Montag, 7. Juni 2010

Datum 6/10



Datum
6/10
98 S.







Über die Ermordung von 223 jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im niederösterreichischen Ort Hofamt Priel in der Nacht von 2. auf 3. Mai 1945 schreibt Manfred Wieninger einen nüchternen und darum umso berührenderen Text. Es sind diese unzähligen "kleinen" Morde und Massaker unter den monströsen NS-Verbrechen, die mich immer wieder erschüttern und es mir daher z.B. persönlich unmöglich machen, ihre Comic-hafte Verzerrung im Film als reines Kunstprodukt sehen zu können. Dazu schildet Wieninger die Geschichte des Revierinspektors Franz Winkler, der heldenhafterweise noch am 3. Mai förmliche Ermittlungen gegen die Mörder der SS und mutmaßliche örtliche Helfer aufnahm. Aber sowohl damals (verständlicherweise) als auch nach der Befreiung (zur Schande der Republik) werden die Verantwortlichen nicht ausgeforscht. "In der Folge gehen verschiedene österreichische Gerichte Winklers Hinweisen und weiteren Spuren mit der Energie einer gelähmten Schnecke nach." schreibt Wieninger.

Sehr gute Artikel bietet das Heft noch über Burkhard Pape, der in den 1970er Jahren Trainer der ugandischen Fußballnationalmannschaft zur Zeit des knöcheltief im Blut watenden Diktators Idi Amin war. Er ließ sich durch solche äußeren Umstände aber nicht von seiner Fokussierung auf den Sport abhalten und war mit Amin gut Freund. Auch nett ein Artikel über die Jugendarbeit des ÖFB sowie außerhalb des lobenswerten Fußballschwerpunkts Clemens Marschalls Text über Geschichte und Gegenwart der Zirkusattraktion der menschlichen Kanonenkugel.

Soweit das Positive. Wirklich schlimm war nämlich der "Erklärungsversuch" der tatsächlichen Unzulänglichkeiten des deutschen Politikers Guido Westerwelle von Tom Liehr und Markus H. Kringel. Sie sehen diese darin begründet, daß er schon als Jugendlicher politisch aktiv wurde. Wo doch Leute, die so etwas machen, per se "aknevernarbt, hyperhidros, motorisch untalentiert, gnadenlos unhip und trendfremd, musikalisch abwegig interessiert und obskur angezogen" seien.
Liehr und Kringel teilen die Jugend in einem demokratiepolitisch fragwürdigem Ansatz in "diejenigen, für die echter Spaß im Hörnerabstoßalter auch erreichbar ist, auf ihren Mofas durch die Innenstädte cruisen, die Großraumdiskos bevölkern, bei Konzerten headbangen und die Mädchen aus den zurückliegenden Jahrgängen in die Horizontale quatschen" und auf der anderen Seite die "Adoleszenten-Freakshows" in den politischen Jugendorganisationen von SPD, CDU und FDP, also diejenigen Jugendlichen, "die schlicht anderswo keine Chance haben".
Die Autoren dürften in ihrer Jugend frei von politischen Überlegungen gewesen sein − wohl nach Monty Python's Devise "my brain hurts". Leider schreiben sie nicht, ab welcher Altersgrenze sich junge Männer (gilt das auch für die "in die Horizontale gequatschten" Frauen?) nach ihrer p.t. Demokratietheorie denn für den Blick über den Tellerrand statt Motoren, Musik und Mädchen interessieren und vielleicht sogar ihr Scherflein zur Demokratie beitragen dürfen. Oder welche Organisationen alternativ konvenieren würden. Denn, daß die Jugend als Guido Westerwelle endet, da sind wir uns einig, das wollen wir nicht.

3 Kommentare:

  1. > Die Autoren dürften in ihrer Jugend frei von
    > politischen Überlegungen gewesen sein

    Falsch geraten. Aber Sie dürfen noch zweimal.

    Herzlich,
    Tom Liehr

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  2. dann vielleicht eine Überdosis Politik genossen?

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  3. weder Überlegungen noch Aktivitäten, wie es scheint ;-)

    http://www.tomliehr.de/about.htm

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