Mittwoch, 30. Dezember 2009

Datum 12/09



Datum
12/09
98 S.







Fußball ist immer gut. In der lobenswerten Rubrik "Alte Texte" gibt es diesmal einen Ausschnitt aus den letzten Notizen von Ernst Happel vor seinem frühen Tod 1992. Klaus Stimeder setzt sie als gelungenen Kommentar zur Situation der österreichischen Nationalmannschaft ein. Wobei Stimeder, folgt man Text und Kommentierung, das Hauptproblem bei den Spielers (in Happel-Terminologie) zu sehen scheint. Meines Erachtens ist das Problem vielmehr die irrlichternde Strategielosigkeit der gesamten Verbandsspitze ("de Jungan" ist entgegen weitverbreiteter Ansicht kein für sich allein stehendes Konzept). Aber das ist eine andere Baustelle.

Sonntag, 27. Dezember 2009

Blätter, Dezember 2009



Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 12/2009
128 S.








Vor zwei Monaten sorgten in Deutschland Äußerungen eines ehemaligen Berliner SPD-Politikers namens Thilo Sarrazin für etwas Aufregung. Dieser echauffierte sich über "Unterschichtgeburten" sowie darüber, daß "die Türken" Deutschland "durch eine höhere Geburtenrate" "erobern", mit der politischen Ansage, er wolle "generell kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun [...] und perspektivisch keine Transferleistungen mehr für Einwanderer". Gerd Wiegel stellt dazu fest, daß hier eine Differenz zu Forderungen der rechtsextremen NPD nicht mehr vorhanden ist. Aus österreichischer Perspektive, also aus Sicht eines fast schon Abgestumpften, wundert man sich beinahe, daß es hier überhaupt noch Aufregung gibt. Hierzulande ist ein solcher rechter Diskurs in der Mitte angekommen. Einen Ausschluß aus Sozial- und Krankenversicherung für Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft vertritt die FPÖ seit 2006.
Zu Sarrazins bildungspolitischer Philosophie "Benachteiligte aus bildungsfernen Schichten - davon hat Berlin besonders viele. Es gibt auch keine Methode, diese Leute vernünftig einzubeziehen. Es findet eine fortwährende negative Auslese statt." fragt sich (Linkspartei-Mitarbeiter) Wiegel nicht zu Unrecht, "wie dieser Mann Sozialdemokrat werden konnte, wo doch gerade das Aufstiegsversprechen einmal ureigenste sozialdemokratische Position war."
Aus diesen beiden Argumentationssträngen folgert er, Sarrazin sei "das typische Beispiel eines Eliten-Rassismus, der in der deutschen Gesellschaft weit häufiger vorhanden sein dürfte. Anders als die Naziverehrer der NPD steht Sarrazin nicht in der Tradition des rückwärtsgewandten, systemoppositionellen Rassismus, sondern verkörpert einen modernen, mit neoliberalen Ideologiemomenten durchsetzten Wohlstandschauvinismus." Auf österreichisch redet man hier von "Transparenz" und "Transferkonto", um einen sozialpolitischen Kahlschlag auf einem vorbereiteten Neidfundament durchführen zu können.

Albrecht von Lucke stellt Sarrazin mit Sloterdijk als einem weiteren "Denker der Ungleichheit" in einen größeren Kontext: "Seit Jahren geht es den Neo-Nietzscheanern darum, generelle Akzeptanz für ein höheres Maß an Ungleichheit in der Gesellschaft zu schaffen. Offensichtlich mit Erfolg, wie die jüngste Debatte zeigt. Gerade in Zeiten der Krise verbindet sich die Haltung der elitären Meinungsmacher, die in Sloterdijk ihr Sprachrohr gefunden haben, mehr und mehr mit einer immer ausgeprägteren Disposition der von Abstiegsängsten gepeinigten Mittelschichten, die begierig die Sarrazinschen Ressentiments aufgreifen."

Ein wenig Fatalismus zum Jahresende.

Montag, 21. Dezember 2009

ÖZP 2009/3



Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft
2009/3
128 S.







Politische Bildung ist das Schwerpunktthema des Hefts. "Politische Bildung revisited" lautet der Titel, doch eigentlich müßte er als Sukkus der Beiträge "Defizite in der Politischen Bildung" lauten. Von theoretischen Ansätzen bis zur Kompilation empirischer Studien wird zum Thema ein breites Angebot dargeboten.

Am spannendsten ist der Artikel von Anja Besand über unterschätzten Probleme politischer Bildung in Transformationsgesellschaften am Beispiel Rumäniens und Bulgariens, wo die gewohnten "Konzepte und Begriffe ... nicht ohne Weiteres funktionieren".

Donnerstag, 17. Dezember 2009

Arbeit und Wirtschaft, 11/2009



Arbeit & Wirtschaft
Herausgegeben von AK und ÖGB
Nr. 11/2009
46 S.






