Sonntag, 21. Januar 2024

Trabzon

19.–21.1.2024

In der türkischen Stadt Trabzon habe ich an einem Wochenende mehrere (eins, zwei, drei und vier) Fußballspiele besucht. 817.000 Menschen leben hier.

Die Stadt wurde im 8./7.Jh.v.u.Z. von griechischen Kolonisten gegründet, die hier am Schwarzen Meer wie im Mittelmeerraum Siedlungen und Handelsstützpunkte gründeten. Τραπεζοῦς (Trapezús) nannten sie die Stadt. In der römischen Zeit, in der im Zuge des Ausbaus zur Provinzhauptstadt 129 u.Z. ein künstliches Hafenbecken gebaut wurde, gab es in lateinischer Sprache den Namen Trapezuntum. Im Neugriechischen heißt die Stadt heute Τραπεζούντα, also Trapezoúnda.


Straßenszenen. Die Stadt machte an diesem Wochenende einen gemütlichen Eindruck.


Im Jahr 1204 griff ein westliches Kreuzritterheer, das für Vergebung aller Sünden durch den Papst gelobt hatte, das muslimische Jerusalem durch Eroberung und Tötung der Bevölkerung christlich zu machen, aufgrund Initiative von Venedig, das einen Handelskonkurrenten ausschalten wollte, das christliche Konstantinopel an, eroberte und plünderte es. Abseits von Konstantinopel entstanden kleinere Reiche in der byzantinischen Provinz. Eines davon war das Kaiserreich von Trapezunt, wo sich schon zuvor Herrscher von der byzantinischen Zentralmacht absentiert hatten. Es war das langlebigste und bestand bis 1461. Auch wenn zwischendurch das Byzantinische Reich wiedererstanden war, konnte es nie wieder die vergangene Macht erreichen. Der westliche Kreuzzug hatte die Stellung des ostchristlichen Reichs nachhaltig geschwächt und die Verbreitung des Islam nach Europa gefördert. Sukzessive eroberte das Omanische Reich das Land rings um Konstantinopel und beendete 1453 mit dessen Eroberung ein Jahrtausend byzantinischer Geschichte. Das Kaiserreich von Trapezunt hielt sich noch wenige Jahre weiter bis 1461 unter Anerkennung osmanischer Oberherrschaft. 1461 wurde es militärisch erobert und besetzt. Der letzte Herrscher David Komnenos konnte zunächst an anderem Ort weiterleben, wurde aber 1463 unter Vorwurf eines Aufstandsversuchs festgenommen und mitsamt den männlichen Mitgliedern seiner Familie durch Erdrosseln hingerichtet. Vom 13. bis ins 15.Jh. war die Stadt einer der wichtigsten Handelsstädte am Schwarzen Meer, mit Niederlassung der Handelsgroßmächte Genua seit 1205 und Venedig ab 1319 (das waren ummauerte und militärisch gesicherte eigene Stadtviertel). Die Stadt jener Zeit war so groß und reichhaltig gebaut, dass bis ins 19.Jh. kaum neue Gebäude errichtet sondern meist nur vorhandene Häuser umgebaut wurden. Viele hundert Jahre alte byzantinische Kirchenbauten blieben so erhalten, indem sie zu Moscheen umgebaut worden waren.


