Freitag, 27. März 2009

Europäische Rundschau 2009/1




Europäische Rundschau
1/2009
132 S.







Das Heft enthält einen informativen Artikel von Klaus Schrameyer über das gespannte Verhältnis von Mazedonien und Griechenland sowie einige interessante Buchbesprechungen.

Am spannendsten ist der sehr persönliche Essay Karl Marx aus dem Blickwinkel eines osteuropäischen Intellektuellen des ungarischen Ökonomen János Kornai. Er selbst beschreibt sein Denken, einem Engels-Zitat folgend, als "eklektische Armensuppe", beeinflußt von Marx, Schumpeter, Keynes und Hayek. Marx im Spiegel seiner Biographie, des 1928 in bürgerlichen Haushalt geborenen, 1945 unter Eindruck der Befreiung von Faschismus und Nazismus Kommunist und Marxist (in dieser Reihenfolge) gewordenen, dem in den fünfziger Jahren Zweifel an der Richtigkeit des politischen Systems kamen (die Kenntnis von Geheimpolizei und Folter führte zum "Zusammenbruch der ethischen Grundlage" seiner Überzeugungen) und der als Ökonom schließlich an die Grenzen der marxistischen Theorie zur Erklärung der Wirtschaft stieß.
Kornai wendet sich strikt gegen die Argumentation, man könnte das von Lenin und Stalin geprägte Ostblock-System von den Ideen Marx' trennen. Kornai meint, daß Marx als kritischer Geist wohl zutiefst entsetzt gewesen wäre, wenn er Folterkeller und sibirische Lager gesehen hätte, durch eine Geringschätzung der Demokratie aber "intellektuelle Verantwortung" trage: "Marx ignoriert das Problem als solches, das heißt, den ganzen Problembereich des institutionellen Schutzes der Menschenrechte und Freiheiten. Diese Geringschätzung haben sowohl Lenin als auch seine getreuen Anhänger verinnerlicht." Intellektuelle Verantwortung - Verantwortung nicht im strafrechtlichen und nicht im ethischen Sinn, wie Kornai schreibt.
Er stellt aber auch fest, Marx "überflutet" uns "mit Gedanken und Analysemethoden", deren manche - im angesprochenen eklektischen Sinn - immer nochgültig seien und mithelfen, die Welt von heute besser zu verstehen. Kornai nennt hier u.a. den Stellenwert der schöpferischen und zerstörerischen Kraft des Kapitalismus, den Begriff des Kapitalismus in seiner Theorie der aufeinanderfolgenden Produktionsweisen oder Marx' Rolle als Pionier und Praktiker der Interdisziplinarität als Ökonom, Soziologe, Politologe und Historiker.

Ich bin ja so sehr Historiker, daß ich Schriften wie z.B. die von Marx meist im historischen Kontext denke und nicht im Sinne einer steinbruchartigen Zitatklauberei oder der Anwendung auf aktuelle Politik. Ein wohl unpolitischer, aber mein Zugang: Gestern als interessanter als heute oder gar morgen.
So brauche ich nicht Marxist zu sein und auch nicht Eklektiker, um manches für irrsinnig faszinierend und anderes für unverständlich oder falsch zu halten.

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