Samstag, 12. Dezember 2009

Widerspruch 56



Widerspruch 56
Beiträge zu sozialistischer Politik
29. Jg. / 1. Halbjahr 2009
240 S.







Gesundheitlichen Auswirkungen von Arbeitsdruck und Wirtschaftskrise widmen sich zwei Artikel in der Ausgabe zum Thema "Krankheit / Gesundheit". Alexandra Lau befaßt sich angesichts einer mediale Aufmerksamkeit erregt habenden Selbstmordserie in Frankreich mit "Suizid und neuen Leiden am Arbeitsplatz". Wurde hier der arbeitsbedingte Selbstmord als neues Phänomen erfaßt, gibt es dafür in Japan bereits seit den 1980er Jahren Forschung und einen Fachbegriff: "'Karojisatsu' ist der Begriff, mit dem ein Suizid infolge von Depression aufgrund von Überarbeitung und Stress am Arbeitsplatz definiert wird. Für das Jahr 2006 wird geschätzt, dass von 32155 Menschen, die sich das Leben nahmen, 5000 als Karojisatsu gelten können. Für Frankreich wird angenommen, dass sich pro Jahr bei knapp 11 Selbstmordfällen 300 bis 400 Menschen aufgrund von Arbeitsüberlastung umbringen", berichtet sie. Lau interpretiert die Selbstmorde als Kehrseite der Identitätsfindung in Individualisierung als Teil eines neoliberalen Gesellschaftswandels.
Karina Becker, Ulrich Brinkmann und Thomas Engel beschäftigen sich unter dem Titel "Gesundheit in der Krise" abseits makroökonomischer Orientierung von Krisenanalysen mit den "Reaktionsweisen von Beschäftigten im Umgang mit dem wirtschaftlichen Abschwung". Sie identifizieren einen Moment des "qualitativen Umschlags" im Verhalten, bei dem als Krisenreaktion das Zurücknehmen und der Schutz der eigenen Gesundheit in den Vordergrund tritt: "Wenn durch die betrieblichen Krisenprozesse der innerbetriebliche Verbleib nicht mehr gewährleistet ist, rückt der betriebsexterne Markt in den Fokus, auf dem eine intakte Gesundheit die eigenen Vermarktungschancen erhöht". Wird der Moment dieses "Wechselns des Referenzmarktes" verpaßt, ist man nach Lektüre des vorgegangenen Beitrags versucht zu sagen, steht am Ende der Exitus.

Weiteres Spannendes bieten Kurt Wyss und Iva Sedlak mit ihrer Kritik der Entkoppelung von Geschlechterfrage und sozialer Frage sowie der Überblick über die Geschichte aktiver Arbeitsmarktpolitik in der Schweiz von Hannes Lindenmeyer, von der Gründung des ersten städtischen Arbeitsamts in Bern 1888 bis zum aktuellen neoliberalen Paradigma des "Druckmachens" versus des gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Konzepts einer éducation permanente".

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