Die aus dem 9.Jh. stammende byzantinische St.-Anna-Kirche (griechisch Ἁγία Άννα Hagia Anna, türkisch Küçük Ayvasıl Kilise) ist die älteste erhaltene Kirche der Stadt. Sie wurde nie in eine Moschee umgewandelt. Auch nachdem in den landesweiten türkischen Massakern von 1895 eintausend oder zweitausend armenische Einwohnerinnen und Einwohner in Trabzon ermordet worden waren, war Anfang des 20.Jh. die Bevölkerung der Stadt wie seit Jahrtausenden zu einem Gutteil griechisch und armenisch. Nachdem das Osmanische Reich in den Balkankriegen der Jahre 1912 und 1913 den Großteil seines südosteuropäischen Herrschaftsgebiets verlor, begann man im Februar 1914 auch hier Geld für neue Kriegsschiffe aufzutreiben. Dazu wurde die griechische und armenische Bevölkerung erpresst, das zu bezahlen, ihre Häuser und Geschäfte überfallen und geplündert. Der wenige Monate später beginnende Erste Weltkrieg brachte für die armenische Bevölkerung Anatoliens den staatlich organisierten Tod. Die armenischen Männer wurden im Juli 1915 in fünf Marschkolonnen aus Trabzon Richtung der Bergwerke von Gümüşhane getrieben, wobei es Todesmärsche waren und die wenigsten überlebten. Die armenischen Frauen und Kinder wurden in Boote gepfercht, die man ins offene Meer treiben ließ, wo diese irgendwann kenterten und die Menschen starben. Im Zuge des Kriegs hatte die russische Marine die Stadt mit ihrem wichtigen Hafen im Winter 1914/15 bombardiert. 1916 flüchteten die osmanischen Truppen mitsamt Teilen der türkischen Bevölkerung vor den im Zuge des Weltkriegs von Osten her angreifenden russischen Armee. Von April 1916 bis Jänner 1918 war Trabzon russisch besetzt. Nach dem russischen Abzug griffen türkische Milizen die griechische Bevölkerung an, da diese teilweise mit den russischen Besatzern kooperiert hatte. Mit Barrikaden verschanzten sich die griechischen Einwohnerinnen und Einwohner in der Innenstadt und wehrten sich gegen die Attacken. In der unruhigen Nachkriegszeit versuchte eine griechische Organisation mit einer Serie von Bombenanschlägen am Neujahrstag 1920 durch Terror eine unabhängige griechische Republik Pontos zu schaffen. Nachdem der militärische Großangriff Griechenlands auf die Türkei im Krieg von 1919 bis 1922 in der griechischen Kriegsniederlage geendet hatte, wurde 1923 die gegenseitige Vertreibung der jeweiligen Minderheiten vereinbart. Unter den Millionen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, waren auch die 100.000 griechischen Einwohnerinnen und Einwohner von Trabzon. Nach zweitausend Jahren endete 1923 damit die griechische Geschichte der Stadt.


Trabzon.


Von der Küste aufsteigend erhebt sich ein Hügel, der seit der Antike über das Mittelalter hinweg bis in die Neuzeit als Festung ausgebaut wurde. Man unterscheidet die „untere Festung“ (Aşaği Hisar), „mittlere Festung“ (Orta Hisar) und „obere Festung“ (Kule Hisar, oder „innere Festung“, Iç Kale). Hier Mauern der mittleren Festung.


Straßenszene


Die Orta Hisar Camii, auch Fatih Camii. Das nach der osmanischen Eroberung 1461 im Jahr 1468 zur Moschee umgewandelte Gebäude ist die in den Jahrhunderten zuvor mehrmals umgebaute ehemalige byzantinische Kathedrale Παναγία Χρυσοκέφαλος Panaghia Chrysokephalos („Goldköpfige Muttergottes“).


Festungsmauern


Aquädukt


Der obere Teil der Festung, wo in der Antike die Akropolis war, wurde bei einem Bürgerkrieg im 17.Jh. zerstört. Erhalten blieb eine byzantinische Festungsmauer aus dem 14.Jh.


Die Hagia Sophia (Ἁγία Σοφία „heilige Weisheit“, türkisch Aya Sofya) wurde als Klosterkirche im 13.Jh erbaut und im 16. Jh. in eine Moschee umgewandelt. 1880 übertünchte man die prächtigen christlichen Wandmalereien im Innenraum mit weißer Farbe. In den 1950er Jahren wurden diese restauriert und ab 1964 wurde hier ein Museum anstelle einer Moschee eingerichtet, das sie zeigte. 2012 wurde das Museum wieder in eine Moschee ungewandelt und 2013 als solche wieder genutzt. Die Besichtigung der Malereien ist aber problemlos möglich.


Die Position der Kirche ließ sie wohl immer schon in militärischen Planungen mitdenken. Im Park davor ist eine Kanone, mutmaßlich aus dem Anfang des 20.Jh. zu sehen.


Das Schwarze Meer. Θάλαττα! θάλαττα! („Das Meer! Das Meer!“) sollen die griechischen Söldner ausgerufen haben, die sich zum Kriegführen in einem persischen Bürgerkrieg 401 bis 399 v.u.Z. hatten anwerben lassen und die Schlacht auch für ihren Geldgeber mit erfolgreichem Töten der Gegenüber entschieden, allerdings durch dessen Tod in dieser brotlos wurden. Vom ursprünglich als Schreiber und Berichterstatter mitgekommenen Xenophon, einem der berühmtesten griechischen Historiker, geführt, marschierten sie monatelang quer durch Anatolien zurück und erreichten hier in Trabzon das Meer.

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