Sonntag, 17. Januar 2016

Lanciano

16.1.2016

Im mittelitalienischen Lanciano wurde ein Fußballspiel besucht. 35.000 Menschen leben hier.

Die Stadt ist voller religiöser Mythologie. Der Legende nach ist Lanciano, wie der seit der Antike als Anxanum bestehende Ort seit dem 13.Jh. heißt, der Geburtsort des als Heiligen verehrten Longinus. Dies wäre nach dem apokryphen Nikodemusevangelium jener römische Offizier, der dem am Kreuz hängenden Jesus nach dessen Tod einen Speer (die „heilige Lanze“) in die Seite gestochen haben soll. Das Wort „Lanciano“ bezieht sich auf Italienisch auf die Lanze. Die Wundflüssigkeit soll Longinus' Augenleiden geheilt haben, woraufhin er das mit Erde vermischte Blut des Toten am Kreuz gesammelt habe und sich taufen lassen habe.


Eine weitere religiöse Erzählung ist, dass sich in Lanciano im 8.Jh. das erste „eucharistische Wunder“ oder „Hostienwunder“ ereignet habe. Einem Mönch sollen beim Gottesdienst in der der Klosterkirche des Hl. Longinus Zweifel gekommen sein, dass das Brot und der Wein vor ihm wirklich Fleisch und Blut von Jesus seien. Daraufhin hätten sie sich aber tatsächlich in Fleisch und Blut verwandelt. In der Kirche San Francesco del Miracolo Eucaristico werden in einem Reliquienschrein Überreste angebetet, die nach Untersuchung im Jahr 1970 tatsächlich menschliches Fleisch (ein Stück Herzmuskel) und Blutreste aus dem Mittelalter sind. Ob sie vorher Brot und Wein waren, hat die Wissenschaft nicht festgestellt.


Die Basilica di Santa Maria del Ponte („Basilika Unserer Lieben Frau von der Brücke“). Sie trägt diesen Namen, da sie am Ort einer antiken Dreibogenbrücke errichtet wurden, bei der man bei Reparaturarbeiten nach einem Erbeben im Jahr 1088 eine alten Marienstatue mit Kind fand. Das Ereignis wurde zum Wunder Madonna del Ponte erklärt und auf der Brücke eine Kapelle gebaut. Die Madonnenstatue ist eine byzantinische Figur aus dem 8.Jh. Im 14.Jh. wurde die Kapelle durch eine größere Kirche ersetzt, welche die Brücke überdeckte. Die heutige Kirche wurde zwischen 1785 und 1788 errichtet. Mit der Fassade wurde 1800 begonnen, sie blieb im oberen Teil aber unvollendet.


Die Piazza Plebiscito mit dem Stadtturm Torre Campanaria oder Torre civica. Er wurde im 19.Jh. anstelle eines Vorgängerturms neben der Kathedrale errichtet.


Straßenszene


Die beiden Türme Torri Montanare waren einst Teil der Stadtmauern des 11.Jh. bis 15.Jh. Der weiter innen stehende, höhere und schlankere Turm ist der einzige Rest der ältesten Mauer aus dem 11.Jh., er diente später als Wachturm. Der massivere Turm davor war ein Eckturm der Anfang des 15.Jh. errichteten neuen Stadtmauer.


Die Aussicht von den Torri Montanare reicht bis zum Meer.


Einige Teile der Stadtmauer des 15.Jh.


