1.2.2014
In der italienischen Stadt Cesena in der Emilia-Romagna leben rund 97.000 Menschen. Vor dem Fußballspiel wurde sie besichtigt.
Erstes Ziel des Bibliophilen ist in Cesena die Biblioteca Malatestiana. Sie wurde im 15.Jh. als erste städtische, nicht kirchliche oder klösterliche, Bibliothek in Europa seit der Antike gegründet. Der öffentliche Bibliotheksbau war Teil eines Klosters, von dem heute nur mehr ein Kreuzgang übrig ist. Die Biblioteca Malatestiana ist auch heute noch, seit fünfhundert Jahren, an diesem Standort die städtische Bücherei.
Den Eingang zum historischen Bibliothekssaal bildet eine verzierte Tür aus dem Jahr 1454. Sie hat zwei Schlösser − ein Schlüssel für die kirchliche und ein Schlüssel für die weltliche Macht.
Die Bibliothek war ein Beispiel von Mäzenatentum im Geist des Humanismus durch den Herrscher von Cesena, Malatesta Novello (eigentlich Domenico Malatesta). Die Farben und Wappen der Familie Malatesta finden sich in der Gestaltung des Bibliotheksraums. Auch über der Eingangstür findet sich ihr Wappentier, ein indischer Elefant mit ihrem lateinischen Wahlspruch Elephas Indus culices non timet („der indische Elefant fürchtet sich nicht vor den Gelsen“), der ihre Macht unterstreichen sollte. Die Bibliothek und ihre Öffnung für die Öffentlichkeit (nach damaligen Maßstäben der feudalen Gesellschaft wohlgemerkt!) erfüllte eine repräsentative politische Funktion.
Der Bibliothekssaal wurde zwischen 1447 und 1452 errichtet. Die Raumform einer länglichen dreischiffigen Basilika war hier neu. Seit dem 13.Jh. üblich war das Konzept des Saals zugleich als Aufbewahrungsort und Lesesaal. Die Handschriften (wir befinden uns in der Zeit vor dem Buchdruck) sind bis heute an ihrem angestammten Platz in den 58 Bänken. Dort sind die wertvollen Einzelstücke mit originalen Ketten an ihrem Platz angekettet.
Die Handschriftenbände der historischen Biblioteca Malatestiana können in der Bibliothek weiterhin gelesen werden, wenn auch nicht in den Bänken selbst, sondern in einem modernen Lesesaal. Im Vorraum sind im Rahmen einer Ausstellung einige der Handschriften samt ihren Ketten zu sehen. Eine eigens ins Leben gerufene Schreibwerkstatt fertigte für die Bibliothek Mitte des 15.Jh. im Lauf von zwanzig Jahren über 120 Kodizes an, hauptsächlich wissenschaftliche und religiöse Schriften. Neben dem Aufwand des Kunsthandwerks des Schreibens selbst sind dabei immer auch die Kosten einer Rinderherde zu berücksichtigen, die pro Band für die Herstellung des Pergaments zu schlachten war.
Nebem dem Saal des 15.Jh. befindet sich die Bibliotheca Piana, die einstige Privatbibliothek des aus Cesena stammenden Papstes Pius VII. 1941 wurde sie vom Staat gekauft und dann hier aufgestellt. In Vitrinen sind aufgeschlagene große religiöse Handschriften (Choralbücher) zu sehen und als Kuriosa Miniaturen, winzig kleine gedruckte Bücher (das kleinste Buch mißt 15x9 mm).
Gegenüber der Bibliothek steht der Palazzo del Ridotto aus dem 15.Jh., dessen Frontfassade 1870 in manieristischem Stil verkleidet wurde. Der Turm wurde 1742 in Form des 15.Jh. wiederrichtet.
Eine Gedenktafel aus dem Jahr 1995 erinnert am Palazzo Ridotto an die 1943/44 aus Cesena deportierten und ermordeten elf Jüdinnen und Juden. Seit dem 14.Jh. gab es hier eine jüdische Gemeinde, im Viertel des heutigen Palazzo stand bis 1504 eine Synagoge. 1938 hatten bei der Zählung nach den italienischen Rassengesetzen 42 Jüdinnen und Juden in Cesena gelebt.
Vor der Gedenktafel lag am Straßenpflaster dieser gelbe Davidstern mit (beschrifteten) Steinen, wie sie auf jüdische Gräber gelegt werden.
