Sonntag, 27. Dezember 2009

Blätter, Dezember 2009



Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 12/2009
128 S.








Vor zwei Monaten sorgten in Deutschland Äußerungen eines ehemaligen Berliner SPD-Politikers namens Thilo Sarrazin für etwas Aufregung. Dieser echauffierte sich über "Unterschichtgeburten" sowie darüber, daß "die Türken" Deutschland "durch eine höhere Geburtenrate" "erobern", mit der politischen Ansage, er wolle "generell kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun [...] und perspektivisch keine Transferleistungen mehr für Einwanderer". Gerd Wiegel stellt dazu fest, daß hier eine Differenz zu Forderungen der rechtsextremen NPD nicht mehr vorhanden ist. Aus österreichischer Perspektive, also aus Sicht eines fast schon Abgestumpften, wundert man sich beinahe, daß es hier überhaupt noch Aufregung gibt. Hierzulande ist ein solcher rechter Diskurs in der Mitte angekommen. Einen Ausschluß aus Sozial- und Krankenversicherung für Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft vertritt die FPÖ seit 2006.
Zu Sarrazins bildungspolitischer Philosophie "Benachteiligte aus bildungsfernen Schichten - davon hat Berlin besonders viele. Es gibt auch keine Methode, diese Leute vernünftig einzubeziehen. Es findet eine fortwährende negative Auslese statt." fragt sich (Linkspartei-Mitarbeiter) Wiegel nicht zu Unrecht, "wie dieser Mann Sozialdemokrat werden konnte, wo doch gerade das Aufstiegsversprechen einmal ureigenste sozialdemokratische Position war."
Aus diesen beiden Argumentationssträngen folgert er, Sarrazin sei "das typische Beispiel eines Eliten-Rassismus, der in der deutschen Gesellschaft weit häufiger vorhanden sein dürfte. Anders als die Naziverehrer der NPD steht Sarrazin nicht in der Tradition des rückwärtsgewandten, systemoppositionellen Rassismus, sondern verkörpert einen modernen, mit neoliberalen Ideologiemomenten durchsetzten Wohlstandschauvinismus." Auf österreichisch redet man hier von "Transparenz" und "Transferkonto", um einen sozialpolitischen Kahlschlag auf einem vorbereiteten Neidfundament durchführen zu können.

Albrecht von Lucke stellt Sarrazin mit Sloterdijk als einem weiteren "Denker der Ungleichheit" in einen größeren Kontext: "Seit Jahren geht es den Neo-Nietzscheanern darum, generelle Akzeptanz für ein höheres Maß an Ungleichheit in der Gesellschaft zu schaffen. Offensichtlich mit Erfolg, wie die jüngste Debatte zeigt. Gerade in Zeiten der Krise verbindet sich die Haltung der elitären Meinungsmacher, die in Sloterdijk ihr Sprachrohr gefunden haben, mehr und mehr mit einer immer ausgeprägteren Disposition der von Abstiegsängsten gepeinigten Mittelschichten, die begierig die Sarrazinschen Ressentiments aufgreifen."

Ein wenig Fatalismus zum Jahresende.

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