Informationen zum Thema Arbeitslosigkeit und Arbeitslosengeld im europäischen Vergleich gibt es hier.
Immer wieder wird auch erwähnt, welche enorme psychische Belastung Arbeitslosigkeit bedeutet, da die Betroffenen scheinbar ihre Wertigkeit verlieren und durch gesellschaftliche Resonanz (aber auch z.B. durch AMS-Kurse) vermittelt bekommen, daß zuallererst sie selbst an ihrer Situation "schuld" sind. Was in den allermeisten Fällen angesichts der wirtschaftlichen Lage Blödsinn ist.

Wieder einmal interessant ein Bericht aus dem Ausland, diesmal über den Fall eines Werftarbeiters aus dem italienischen Palermo, der seinen Einsatz für menschenwürdige Arbeitsbedingungen mit Arbeitsplatzverlust bezahlte und nun dagegen ankämpft.

Montag, 14. Dezember 2009

Transit 36



Transit 36
Europäische Revue
Winter 2008/09
185 S.







Viele Monate sind vergangen seit ich das Heft ausgepackt und auf den Stapel zu lesender Zeitschriften gelegt habe. Ein Themenheft zu Klimapolitik - also etwas, das mich herzlich wenig interessiert. Angesichts der tagesaktuellen medialen Berichterstattung über die gegenwärtige Konferenz in Kopenhagen war es dann doch soweit und ich habe die Ausgabe zur Hand genommen.

Jetzt ist es zwar durchaus nicht unspannend, daß ausgerechnet Zauberlehrling (die Geister, die ich rief...) Anthony Giddens über die Notwendigkeit staatlicher Planung und die Vorzüge eines "Gewährleistungsstaats (ensuring state)" gegenüber dem einst präferierten, neoliberal inspirierten "aktivierenden Staat (enabling state)" in der Klimapolitik schreibt. Und Wolfgang Sachs macht mit der Herangehensweise von globaler "Umweltpolitik als Menschenrechtspolitik" bei mir sogar Punkte. Dennoch überzeugt mich das alles nicht.

Der beste Part des Hefts ist der beeindruckende Ausschnitt aus einem Text des 2008 verstorbenden polnischen Historikers und liberalen Politikers Bronisław Geremek aus dem Jahr 1993 über Ausgrenzungen und Solidarität in der Sozialgeschichte. Ein faszinierender Bogen, den er vom Mittelalter in die Gegenwart schlägt. Mit politischer Aussage: "Wo es kein politisches Forum mit klarer Artikulation der Interessen gibt, dort schleicht sich ein verallgemeinernder nationalistischer oder populistischer Diskurs ein, dort sucht man nach Feinden in Ermangelung von Gegnern: Das politische Schachbrett ist leer."

Samstag, 12. Dezember 2009

Widerspruch 56



Widerspruch 56
Beiträge zu sozialistischer Politik
29. Jg. / 1. Halbjahr 2009
240 S.







Gesundheitlichen Auswirkungen von Arbeitsdruck und Wirtschaftskrise widmen sich zwei Artikel in der Ausgabe zum Thema "Krankheit / Gesundheit". Alexandra Lau befaßt sich angesichts einer mediale Aufmerksamkeit erregt habenden Selbstmordserie in Frankreich mit "Suizid und neuen Leiden am Arbeitsplatz". Wurde hier der arbeitsbedingte Selbstmord als neues Phänomen erfaßt, gibt es dafür in Japan bereits seit den 1980er Jahren Forschung und einen Fachbegriff: "'Karojisatsu' ist der Begriff, mit dem ein Suizid infolge von Depression aufgrund von Überarbeitung und Stress am Arbeitsplatz definiert wird. Für das Jahr 2006 wird geschätzt, dass von 32155 Menschen, die sich das Leben nahmen, 5000 als Karojisatsu gelten können. Für Frankreich wird angenommen, dass sich pro Jahr bei knapp 11 Selbstmordfällen 300 bis 400 Menschen aufgrund von Arbeitsüberlastung umbringen", berichtet sie. Lau interpretiert die Selbstmorde als Kehrseite der Identitätsfindung in Individualisierung als Teil eines neoliberalen Gesellschaftswandels.
Karina Becker, Ulrich Brinkmann und Thomas Engel beschäftigen sich unter dem Titel "Gesundheit in der Krise" abseits makroökonomischer Orientierung von Krisenanalysen mit den "Reaktionsweisen von Beschäftigten im Umgang mit dem wirtschaftlichen Abschwung". Sie identifizieren einen Moment des "qualitativen Umschlags" im Verhalten, bei dem als Krisenreaktion das Zurücknehmen und der Schutz der eigenen Gesundheit in den Vordergrund tritt: "Wenn durch die betrieblichen Krisenprozesse der innerbetriebliche Verbleib nicht mehr gewährleistet ist, rückt der betriebsexterne Markt in den Fokus, auf dem eine intakte Gesundheit die eigenen Vermarktungschancen erhöht". Wird der Moment dieses "Wechselns des Referenzmarktes" verpaßt, ist man nach Lektüre des vorgegangenen Beitrags versucht zu sagen, steht am Ende der Exitus.

