Montag, 15. August 2011

Der Parthenon




Mary Beard
Der Parthenon
Stuttgart 2009 (Reclam)
240 S.








Da im anstehenden London-Aufenthalt eine eingehende Besichtigung des British Museum am Plan steht, habe ich mich ein wenig in die Geschichte von dessen bedeutendstem Ausstellungsstück, dem Fries des Parthenons, eingelesen.

Die Altertumswissenschaftlerin Mary Beard hat dazu 2002 ein lesenswertes Buch veröffentlicht, dessen 2009 erschienene Übersetzung von Ursula Blank-Sangmeister und Anna Raupach den schwungvollen und flott zu lesenden Sprachstil vermittelt.

Der über allem stehenden und seit fast zwei Jahrhunderten währenden Streitfrage, ob die mehr oder weniger brutale Demontage der Skulpturen von der Ruine des antiken Parthenon-Tempels auf der Akropolis von Athen und ihr Abtransport nach England Anfang des 19. Jahrhunderts mehr Raub oder mehr Rettung war, nähert sich Beard in nüchterner Herangehensweise. Sie beleuchtet beide Seiten .

Überaus spannend macht das Buch Beards Ansatz, die Geschichte des Parthenons nach der Antike genauso zu betrachten wie zur Zeit seiner Entstehung: „Der Parthenon ist schließlich auch eine moderne Ikone, nicht nur eine antike Ruine. Wenn wir seine Bedeutung in der antiken Welt erfassen wollen, müssen wir auch verstehen, was mit ihm in den vergangenen 2000 Jahren passiert ist“. Bemerkenswert für eine Althistorikerin nimmt sie so das Bauwerk in größerem Kontext ins Blickfeld als allein im Fokus auf das 5.Jh.v.u.Z.

Beard verweist darauf, daß sowohl die Umwandlung des Gebäudes für christliche als auch später für islamische Zwecke zentral wichtig war, um es zu erhalten und so seinen Fortbestand zu sichern. „Als die neuen türkischen Herrscher den Parthenon in den frühen 1460er-Jahren zu einer Moschee umfunktionierten, war er de facto etwa genauso lange eine christliche Kirche wie vorher ein heidnischer Tempel gewesen. Die meisten modernen Wissenschaftler (und Reiseführer) [...] nehmen keine Notiz von den glorreichen Zeiten des Parthenons als Kirche der Heiligen Maria von Athen. Erst recht keine Notiz nahm man von der Moschee, der nächsten Metamorphose des Parthenons.“

Zur Verteidigung der Stadt wurde die Anlage der Akropolis hoch über Athen immer schon genutzt. So auch Ende des 17. Jahrhunderts von den damaligen osmanischen Truppen. Dabei kam es zur Katastrophe.
„Die Türken hatten, gelinde gesagt, sehr großes Pech mit ihren Pulverdepots“, schreibt Beard. „Im Jahr 1645 schlug in das Magazin in den Propyläen der Blitz ein, die Familie des Disdar kam dabei ums Leben und das Bauwerk trug starke Schäden davon. Als Athen 1687 erneut angegriffen wurde, diesmal von venezianischen Streitkräften einer gegen das Osmanische Reich gerichteten Heiligen Liga, beschloss man, die Munition (zusammen mit den Frauen und Kindern) stattdessen im Parthenon unterzubringen. Möglicherweise vertrauten sie, so die Meinung eines venezianischen Historikers, ,auf die Stärke der Wände und Gewölbe. Oder vielleicht dachten sie auch, dass die gegnerischen Christen nicht versuchen würden, ein Gebäude zu zerstören, das so lange Zeit eine berühmte Kirche gewesen war. Wie auch immer, sie waren gewaltig im Irrtum. Die venezianischen Armee unterstand einem schwedischen General, Graf Koenigsmark, und dieser bombardierte den Bau. Noch erhaltene Spuren allein an der Westseite zeigen, dass etwa 700 Kanonenkugeln ihr Ziel trafen, und etliche der mörderischen Geschosse wurden noch an Ort und Stelle gefunden. Schließlich geschah das Unvermeidliche, das Munitionslager fing Feuer und es kam zu einer gewaltigen Explosion. 300 Menschen verloren dabei ihr Leben (was in der Geschichte der archäologschen Tragödie gewöhnlich vergessen wird), das Zentrum des Gebäudes flog in die Luft, 28 Säulen, Teile des Frieses und der Innenräume, die als Kirche und Moschee gedient hatten, wurden zerschmettert.“
Beard resumiert: „Von da an ist die Geschichte des Parthenons die Geschichte einer Ruine.“

Zu beachten ist, daß die Ruine, die nach 1687 bestand, einen weitaus ruinierteren Anblick bot als sie dies heute tut: ,Unser Parthenon mit seiner unverwechselbaren Silhouette ist ein Werk des frühen 20. Jahrhunderts. Was die Explosion zurückließ, war ein Trümmerfeld mit einigen Säulen an jeder Seite. In den 1920er Jahren wurde Säulen aus verschiedenen Bruchstücken zusammengesetzt und aufgestellt und so erst der heutige Anblick einer durchgehenden Säulenreihe gestaltet.

Als symbolbeladener Ort des zunächst kleinen, neuen unabhängigen griechischen Staates wurde der Parthenon im Lauf des 19. Jahrhunderts bearbeitet und spätere Gebäude ungeachtet eigener jahrhundertealter Geschichte abgerissen. „Alles, was der Besucher heute sehen kann, ist das, was die Archäologen des 19. Jahrhundert für die Nachwelt erhalten wollten; ein paar klassische Monumente aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., die in herrlicher (beklemmender) Vereinzelung dastehen und ihrer späteren Geschichte weitestgehend beraubt sind.“

Ein sehr gut geschriebenes, kurzweiliges und dabei überaus informationsreiches kleines Buch.

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