Freitag, 29. Oktober 2010

Widerspruch 58



Widerspruch 58
Beiträge zu sozialistischer Politik
30. Jg. / 1. Halbjahr 2010
252 S.







Ein spannendes Heft zum Thema Steuergerechtigkeit.
Michael R. Krätke liefert eine bekannt fundamentale Kritik der Krise des Steuerstaats, als deren Ausdruck er etwa die Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sieht, die der Staat bei Strafe seiner Schwächung selbst eingeräumt habe. Er schreibt Um das Defizit im Staatshaushalt auf Null zu drücken, braucht es in keinem europäischen Land heute neue Steuergesetze oder formelle Steuererhöhungen. Es braucht auch keine gigantischen Sparprogramme. Die schlichte Anwendung und konsequente Durchsetzung der geltenden Steuergesetze gegenüber den Privilegierten würde völlig ausreichen.

Auch der Artikel von Bruno Gurtner über das Ausnutzen der steuerlichen Standortunterschiede durch konzerninterne Verrechnungspreise multinationaler Unternehmen bei der Minimierung ihrer Steuernleistung ist für den Laien durchaus lehrreich. Er nennt ein extremes, aber sehr plakatives Beispiel, hier importierten Multis Papiertaschentücher aus China in die USA für einen Kilopreis von über 4000 $, oder Fahrradpumpen aus Malaysia für 5000 $ pro Stück. Umgekehrt exportierten Multis aus den USA Gabelstapler nach Japan für 384 $ oder Autositze nach Belgien für 1.66 $ pro Sitz. Steuerbehörden ist das bewußt, sie können aber nur unzureichend reagieren.
Der Steuerwettlauf der Staaten nach unten läßt nur wenige profitieren und schädigt alle.

Freitag, 22. Oktober 2010

Sofia

21.10.2010

Ich hätte nicht gedacht, daß ich so bald wieder hierherkommen werde. Doch die Wege der Auslosung der UEFA sind unergründlich, führen einen quer durch Europa und manchmal auch zweimal an denselben Ort. Wieder führte ein Europacupspiel von Rapid in die bulgarische Hauptstadt, wie schon im Juli, als Sehenswürdigkeiten und Innenstadt eingehend besichtigt wurden. Daher stand diesmal weniger Sightseeing am Programm.

Dem Zentralbahnhof, dessen Fassade wenig gewinnende Ostblockarchitektur prägt, wurde durch das Vorspannen eines Zeltdachs ein geglückter architektonischer Akzent hinzugefügt.


Die meisten Wohnbauten der Stadt in den Außenbezirken wirken sanierungsbedürtig. Hier, an den Orten des Alltagslebens der Menschen, sieht man das Wohlstandsgefälle am eindrücklichsten. Impression vom Rozhen Boulevard.


Die 1494 fertiggestellte Bujuk-Moschee (Bujuk Dschamija) war in osmanischer Zeit (1392-1878) die größte Moschee der Stadt. Heute ist in ihr das Archäologische Nationalmuseum untergebracht.


Im Inneren des Museumsgebäudes ist noch klar die Architektur der einstigen Moschee zu erkennen. Die ausgestellte Sammlung reicht von steinzeitlichen Funden über antike Schmuckstücke bis hin zu frühneuzeitlicher christlicher Sakralkunst. Beeindruckend waren die Portraits aus römischer Zeit, Köpfe auf Grabsteinen und Stelen sowie von Statuen. Ihre ausdrucksreichen Gesichter sind hier aus nächster Nähe zu bewundern.


Mein eindeutiger Lieblingsplatz in Sofia ist der Platz vor dem Nationaltheater Ivan Vasov am Rand des Stadtgartens. Dieser Ort ist im Herbst genauso schön wie vor vier Monaten im Sommer.


Weiters wurde als weiteres Fußballstadion noch das Lokomotiv-Stadion besichtigt.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Blätter, Oktober 2010



Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 10/2010
128 S.







Mathias Lindenau bilanziert 100 Jahre Kibbuzbewegung in Israel als historisches utopisch-sozialistisches Projekt. Herausforderungen heute sind Überschuldung oder die Frage der Altersversorgung, da die Kinder der Aufbaugeneration heute die Kibbuzim verlassen und die Alten, die an das Fortbestehen ihres Gesellschaftsmodells im internen Generationenvertrag geglaubt hatten, in prekärer Situation zurückbleiben.
Er schreibt, sie waren ein historisches Phänomen, das nun keine entscheidene Bedeutung mehr für die israelische Gesellschaft besitzt. Gegenwärtig spricht alles dafür, dass der Kibbuz wieder zu dem wird, was er bei seiner Entstehung war: ein kommunitäres Projekt, das nur von den Menschen geteilt wird, die eine gemeinschaftliche der individuellen Lebensweise vorziehen, und zwar ohne jeden politischen Bedeutungsgehalt.

Dazu gibt es im Heft weiters noch Interessantes über den Sudan zu lesen sowie ein Szenario des kommenden Kriegs der Welten zwischen China und den USA im Südostpazifik, das John J. Mearsheimer zeichnet.

