Dienstag, 24. Januar 2012

Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert


Heinrich Berger / Melanie Dejnega / Regina Fritz / Alexander Prenninger (Hg.)
Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert
Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen
Festschrift für Gerhard Botz
Wien/Köln/Weimar 2011 (Böhlau Verlag)
773 S.




Der umfangreiche Band zum 70. Geburtstag des Zeithistorikers Gerhard Botz versammelt eine große Anzahl an interessanten Beiträgen, von einigen renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Josef Weidenholzer und Helmut Konrad erinnern sich an die gemeinsamen Anfänge an der Universität Linz, die zusammenfallen mit der „Formierung der österreichischen Zeitgeschichte“ (Konrad). Helmut Konrad vergleicht seinen weiteren Lebensweg mit demjenigen von Botz.

Sehr spannend sind ist der Beitrag der verstorbenen Edith Saurer über die Tagebucheintragungen von Bernhardine Alma zu ihrem Abstimmungsverhalten bei der unter den Zeichen von Propaganda und Terror abgehaltenen NS-„Volksabstimmung“ 1938. In der Beichte wurde ihr durch die katholische Geistlichkeit geraten, mit Ja zu stimmen − was sie nicht tat. Ebenfalls hochinteressant ist Ernst Hanischs Beschäftigung mit der Nazi-Verstrickung seiner Familie (damit Spuren von Gerhard Botz folgend).

Johannes-Dieter Steinert schreibt über die Schwierigkeit des Umgangs mit den schwer traumatisierten Menschen, die im Terrorsystem des KZ ihre Überlebensstrategien entwickelt hatten, unmittelbar nach der Befreiung 1945, wie sie erst wieder ins Leben finden mußten. Weiters berichtet er über das Verhältnis der (west-)deutschen Bevölkerung zu den Displaced Persons: Die Nachkriegsgesellschaft sah sich als am härtesten gestraftes Kriegsopfer, „Interesse am Schicksal und Leid der Überlebenden von zwangsarbeit und Holocaust besaß kaum jemand“.

Aufschlußreich ist der Artikel von Sandra Paweronschitz über die unterschiedliche Rezeption der Projekte NachRichten in Österreich und Zeitungszeugen in Deutschland, bei denen Reproduktionen von Zeitungen aus der NS-Zeit mit Kommentar versehen im Zeitschriftenhandel publiziert wurden bzw. werden. Aus ihrem Resumee über die Focusgruppen-Interviews (Meinungsforschung): „So war es den österreichischen Probanden enorm wichtig, dass die Reihe von einem Testimonial nach außen vertreten würde, das der Leserschaft quasi die Erlaubnis erteilt, sich mit den nationalsozialistischen Materialien zu beschäftigen. [...] In Deutschland fand die Idee, Wortmeldungen von unterschiedlichen Menschen des öffentlichen Lebens zur Reihe abzudrucken, keinen Anklang, im Gegenteil. Sie wurde in den Interview mehrfach kritisiert. Die Probanden fühlten sich gemaßregelt und nicht ernst genommen.“

Interessant sind weiters die Beiträge von Klaus-Dieter Mulley über die Liquidierung der (1934 gleichgeschalteten) Arbeiterkammern 1938 und von Berthold Unfried über den „anwendungsorientierten Antisemitismus“ bei der Verwendung der Kategorien „jüdisch“ und „arisch“ in der „Arisierung“ der österreichischen Wirtschaft 1938/39. Hervorzuheben ist auch Lucile Dreidemy, die Grenzen der Leidenschaft zur geschichtspolitischen Provokation in der österreichischen Öffentlichkeit thematisiert.

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