Freitag, 6. März 2009

Widerspruch 55



Widerspruch 55
Beiträge zu sozialistischer Politik
28. Jg. / 2. Halbjahr 2008
240 S.







Anläßlich der Wirtschaftskrise gibt es einige interessante Artikel zur Aktualisierung des Konzepts der Wirtschaftsdemokratie, eines in der Zwischenkriegszeit in Sozialdemokratie und Gewerkschaften geborenen Begriffs zur transformierenden Gestaltung des Kapitalismus.
Wirtschaftsdemokratie stellt für Michael R. Krätke "den Versuch einer demokratisch organisierten Gesellschaft dar, die Wirtschaft zu beherrschen statt von ihr beherrscht zu werden." Krätke plädiert u.a. vehement für radikale Kontrolle der Finanzmärkte, der Banken und der Geldpolitik: "Über die Bankpolitik, über die Politik der Zentralbank kann und muss öffentlich verhandelt werden, in einer wirtschaftsdemokratischen Ordnung gibt es keinen Platz für eine Kaste von Hohepriestern der ältesten geldtheoretischen Dogmen."

Herbert Schui will "Die alte Debatte wieder aufgreifen: für einen großen öffentlichen Sektor", wobei er davor warnt, daß ein jetzt vielleicht wiedererstehender starker Staat z.B. Sarkozy'scher Konzeption, der eingreift und "sehr konkret das Funktionieren des Kapitalismus sicherstellt", etwas anderers ist als Wirtschaftsdemokratie.
Heinz-J. Bontrup faßt vier "grundsätzliche Orientierungen" von Wirtschaftdemokratie zusammen: Es geht um "ethische [moralische] Belange in der Ökonomie, um Freiheit der Individuen durch eine Zurückdrängung von entwürdigenden ökonomischen Abhängigkeiten", um "eine staatliche intervenierende Wirtschaftspolitik in die Märkte, besonders auch in die Finanzmärkte", es müsse "die heute bestehende Marktmacht" marktbeherrschender Unternehmen bekämpft und gleichzeitig "öffentliche Unternehmen und auch der genossenschaftliche Sektor als 'Gegenmacht' zum privatwirtschaftlichen Unternehmensbereich ausgebaut werden" und schließlich gehe es um einen "doppelten Anspruch einer Partizipation der abhängig Beschäftigten. Und zwar als Teilhabe an dem von den Lohnarbeitenden geschaffenen Überschussprodukt und um eine Teilnahme an den Entscheidungsprozessen in Betrieb und Unternehmen."

Aber nicht nur die Wirtschaftsdemokratie wird im Heft behandelt, sondern auch weitere Aspekte von Demokratie und Demokratisierung - von Frauengleichberechtigung, Erwerbsarbeit und Geschlechterdemokraftie, politischer Bildung bis zu ausländerInnenfeindlicher Hetze.

Sehr interessant ist Sarah Ben Néfissas Artikel Nichtregierungsorganisationen, Staat und Zivilgesellschaft in arabischen Ländern. Mit "NGO-Theorie", falls es so etwas gibt, habe ich mich noch nie beschäftigt, sehr spannend jedenfalls ihre Analyse über "anwaltschaftliche NGOs" und "Dienstleistungs-NGOs", die Spezifik der arabischen Zivilgesellschaft und den "halb-behördlichen Charakter der meisten arabischen NGOs".

Darüber hinaus findet sich einiges zu Lateinamerika - mit weiteren positiven Texten über Venezuela. Ohne Zweifel geschieht dort Bemerkenswertes und auch viel Gutes, ich denke mir dabei aber immer, daß ein militärbasierter Sozialismus wohl genauso scheitern wird, wie der bürokratiebasierte Sozialismus gescheitert ist. Ein Ausblenden dieses Aspekts aus Analysen kann mich leider auch nicht von dieser Befürchtung befreien.

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