10.10.2014
Die burgenländische Stadt Mattersburg, ungarisch Nagymarton („Groß-Martin“) und kroatisch Matrštof, war in den vergangenen Jahren bereits unzählige Male besucht worden. Aus einer gewissen Abneigung gegen den Fußballverein heraus wurde aber praktisch nie mehr als das Stadion betreten. Anläßlich des Besuches eines Fußballspiels der Amateurmannschaft wurde diesmal zuvor die Stadt besichtigt. Rund 7.000 Menschen leben hier.
Das Antlitz des Ortes prägt das Eisenbahnviadukt der Bahnstrecke von Wiener Neustadt nach Sopron. Es wurde 1846/47 errichtet, ist zwanzig Meter hoch und überspannt das Wulkatal auf 150 m Länge. Die Strecke ist eine der ältesten Eisenbahnstrecken in Österreich.
Die hoch gelegene katholische Martinskirche ist eine Wehrkirche aus dem 14.Jh., die in der Zeit der Gotik aus mehreren Teilen zusammenwuchs. Bis 1924 hieß der Ort Mattersdorf, dann wurde daraus im neuen Burgenland Mattersburg.
Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie erhob die neugegründete österreichische Republik Anspruch auf den in Ungarn liegenden deutschsprachigen Landstrich des heutigen Burgenlands. Wohl in einer Fehleinschätzung rief in Mattersburg der Sozialdemokrat Hans Suchard am 22. Dezember 1918 eine von Ungarn unabhängige Republik Heinzenland aus und wurde mitsamt seinen Gefolgsleuten bereits am nächsten Tag von ungarischem Militär verhaftet. Suchard wurde zum Tod verurteilt, alle Angeklagten wurden aber noch am 26. Dezember begnadigt. Nach einer Volksabstimmung 1921 wurde die Stadt Sopron (Ödenburg) abgetrennt und der ländliche Teil des deutschspachigen Westungarns kam 1921 als neuntes Bundesland zur Republik Österreich.
Eine erste jüdische Gemeinde wurde hier im Jahr 1527 gegründet, als aus der Komitatshauptstadt Ödenburg (Sopron) vertriebene Jüdinnen und Juden in der Nähe von Mattersdorf Zuflucht fanden. 1671 mussten die Jüdinnen und Juden auf Befehl des Kaisers Leopold I. Mattersdorf verlassen, konnten jedoch 1678 auf Einladung des hier herrschenden Esterházy-Fürsten Paul I. wieder zurückkehren, wobei sie aber ihren zuvor verlorenen Besitz wieder selbst zurückkaufen mussten. Seither gehörte Mattersdorf zu den jüdischen Siebengemeinden im heutigen Burgenland, die unter dem Schutz der Esterházy standen. Um 1848 wohnten rund 1.500 Jüdinnen und Juden in Mattersdorf, was ungefähr einem Drittel der Gesamtbevölkerung entsprach. Bis 1902 war die jüdische Gemeinde eigenständig und wurde erst dann mit der Marktgemeinde zusammengelegt. Gegen Ende des 19.Jh. wanderten viele ab und zogen in die großen Städte, 1938 lebten hier noch 530 Jüdinnen und Juden.
Die Mattersburger Synagoge stammte aus dem späten 19.Jh. Nach Schändung 1938 wurde der Tempel im September 1940 gesprengt, als die Häuserzeilen des ehemaligen jüdischen Viertels von den Nazis gesprengt wurden. Die Menschen wurden seit der NS-Machtübernahme im März 1938 drangsaliert und bis Oktober 1938 aus Mattersburg vertrieben. Rund hundert dürften im Holocaust ermordet worden sein. Heute erinnert an die Synagoge ein Gedenkstein am Brunnenplatz. Der Stein hat allerdings eine nur halbrichtige Inschrift, da die Synagoge nicht im Novemberpogrom 1938 zerstört, sondern 1940 mit dem ganzen Viertel gesprengt wurde.
Nur wenige Gebäude haben diese Sprengung, welche die jüdische Geschichte Mattersburgs ausradieren sollte, überstanden. Eines davon ist dieses blaue Haus, das einem Lederhändler namens Deutsch gehört hatte.
Die heutige Judengasse ist von Neubauten der Nachkriegszeit gesäumt. Nur eine jüdische Familie ist nach der Befreiung zurückgekehrt, zog schließlich aber wieder weg. Der letzte Rabbiner von Mattersburg, Oberrabbiner Samuel Ehrenfeldt, gründete in Jerusalem den Ortsteil Kirjat Mattersdorf, in dem ehemalige burgenländische Jüdinnen und Juden und ihre Nachkommen leben.
Von der jahrhundertelangen jüdischen Geschichte Mattersburgs blieb der jüdische Friedhof. Er zeugt aber auch vom Umgang der Nachkriegszeit mit der Vergangenheit: 1966 wurden alle Grabsteine von den Gräbern entfernt und nur wenige davon zu einer Schauwand in der Mitte des Areals sowie in die Friedhofsmauer eingebaut. Es ist unklar, was mit dem Großteil der Original-Grabsteine gemacht wurde. Gerüchten zufolge wurden sie unter anderem bei der Regulierung des Flusses Wulka und als Baumaterial für Gehsteige verwendet. Die Chevra Kadischa spendete 150 symbolische Grabsteine, die auf die kahle Wiese gesetzt wurden.
Ein Soldatenfriedhof erinnert in Mattersburg an das große Töten und Sterben, das die Naziherrschaft brachte. Im Frühjahr 1945 zog die Front des Zweiten Weltkriegs über das Burgenland und Soldaten starben hier zu tausenden. Die auf Seite Hitlerdeutschlands getöteten Soldaten wurden zunächst in rund 160 Ortsfriedhöfen quer durch das Land bestattet, in Mattersburg waren es 218 Tote. In den 1960er Jahren wurde der Mattersburger Soldatenfriedhof zum burgenländischen Sammelfriedhof erklärt und 1961 bis 1964 sowie 1968 die Toten aus anderen Friedhöfen hierher umgebettet, sodass hier heute 2.575 für Hitler Gestorbene liegen, vor allem Soldaten der deutschen Wehrmacht aber auch anderer verbündeter Armeen wie z.B. Ungarn.
Die namentlich bekannten Toten sind auf den Kreuzen vermerkt. Manchmal sind neben den Sterbedaten auch die Geburtsdaten vermerkt. Dann sieht man, wie jung sie oft waren.
Die Hierarchisierung des Militarismus galt bis in den Tod, so sind militärische Ränge auf den Grabkreuzen vermerkt. Hier steht neben einem unbekannten Soldaten auch der Rang (Unterscharführer) eines SS-Manns, zu dessen Aufgabe also höchstwahrscheinlich Mord und Kriegsverbrechen gehörten.
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