Kirche Sant'Antonio di Padova mit doch sehr hohem Kirchturm


Am 5. Oktober 1943 kam es nach der Ermordung des Widerstandskämpfers Trentino La Barba zu einem Volksaufstand in Lanciano gegen die deutschen Besatzer. Nach dem italienischen Waffenstillstand vom 8. September 1943 wurde Italien von der deutschen Wehrmacht besetzt, die den Krieg fortführte. Trentino La Barba hatte als italienischer Soldat im Krieg gekämpft und wurde wie alle Soldaten mit seiner Truppe von den Deutschen gefangengenommen. Am Weg in ein deutsches Kriegsgefangenenlager konnte La Barba flüchten und in seine Heimatstadt Lanciano zurückkehren. Dort trat er der Widerstandsbewegung, der Resistenza bei. Die Partisanen erbeuteten Waffen und attackierten deutsche Truppen. Bei einem der Angriffe auf deutsche Militärkolonnen wurde er festgenommen und erfolglos gefoltert. Um die Bevölkerung einzuschüchtern, brachte man ihn nach Lanciano, wo er öffentlich an einen Baum gefesselt und aufgefordert wurde, seine Kameraden zu verraten. Nachdem er dies abgelehnt hatte, schnitten ihm deutsche Soldaten vor den von ihnen versammelten Einwohnerinnen und Einwohnern mit einem Dolch die Augen aus dem Kopf und erschossen ihn danach. Am Abend dieses 5. Oktobers 1943 brach daraufhin in Lanciano daraufhin ein Aufstand aus. 47 deutsche Soldaten konnten sie töten, 10 Einwohnerinnen und Einwohner kamen ums Leben. Die Deutschen schlugen den Aufstand mit massivem Militäraufgebot und Einsatz von Panzereinheiten nieder. Danach brachten sie weitere 12 Zivilisten im Racheterror um. Viele Gebäude der Stadt waren bei den Kämpfen zerstört worden. Nicht zuletzt aufgrund der nun starken deutschen Truppenpräsenz wurde Lanciano Ziel der vorrückenden alliierten Truppen, deren Artillerie die Stadt in Schutt und Asche legte. Nach erfolgter Eroberung durch die Alliierten bombardierten dann deutsche Flugzeuge Lanciano. Als Folge der Kamofhandlungen zwischen Oktober 1943 und Juni 1944 war die Stadt zerstört. 500 Einwohnerinnen und Einwohner wurden in jenen Monaten getötet. Das Denkmal aus dem Jahr 1963 erinnert an den Aufstand von 1943.


Die Villa Sorge. Nach dem Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 errichtete das faschistische Regime in dem herrschaftlichen Landhaus der Jahrhundertwende 1900 ein Internierungslager (campo di concentramento) für Frauen. Hier wurden Ausländerinnen aus Staaten, mit denen sich Italien nun im Krieg befand, eingesperrt. Unter ihnen waren auch Jüdinnen, für die hier ein langer Leidensweg begann, der oft in KZs und in den Tod führte. Im Februar wurden die gefangenen Frauen in ein andereres Lager verlegt und aus der Villa Sorge ein Männerlager, in dem vor allem Jugoslawen aus den von Italien besetzten und annektierten Gebieten Jugoslawiens gefangengehalten wurden. Es gab bis auf einen Wasserhahn in einem Aussenhof kein fliessendes Wasser, die hygienischen Verhältnisse waren entsprechend prekär. Das Gebäude war schlecht isoliert und im Winter nicht ausreichend beheizt. Im September 1943 wurden die meisten Gefangegen wegggebracht, Mitte Oktober 1943 wurde das Lager geschlossen. Italien war Kriegsschauplatz geworden und von Süden rollten die alliierten Armeen heran. Die Villa ist in Privatbesitz, das einstige umliegende Grundstück ist heute mit Häusern verbaut. 2007 wurde in einer nahegelegenen Grünfläche eine Gedenktafel angebracht.


Eine Straße wurde vor der Villa Sorge nach Maria Eisenstein benannt. Sie wurde als Maria Luisa Moldauer Steele 1914 in Wien in einer polnisch-jüdischen Familie geboren. 1936 ging sie nach Italien und schloss dort 1939 in Florenz ein Kunststudium ab. Aufgrund der rassistischen Gesetzgebung des faschistischen Italiens wurde sie 1940 als Jüdin verhaftet und in das Lager in Lanciano gesperrt. Sie überlebte und schrieb später ein Buch über ihre Gefangenschaft als Internierte Nr. 6.

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