Freitag, 3. April 2009

Die Ära Kreisky und ihre Folgen



Wolfgang Maderthaner / Siegfried Mattl / Lutz Musner / Otto Penz
Die Ära Kreisky und ihre Folgen
Fordismus und Postfordismus in Österreich
M.e.Vorw.v. Hannes Androsch
Wien 2007 (Löcker)
211 S.






Das Buch ist keine eigentliche historische Darstellung der sozialdemokratischen Regierungszeit unter Bundeskanzler Kreisky 1970-1983, sondern ein theoretische Verortung derselben.
"Man wird die Kreiskysche Moderne und die in ihr angelegten politischen und kulturellen Potenziale einer kritischen Analyse allerdings nur dann unterziehen können, wenn man ihre Logik in den Kontext tendenziell global wirksamer Regimes ökonomischer Regulation stellt, also die österreichische Kultur der 1970er Jahre im Zusammenhang mit einer lokalen Ausprägung eines international bestimmten Fordismus/Keynesianismus zu verstehen und darin den Begriff des Politischen zu verorten versucht." schreiben Wolfgang Maderthaner und Lutz Musner.

Das Spezifische am österreichischen Fordismus (industrielle Massenproduktion von Konsumgütern, Massenkonsum dieser durch die Mittelklasse und aufsteigende Facharbeiterhaushalte, Vollbeschäftigungspolitik und Sozialstaat, Sozialpartnerschaft etc.) seien weniger diese Merkmale, sondern, daß er erst nach der Wirtschaftskrise 1973/74 seine Blüte erreichte. Maderthaner und Musner interpretieren die 70er Jahre als "nachholende wirtschaftliche Modernisierung", korrelierend mit einem "gesellschaftlichen Reformschub", von dem sie "ihre politisch-kulturelle Legitimation" erhält. "Die damit bewirkte kontingente Engführung von Wirtschaft, Politik und Kultur verdichtet sich zu einer Konstellation, die - international beachtet - als 'österreichischer Weg' für ein Jahrzehnt hegemonialen Status erreicht." Repräsentiert durch Bruno Kreisky als Person, der nicht nur "die Neumodellierung des Politikers als Medienikone, sondern auch eine außergewöhnliche und eigentümliche Mischung von Geschichte, Gedächtnis und Gegenwartspolitik" darstellte.
Postfordismus heißt in Österreich dann Absatzkrise für klassische Industriegüter und Hinwendung zu Hochtechnologie und Dienstleistungen, Rationalisierung und Flexibilisierung, Rücknahme sozialstaatlicher Regelungen, Schwächung von Gewerkschaft und Sozialpartnerschaft, Sockelarbeitslosigkeit statt Vollbeschäftigung, Transnationalisierung der Wirtschaft durch Verkauf von Unternehmen ans Ausland und Vorbereitung des EU-Beitritts etc. Spezifisch an der österreichischen Situation sei hier wiederum die die "diskursive, d.h. politische Konstellation": Denn während dies international unter "konservative Revolution" und Neoliberalismus lief, geschieht dies in Österreich durch eine Rückkehr zur Großen Koalition.
Weiters kontextualisieren Maderthaner und Musner hierin die Kritik von Josef Haslinger oder Robert Menasse an der österreichischen Politik und Gesellschaft Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre.

Sehr wichtig ist auch ihr Hinweis, daß die Sozialpartnerschaft "als spezifisch österreichische Kultur eines fordistischen Produktionsregimes" der 60er und 70er Jahre "- topographisch gesehen - überwiegend eine Sache weniger Industrieregionen und wirtschaftlich potenter (Klein)Städte" war und "keine Sache der agrarisch und alpin bestimmten Regionen Österreichs", wo "nach wie vor eine weitgehend ständisch bzw. hierarchisch organisierte Gesellschaft" vorherrschte.
"In der Provinz gab es nämlich - im Gegensatz zu den Städten und Industrieregionen - keine tradierte Kultur des Industrialismus, an die der Fordismus als kulturelle Formation hätte anschließen können. Somit blieben seine Veränderungspotentiale auf den ökonomischen Sektor (Landwirtschaft, Industrialisierung der Lebensmittelproduktion, agrarische Infrastruktur) und teilweise den sozialen Sektor (Familienstrukturen) beschränkt. Die tradierte Kultur der Provinz, ihr spezifisches Amalgam von Religion, kleinteiligen Lebenswelten, Autoritätsgläubigkeit und weltanschaulichem Konservatismus befand sich zwar im Wandel und in der Wertekonkurrenz, wurde aber nicht durch eine Kultur ersetzt, die mit den neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen korrespondierte."

Gegenüber der Wucht des Texts von Maderthaner und Musner stehen die weiteren Beiträge des Bandes etwas zurück. Sie haben aber auch eher die Aufgabe, die eingangs aufgestellten Thesen zu untermauern. So schreibt Otto Penz hierzu zur ökonomischen bzw. wirtschaftspolitischen Dimension der Kreisky-Zeit und Siegfried Mattl über Kunst, Kultur und Kulturpolitik.
Persönlich interessant, aber kontextlos schließen das Buch zwei Interviews mit Johanna Dohnal und Erwin Lanc ab. Leider wurde bei letzteren nicht vermerkt, wer diese Gespräche führte (und wann und wo).

Ein spannendes Buch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen