Freitag, 8. Mai 2009
"Auch schon eine Vergangenheit"
Ulrike Felber (Hg.)
"Auch schon eine Vergangenheit"
Gefängnistagebuch und Korrespondenzen von Bruno Kreisky
Wien 2009 (Mandelbaum Verlag)
162 S.
Das Buch versammelt viel biographisches Material zur Jugend von Bruno Kreisky. Ulrike Felber präsentiert interessante Dokumente wie Briefe Kreiskys an eine deutsche Sozialdemokratin vor 1934, in denen er die politische Entwicklung in den letzten Jahren der Republik kommentiert, sein in austrofaschistischer Haft geschriebenes Gefängnistagebuch, Kassiber an Mithäftlinge und Briefe aus der Haft an einen Freund und an seine Eltern. Eingebettet in umfangreiche Hintergrundinformationen zum historischen und biographischen Kontext.
Es krampft einen zusammen, wenn man Kreiskys Tagebuchnotiz liest, wie der damals 24-Jährige aufgrund seines "Verbrechens" sozialdemokratischer politischer Aktivität 1935 verhaftet wurde:
"Trotzdem war ich heiter u[nd] recht guter Dinge. Wie ich jedoch hinter mir die erste Gittertür ins Schloß fallen hörte, gab es mir einen leichten Riß. Man begibt sich in eine Höhle, um den Ausgang besser zu finden, rollt man einen Faden ab, der reißt plötzl[ich] irgendwo. Man wird schon hinausfinden, denkt man beruhigend nach dem ersten Schrecken, dann merkt man, daß die Höhle viele Gänge hat. Man findet doch nicht sobald hinaus wie man dachte."
Nichts kann das Erleben, ins Gefängnis geworfen zu werden, nachvollziehbarer machen als wenn Bruno Kreisky, den die Politjustiz mit seinen Mitverhafteteten monatelang ohne Anklage "dunsten" ließ, verzweifelt schreibt: "Warum habe ich schon 14 Tage keinen Brief v[on] R. bekommen? Das beunruhigt mich. Ist irgendetwas geschehen? Wissen die draußen denn nicht, wie man auf ein paar Zeilen wartet?"
Wie viele andere SozialdemokratInnen in der Geschichte vor ihm, wie auch schon Victor Adler im Gefängnis der Monarchie oder August Bebel in Deutschland, nützte Kreisky die Zeit als "Haftuniversität", in der er - so systematisch wie es ihm möglich war - greifbare historische und politische Literatur studierte, von 6 Uhr morgens von 6 Uhr abends, wie er berichtet. Wenn der spätere Politiker aus schier unerschöpflichem Fundus an theoretischem und historischem Wissen schöpfte, lag hier die Grundlage.
Ein sehr verdienstvolles Buch, das einem mit seinen Dokumenten sehr stark den Mensch Kreisky in seinen prägenden Erfahrungen als junger Mann näher bringt.
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