Mittwoch, 11. März 2009

Österreich. 90 Jahre Republik


Stefan Karner / Lorenz Mikoletzky (Hg.)
Österreich. 90 Jahre Republik
Beitragsband der Ausstellung im Parlament
Red.: Manfred Zollinger
Innsbruck/Wien/Bozen 2008
(Studien Verlag)
636 S.





Das Problem dieses Sammelbandes: Es scheint, daß kein Konzept dahinter steht, sondern es sich um eine Addition von Beiträgen handelt.
So stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien manche Artikel die Anfangsjahre der Ersten Republik behandeln und andere einen Querschnitt über 90 Jahre geben. Dies ist für einzelne Beiträge logisch, im Gesamtzusammenhang klafft allerdings eine Lücke. Die Entwicklung der politischen Parteien ist so etwa auch nach den 1920er Jahren interessant. Die politische Entwicklung der Zweiten Republik wird überhaupt ausgeblendet. "Heiße", aktuellere, politische Konflikte kommen in vielen Artikeln schlicht nicht vor.
Anstelle eines einführenden Beitrags, der eine Klammer skizzieren hätte können, gibt es gerade mal eine Seite "Einführende Bemerkungen" der Herausgeber Karner und Mikoletzky, die ein "Bukett an Aufsätzen" ankündigen. Man muß "keinen Anspruch auf Vollständigkeit" erheben, aber ein über die Darbietung eines Buketts hinausgehendes Konzept ist kein Fehler.

Die Qualität der einzelnen Artikel ist mehr als heterogen.
Es gibt Beiträge von Fachleuten, die in ihrem Spezialgebiet brillante Kurzdarstellungen bieten, so u.a. Helmut Konrad über die Sozialdemokratie in der Ersten Republik, Robert Kriechbaumer über die Christlichsozialen in der Republiksgründungsphase, Hannes Leidinger über die Rätebewegung, Brigitte Bailer-Galanda über Verfolgung und Widerstand 1938-1945, Winfried R. Garscha über Entnazifizierung und Kriegsverbrecherprozesse nach 1945, Rolf Steininger über Südtirol, Emmerich Tálos über Arbeitslosigkeit und Sozialpolitik, Oskar Achs über Politische Bildung an den Schulen, Ernst Bruckmüller in einem weiteren Artikel über die Findung der österreichischen Nation im Kleinstaat. Hier wurde (von usual suspects) hohe Qualität versammelt und publiziert.

Es gibt aber auch anderes. Da meine ich jetzt gar nicht Dinge wie eine Darstellung der Rolle der katholischen Kirche, die ihren Weg - übrigens nicht nur im Buch, sondern notabene auch in der Ausstellung - wenig hinterfragt als "von der Stütze der Monarchie zur Mitgestalterin des demokratischen Staatswesens" beschreibt. Ihre Rolle als aktive politische Partei in der Ersten Republik wird nicht verschwiegen, die Implikationen und Folgen dieser Rolle und der wesentliche Beitrag am Schaufeln des Grabes der Demokratie und deren Abkrageln aber doch sehr geglättet. Oder wenn im Artikel über die Universitäten die heftigen Kontroversen um die Gesetze von 1975 und 2002 nicht erwähnt und hier ein sich aus der Logik der Sache ergebender Weg in "Autonomie" erscheint anstelle politischer Entscheidungen. Darüber kann man streiten und da spielt eine Portion Ideologie mit, ich geb's zu.
Aber angesichts der Folgenschwere (!) der Einschnitte das austrofaschistische Regime der Jahre 1933/34-1938 schlicht auszublenden und die Nazizeit und ihre Bewältigung auf 23 Seiten (von 636 - wir sprechen von 3,6 Prozent) zu drängen ist eines Buches zur Geschichte Österreichs in den letzten 90 Jahren unwürdig.

Dazu kommen noch Beiträge wie Gabriela Stiebers Artikel über "Migration und Zwangsmigration in Österreich", der eine Aneinanderreihung von Fakten ohne Analyse bietet, die Flüchtlings- und Vertriebenenlager des Ersten Weltkriegs schildert ohne deren sanitäre Bedingungen zu erwähnen und nicht auf die heiße Asyldiskussion der letzten beiden Jahrzehnte eingeht. Dabei wäre dieses Thema doch ein Paradefall, wo "bis heute wirksame Entwicklungsstränge dargestellt werden" könnten, wie das Karner und Mikoletzky als Inhalt des Bands beschreiben.
Stefan Karner schreibt in seinem Text über die Kärntner Minderheitenfrage vorzugsweise über sich selbst in der dritten Person und bietet Scheinobjektivität anstelle eines inneren Blicks auf einen Lösungsversuch Mitte der 2000er Jahre. Eine vertane Chance.
Den Vogel schießt aber ein Text von Helmut Wohnout über die wechselvolle und nicht unspannende Geschichte eines katholischen Pilgerheimes in Jerusalem ab. Interessante Sache, da sich hier in der Geschichte eines Hauses viel vom Nahostkonflikt spiegelt, leider etwas spooky geschrieben - doch v.a.: Was hat das in diesem Zusammenhang hier zu suchen? Was lehrt uns das über die Geschichte von 90 Jahren Republik? Nichts. Schlicht nichts. Es hat damit nichts zu tun. Was soll das?!

So bleibt ein letztlich unzufriedener Blick zurück auf dieses Buch. Manches war erstklassig, dazu zählen auch die Beiträge des des Blick von außen über "Österreich im internationalen Gefüge". Manches war - politisch motiviert, das unterstelle ich mal - lückenhaft, wie u.a. gleich zwei Beiträge zum Militär, die aber beide nur jeweils einen Satz zu den Bürgerkriegs-Einsätzen des Bundesheers 1934 "brauchen". Manches einfach schlecht. Das konnte auch ein gutes Schlußkapitel über "Identität und Erinnerung" mit einem glänzenden Essay von Manfred Zollinger über das wirkungsmächtige, aber nicht belegte Zitat "der Rest ist Österreich" nicht retten.

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