit Simon Wiesenthal und mit Hannes Androsch eine Stärke des Buchs. Er flüchtet sich nicht in populärpsychologische Ausführungen, sondern analysiert die heftigen persönlichen Auseinandersetzungen anhand zugrundeliegender politischer Konflikte. Ohne Kreiskys nicht zu entschuldigenden Attacken auf Wiesenthal jenseits von gut und böse zu relativieren, beschreibt er als Kreiskys Motiv, Wiesenthal als ÖVP-Parteigänger anzugreifen, was ein größeres Erklärungsmoment besitzt als alleiniges Kaprizieren auf „jüdischen Selbsthaß“ und dergleichen.
Petrisch schöpft in seiner Biographie aus einem großen Fundus an Erinnerungen, Gesprächen und schriftlichen Quellen. Leider kennzeichnet er aber überwiegend nicht, woher sein Zitat kommt oder worauf seine Darstellung fußt. Manchmal läßt es sich aus dem Zusammenhang vermuten. Bei dem hochspannenden Archivstück der Einschätzung des US-Botschafters über die Person Kreiskys aus dem Jahr 1959 versieht Petritsch dies mit einer wissenschaftlich allen Anforderungen entsprechenden Quellenangabe. Bei manchen Bezügen auf andere Personen beruft er sich auf Gespräche oder einen Briefwechsel mit diesen. Doch in Summe bleibt hier leider eine Lücke, die ein dickes Malus des Buchs für eine weitere Verwendung ist.
Dennoch wird man fortan um dieses Buch bei der Beschäftigung mit Kreisky nicht herumkommen. Es ist ein großer Wurf.
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