Montag, 11. Oktober 2010

Budapest

9.10.2010

Ein Tagesausflug in das nahe Budapest anläßlich des Besuchs eines Fußballspiels. Mit 1,8 Mio. Menschen etwas größer als Wien, ähneln sich die beiden Städte im Antlitz ihrer historischen Innenstädte doch sehr. Beiderseits stammt es zum Großteil aus der Zeit des dynamischen Wachstums in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bis 1914. Damals wuchs Budapest, 1873 aus dem Zusammenschluß der alten Stadt Buda (Ofen) rechts der Donau und der rasch wachsenden Großstadt Pest links der Donau entstanden, zur Metropole Ungarns.
Aufgrund der kurzen Zeit konnten nur einige Highlights besichtigt werden. Doch ich werde sicher wiederkommen. Es gibt hier noch viel zu sehen.

Das ungarische Parlament am Pester Donauufer, gesehen vom Batthány tér an der gegenüberliegenden Flußseite. In 17 Jahren (!) wurde 1885 bis 1902 das größte Parlamentsgebäude der Welt in neogotischem Stil errichtet, als Symbol der mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 erreichten autonomen Staatlichkeit.


Die Kettenbrücke (Széchenyi lánchid). 1842−1849 als erste wetterfeste Donauüberquerung zwischen Buda und Pest errichtet, zurückgehend auf eine Initiative des ungarischen Reformers István Széchenyi, der 1832 einen Brückenverein gegründet hatte.


Blick auf das Burgschloß (Budavári palota), vom Großen Rondell (Nagy rondella) aus, wo noch der alte Festungscharakter sichtbar ist. Die erste königliche Burg wurde hier im 13.Jh. errichtet. Bis zur osmanischen Eroberung Budas 1541 Sitz der ungarischen Könige, dann des türkischen Paschas. Nach der völligen Zerstörung bei der österreichischen Eroberung 1686 wurde der Komplex ab 1715 als weithin sichtbares habsburgisches Königsschloß wiedererrichtet und zum Sitz des Palatins, des habsburgischen Vizekönigs für Ungarn.


Von 1875 bis 1904 erfolgte die neobarocke Gestaltung des Burgschlosses, die sich hier im Hintergrund erhebt. Am Platz davor, am Szent György tér, sind Ausgrabungen zu sehen. Hier war das Stadtzentrum der alten Stadt Buda.


Die Fischerbastei (Halászbástya). 1899−1905 wurde dieser Teil der Befestigung in neoromanischem Stil gestaltet und dabei sehr, sehr tief in den Kitschtopf gegriffen. Es wirkt sehr unwirklich hier.


Dafür ist die Aussicht von der Fischerbastei über die Donau in Richtung Pest phänomenal.


In der Altstadt von Buda finden sich pittoreske Gassen mit Häusern aus dem 18.Jh. als die Stadt wiederaufgebaut wurde, nachdem sie bei der österreichischen Eroberung 1686 niedergebrannt wurde.


Am Pester Donauufer, unweit des Parlaments, ist das 2005 von Gyula Pauer und Can Togay errichtete Denkmal der Schuhe am Donauufer (Cipők a Duna-parton) zu sehen. Es erinnert an die vielen Budapester Jüdinnen und Juden, die hier im Winter 1944/45 von den ungarischen Faschisten, den Pfeilkreuzlern, zusammengetrieben, erschossen und in den Fluß geworfen wurden. Mitten in der Stadt.


Anders als in Wien fließt die Donau quer durch die Innenstadt. Blick vom Pester Donauufer nach Buda hinüber.


Die große Stephanskirche, die Szent István Bazilika. Der langwierige Bau dauerte von 1851 bis 1906, wobei vor allem die Kuppel zu schaffen machte, die während der Bauarbeiten auch einmal einstürzte.


Die Große Synagoge (Nagy zsinagóga, 1854−1859 erbaut) ist durchaus imposant, in ihrer Gestaltung in maurisch-byzantinischem Stil und den beiden Türmen. Nicht zuletzt diese Türme führten aufgrund ihrer Kirchenähnlichkeit damals aber zu heftigen Kontroversen in der jüdischen Gemeinde Budapests. 1869 spaltete sich eine orthodoxe Minderheitsrichtung von der reformorientierten Mehrheit ab. Eine dritte Gruppe spaltete sich als mittlere Status-quo-Gemeinde ab. Beide errichteten sie neue Synagogen.


Am Abend ist das Budapester Donauufer ein herrlicher Anblick, mit der Kettenbrücke und dem hoch über der Donau thronenden Burgschloß effektvoll beleuchtet.


Weiters wurden noch das große Ferenc-Puskás-Stadion und das Stadion von BKV Előre SC besucht.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Blätter, September 2010



Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 9/2010
128 S.








Sehr streitbar ist der Artikel des FAZ-Feuilletonressortleiters Patrick Bahners, der in seiner Kritik der Islamkritik der unsäglichen Marke Broder und Giordano von Fanatismus der Aufklärung spricht. Er schreibt: Das Politische im politischen Diskurs, den die Islamkritik betreibt, bezeichnet den Bezug auf diesen Endkampf zwischen Aufklärung und Finsternis. Unerwünscht ist das Politische im zivilgesellschaftlichen Sinne des Erkundens von Zwischenlösungen, Spielräumen und Arrangements auf Zeit. Eine überzeugende Philippika.

Dazu gibt es noch Interessantes über Walter Benjamin sowie die chinesische Außenpolitik im Heft zu lesen.