Weiteres Spannendes bieten Kurt Wyss und Iva Sedlak mit ihrer Kritik der Entkoppelung von Geschlechterfrage und sozialer Frage sowie der Überblick über die Geschichte aktiver Arbeitsmarktpolitik in der Schweiz von Hannes Lindenmeyer, von der Gründung des ersten städtischen Arbeitsamts in Bern 1888 bis zum aktuellen neoliberalen Paradigma des "Druckmachens" versus des gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Konzepts einer éducation permanente".

Dienstag, 8. Dezember 2009

Blätter, November 2009



Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 11/2009
128 S.








Ein Artikel über die ukrainische Geschichtspolitik zur großen Hungersnot 1932/33, als Millionen Menschen sterben mußten, mit Hinweis auf den Kontrast unterschiedlicher Interpretation und des unterschiedlichen Umgangs mit der Stalinzeit in Ukraine und Rußland (von Liny Klymenko und Anne-Katrin Lang).
Informative Berichte über die politische Lage nach Wahlen bzw. die Situation der sozialistischen Parteien in Griechenland, Portugal und Frankreich. Dazu natürlich auch etwas zur am Boden aufgeschlagenen SPD. Hans-Peter Waldrich stellt dazu anläßlich des 40-jährigen Jubiläums deren Godesberger Parteitags 1959 dessen Konzept eines ethischen Sozialismus neu zur Diskussion, verlangt eine Rückbesinnung auf die damalige Debatte: "Denn wie damals steht die Linke heute insgesamt vor der Frage, ob eine freiheitliche und gerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung denkbar ist, die über den Kapitalismus hinausweist - und wie diese beschaffen sein müsste."
Des weiteren formulieren Stefan Grönebaum und Stephan Grüger im Heft instruktive "14 Thesen zur Zukunft der SPD", deren erste lautet: "Das Debakel des Wahlergebnisses verbietet jedes 'Weiter so'". Damit haben sie Recht. Das ist die einzige Chance. Ob die deutsche Partei einen höhere Lernwilligkeit besitzt als ihre österreichische Schwester, die nach 1999 eine zweite Niederlage 2002 benötigte, um zumindest wieder kampagnenfähig zu werden (inhaltliche Schlüsse waren von beschränkter Tiefe und Wirksamkeit)?

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Hamburg

2.12.2009

Ein eiskalter Tag in Hamburg, anläßlich des Spiels von Rapid beim HSV.

Neben dem Millerntorstadion schaut sich unsereiner in St. Pauli die Hafenstraße an, wo in den 1980er Jahren Punk, Hausbesetzungen und Ausschreitungen die Gegend prägten. Heute sieht man noch ein paar bunt bemalte Häuser.


Der Turm der St.Michaelis-Kirche gilt als Wahrzeichen der Stadt, da ihn die Schiffe schon von weitem sahen. Die Turmuhr soll die größte Deutschlands sein. 1906 wurde der barocke (18.Jh.) Kirchenbau nach einem Brand wiederaufgebaut.


Links das Rathaus (1897) am Rathausmarkt, der dank seiner Lage am Wasser tatsächlich sehr venezianisch wirkt.


Überhaupt: Das Wasser. Hamburg liegt am Wasser. Das ist das tatsächliche Highlight der Stadt vom touristischen Standpunkt her. Architektonisch gibt sie nicht wirklich was her. Dazu haben ein großer Brand 1842, die Bombardements des Zweiten Weltkriegs und die bis ins 21.Jh. reichende Hamburger Abriß- und Neubaulust zuwenig alte Bauten übergelassen. Dafür ist das viele Wasser in der Stadt ein großartiger Anblick.


Der Domplatz. Wer sich wundert, wo denn der Dom ist: Das mittelalterliche Bauwerk wurde 1804 abgerissen, weil es dem Bischof von Bremen unterstand. Das mochte man in Hamburg nicht so. An dieser Stelle lag auch die Hammaburg des 9.Jhs., die erste Siedlung hier.


Das Chilehaus aus dem Jahr 1922, seit 1983 Weltkulturerbe. Ein Hauptwerk des Expressionismus in der Architektur, seine Form soll an einen Schiffsrumpf erinnern. Eines der vielen "Kontorhäuser" Hamburgs, Büroburgen aus der Jahrhundertwende 1900, in denen Schiffahrt und Handel verwaltet wurde.


Als Hamburg 1888 in das deutsche Zollgebiet eingegliedert wurde, wurden 20.000 Menschen zwangsweise umgesiedelt und das Hafenarbeiterviertel großflächig abgerissen. Stattdessen wurde die "Speicherstadt" errichtet, um Waren zollfrei zwischenlagern zu können. Der weltgrößte zusammenhängende Lagerhauskomplex. Bemerkenswert durch die neogotische Backsteinarchitektur.


Am Schluß noch eine kleine Tour auf der Elbfähre, um den doch großen Hafen vom Wasser aus zu sehen. Außerdem ist Schifferl fahren ja nett.