Straßenszene
Der Hauptplatz Piazza del Popolo.
An der Piazza und unterhalb der Burg steht die Rocchetta di Piazza. Zur Zeit der Herrschaft der Malatesta war hier ihr Palast, 1466 wurde das Gebäude unter Herrschaft des Kirchenstaats zur heute zu sehenden Festung umgebaut.
Hier ein Modell der Burg, der Rocca Malatestiana, die auf einem Hügel über der Stadt liegt. Das Modell steht in der Ausstellung in der Biblioteca Malatestiana.
Die 1380 begonnene Festung konnte nur von außen besichtigt werden, da die Tore erst spätnachmittags geöffnet werden.
Ein Blick in den Innenhof, in dem zwei Gebäude stehen, weiblicher und männlicher Turm genannt. Die Rocca Malatestiana wurde 1480 fertiggestellt.
1357 gab es einen Aufstand gegen die Herrschaft des Kirchenstaats, der durch die Belagerung und Eoberung der Stadt durch ein päpstliches Heer blutig beendet wurde. Zwanzig Jahre später war Cesena in den Krieg der Republik Florenz gegen den Kirchenstaat involviert. Die Stadt wurde erneut von einem Heer des Papstes erobert. Unter dem Oberbefehls des Kardinals Robert von Genf wurden zur Abschreckung vom 3. bis 5. Februar 1377 in einem dreitägigen Massaker zwischen 2.500 und 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner von Cesena von den Soldaten der Kirche, bretonischen Söldnern, umgebracht.
Straßenszene
Der Dom von Cesena, zwischen 1385 und 1405 anstelle einer Vorgängerkirche errichtet.
Der Campanile des Doms stammt aus den Jahren 1443 bis 1457.
Von den alten Stadtmauern ist der Großteil in den Grundmauern erhalten und im Verlauf rund um die Altstadt zu sehen.
Die meisten alten Stadttore wurde Ende des 19.Jh. abgerissen. Erhalten sind u.a. die Porta Fiume aus dem Jahr 1491 (mit der Rocca Malatestiana im Hintergrund) ...
... und die die klassizistische Porta Santi aus dem Jahr 1819.
Das Monumento ai Caduti per la Resistenza erinnert an die Partisanen und an die Befreiung Cesenas von deutscher Besetzung und Faschismus am 20. Oktober 1944.
Das Monumento ai caduti di Cefalonia erinnert an die 12.000 italienischen Soldaten, die sich nach dem Seitenwechsel Italiens 1943 auf der von ihnen besetzten Insel Kephalonia nicht wie die Besatzungstruppen am griechischen Festland der deutschen Wehrmacht ergeben wollten. Es kam zu heftigen Kämpfen, bei denen 40 deutsche Soldaten und 1.300 Italiener starben. Die deutschen Soldaten erschossen dazu weiters jeden Italiener, der sich ihnen ergab. Bis zur offiziellen Kapitualtion wurden 5.000 einfache Soldaten und 189 Offiziere von den Wehrmachtssoldaten umgebracht, nachdem sie sich ergeben hatten. Eine Woche später wurden alle übrigen 280 italienischen Offiziere ermordet. Dasselbe geschah auf der Nachbarinsel Korfu (700 ermordete Italiener). Die Wehrmachtssoldaten, welche die Gefangenen in Massenerschießungen umbrachten, waren vor allem Gebirgsjäger, darunter 850 Österreicher und Südtiroler. Nur der Kommandeur der Gebirgsjäger wurde nach dem Krieg verurteilt. Er erhielt 1947 zwölf Jahre Haft, wurde aber schon 1951 entlassen. 2002/03 wurden 145 noch lebende Österreicher ermittelt, die an dem Kriegsverbrechen beteiligt waren. Es kam aber zu keinem Strafverfahren. Von den nach der Kapitulation gefangenen 5.000 italienischen Soldaten starben 2.000 bei der Fahrt über die Adria, da die Schiffe auf Minen liefen und sanken. Die übrigen kamen in Konzentrationslager oder mußten Zwangsarbeit in Deutschland leisten.
Das künstlerische Konzept des nackten Mädchens, das anklagend eine Tafel mit Inschrift über das Massaker von Kephalonia hochhält, erschloß sich mir nicht.
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