Freitag, 7. November 2008
Das Lächeln der Henker
Anton Holzer
Das Lächeln der Henker
Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918
Darmstadt 2008 (Primus Verlag)
208 S.
Im Spectrum der Presse ist an letztem Wochenende ein Artikel des ehemaligen Direktors des Heeresgeschichtlichen Museums, Manfried Rauchensteiner, über das Ende des Ersten Weltkriegs aus österreichisch(-ungarisch)er Sicht erschienen (Die Villa des Senators Giusti, Die Presse, 31.10.2008, Spectrum, S.If.) wie es sie seit Jahrzehnten immer wieder gibt: die Tragik der Soldaten und der kriegsverlierenden Armee an der italienischen Front. Und schlußendlich der Kaiser, der "vergaß, jenen zu danken, die in seinem Namen und letztlich auch für ihn einen Weltkrieg durchlitten hatten. Auch die Republik Deutschösterreich fand kein Wort des öffentlichen Danks". Die Soldaten als die Opfer des Krieges.
In Rauchensteiners Opus magnum Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, dessen 700 Seiten ich vor eineinhalb Jahrzehnten noch als Schüler geradezu verschlungen habe, kommen Verbrechen österreichischer Soldaten praktisch nicht vor. Ich habe erst wieder nachschlagen müssen, um festzustellen, daß sogar ein Kapitel Im Schatten des Galgens heißt, wo ein Massaker an serbischer Zivilbevölkerung gleich im August 1914 erwähnt wird und Rauchensteiner schreibt, daß sich in Galizien "der als Abschreckung gedachte Terror" der k.u.k. Armee, also massenweise öffentliche Hinrichtungen von, hier hauptsächlich ukrainischen und jüdischen, Einheimischen als "Spione" und "Verräter", "auch gegen die eigene Bevölkerung" richtete. Im Bildteil findet sich auch ein (1) Foto einer solchen Massenhinrichtung (Bildtext: "Auf dem galizischen wie auf dem Balkankriegsschauplatz ging die Furcht vor Spionen um. Verdächtige, aber auch Unschuldige wurden zu Tausenden hingerichtet, wie hier irgendwo in Serbien.")
Die Verbrechen werden in diesem Standardwerk erwähnt, kurz und nur kursorisch im Vergleich zur detaillierten Schilderung des Kriegsverlaufs aus österreichisch(-ungarisch)er Sicht, aber eben doch. Und dennoch hat Holzer Recht, wenn er in seinem Buch über den unbekannten Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918 schreibt:
"Eine der zählebigsten Klischees über den Ersten Weltkrieg lautet: Es war ein Krieg, der vorwiegend an der Front geführt wurde und es handelte sich - trotz der gewaltigen Materialschlachten - vor allem um einen Krieg von Soldaten gegen Soldaten." Durch die eindrucksvollen Bilddokumente, die Holzer präsentiert und nachvollziehbar kommentiert, kommt man nicht umhin, seinen Schluß zu teilen: "Tatsächlich aber [...] richtete sich dieser Krieg mit ebenso großer Brutalität - wenn auch mit anderen Methoden und Waffen - mindestens ebenso gegen die Zivilbevölkerung. Diese systematische Ausweitung der Kampfzone ist bisher ein zu wenig beachtetes Kennzeichen des Ersten Weltkrieges."
Holzer nimmt hier ein Kapitel seines Vorgängerbuchs Die andere Front auf, in dem er die Wirkung und den Einsatz der Photographie zur Propaganda im Ersten Weltkrieg analysierte. Er präsentiert und kommentiert Bilder von zumeist außergerichtlichen Hinrichtungen von ZivilistInnen durch österreichisch-ungarische Soldaten, stellt sie in den historischen Kontext und zieht schließlich Schlußfolgerungen zur "Pornographie der Gewalt", von der Hinrichtung der Lincoln-MörderInnen 1865 bis zu Abu Ghraib 2004. Negativ sind nur ein manchmal etwas zu moralisierender Ton und die oftmaligen Wiederholungen von bestimmten Stellen ("als 1917 das Wiener Parlament wieder zusammentrat...").
Das Leiden der einfachen Soldaten ist mit Sicherheit unvorstellbar furchtbar, kritische Geschichtswissenschaft rückte es in den Vordergrund, dazu die wirtschaftliche Not, den Hunger der Millionen im ganzen Land, der den Untergang von Monarchie und Habsburgerreich zur Frage der Zeit machte. Holzer legt seinen Finger in eine klaffende Wunde, die bisher einfach nicht genügend berücksichtigt wurde: Zum Nationalismus, der die Grundfesten des Reichs nahe an den Einsturz gebracht hatte, kamen mit dem Weltkrieg nicht nur die tiefen sozialen Spannungen und die militärische Niederlage, sondern auch der Terror des Militärs - nicht "nur" in den militarisierten Industriebetrieben und in den besetzten Gebieten, sondern eben auch im eigenen Territorium. Die Monarchie wurde nicht mit dem Kondukt Kaiser Franz Josephs 1916 oder mit dem Scheitern der letzten Offensive in Italien 1918 zu Grabe getragen (und auch nicht mit dem Jännerstreik 1918), sie starb zu tausenden an den Galgen der k.u.k. Armee. Sie starb als gehenkter ruthenischer Pope und als erschossene serbische Frau.
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