Freitag, 31. Dezember 2010

Prokla 159



PROKLA 159
Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft
40.Jg., Nr.2, Juni 2010
154 S.







Im der Auseinandersetzung mit Marx gewidmeten Heft blieb ich insbesondere bei dem Artikel Marx und die politische Philosophie der Gegenwart von Urs Marti hängen. Er beschäftigt sich mit der, in der akademischen Philosophie verneinten, Frage, ob der Marxismus eine politische Philosophie ist. Angegangen wird die Frage anhand der Begriffe von Liberalismus und Moderne, Staat, Recht, Gerechtigkeit, Freiheit und Politik und im Vergleich mit politischen Philosophen. Spannend dabei, daß die Frage der Gerechtigkeit des Kapitalismus, die heute so stark bewegt, bei Marx keine Rolle spielt. Im Zentrum stehen hier bei ihm vielmehr die Themen der Freiheit und Selbstbestimmung gegen die Unterdrückung durch das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Was hingegen den Begriff der Gerechtigkeit betrifft, so teilt Marx, anders als Rawls, mit Hobbes die Ansicht, dass er nichts weiteres bezeichnet als die Einhaltung der Regeln einer bestehenden Rechtsordnung, wobei in seiner Sicht diese Ordnung geprägt wird durch die Produktionsweise. schreibt Marti. Mit Marx für Freiheit und gegen Gerechtigkeit, das wäre eine erfrischende linke Parole.

Montag, 27. Dezember 2010

Europäische Rundschau 2010/3




Europäische Rundschau
3/2010
137 S.







Lesenswert ist Raimund Löws Analyse der verfahrenen innenpolitischen Situation in Belgien, über die schwere Erschütterung des Gesamtstaats und das politische und gesellschaftliche Auseinanderdriften von Flandern und Wallonie. Die Auseinandersetzung um die Verwendung der französischen Sprache im zu Flandern gehörenden Gerichtsbezirk Brüssels erinnert an die erbittert geführten Sprachenstreite in der Endphase der Habsburgermonarchie, etwa um die Unterrichtssprache an einer Schule in Celje/Cilli.
Interessant auch der Artikel von Klaus Schrameyer über das schwierige Verhältnis der bulgarischen Politik zur im 20. Jahrhundert entwickelten Identität des nunmehrigen Nachbarstaats Mazedonien.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Arbeit und Wirtschaft, 3/2010 und 4/2010

Arbeit & Wirtschaft
Nr.3/2010
46 S.


Arbeit & Wirtschaft
Nr.4/2010
46 S.




In der März-Ausgabe der Zeitschrift gibt es einige Artikel aus dem Beginn der Budget- und steuerpolitischen Debatte, die gerade mit einigem zeitlichen Abstand in der aktuellen tagespolitischen Lage zur Reflexion interessant sind. Nachdenklich stimmt Ruth Bauers Artikel, in dem sie u.a. die moralische Berechtigung infragestellt, Fair-Trade-Artikel in hiesigen Supermärkten zu verkaufen und zu kaufen, wo die Arbeitsbedingungen in diesen doch bekanntermaßen oftmals dem Grundgedanken zuwiderlaufen. Es ist nicht alles fair, was glänzt. schreibt sie. Ein paar berechtigte Einwände. Ich kauf's trotzdem.

Petra Völkerer und Sibylle Pirklbauer beschäftigen sich im April-Heft mit den Neuen Dienstbotinnen in Haushalten der oberen Mittelschicht. Die Belastung mit Jobs, Haushalt und Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen in Kombination mit verankerten Rollenbildern führt dazu, dass unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit nicht zwischen Frauen und Männern umverteilt, sondern von einheimischen Frauen zu migrantischen Frauen verlagert wird. ... So entsteht eine Zweiklassengesellschaft innerhalb der Frauen, die Geschlechterordnung zwischen Mann und Frau bleibt hingegen unangetastet. #fail

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Istanbul

14./15.12.2010

Zwei Tage in Istanbul anläßlich eines Europacupspiels von Rapid sind viel zu kurz, um diese Riesenstadt mit ihrer zweieinhalbtausend Jahre umfassenden Geschichte wirklich zu erkunden. Die Stadt wuchs von der um 660 v.u.Z. gegründeten kleinen Handelsstadt Byzanz auf der, in den Bosporus hineinragenden, Landzunge zwischen dem Marmarameer und dem Goldenen Horn zur oströmischen Hauptstadt und Metropole des Byzantinischen Reichs unter dem Namen Konstantinopel (ab 330 u.Z.), umfaßte im 5.Jh. auch das Gebiet auf der gegenüberliegenden Seite des Goldenen Horns und war als Zentrum des Osmanischen Reichs ab 1453 schließlich die einzige Hauptstadt der Welt, die sich auf zwei Kontinente, Europa und Asien, erstreckte. Konstantinopel bzw. Kostantiniyye hießt die Stadt übrigens eigentlich bis 1930, wenngleich sie damals schon Jahrhunderte Istanbul genannt wurde. Der Ursprung des Namens Istanbul, vom griechischen εἰς τὴν πόλιν (in die Stadt), war eine Frage bei meiner Matura (mündlich, in Altgriechisch).
Ungefähr 13 bis 15 Millionen Menschen leben hier heute (genau kann das niemand sagen).

Blick auf die Landmauer, die unter dem byzantinischen Kaiser Theodosius II. (408−450) über eine Länge von 5,7 km auf der Inlandseite der Stadt errichtet wurde. Auf der Meeresseite wurde sie um die Seemauer ergänzt. Viele Reste der Mauern sind noch in der Stadt zu sehen, teils in Stand gehalten wie hier und teils verfallen, aber immer noch beachtlich intakt.


Zur Wasserversorgung der Stadt wurden in der Antike neben zahlreichen Zisternen in der römischen Zeit auch Wasserleitungen errichtet. Heute noch zu sehen ist ein imposanter Teil des Aquädukts der unter Kaiser Valens (364−378) erbauten Leitung.


Die blaue Moschee in der Abenddämmerung. 1617 wurde der von Mehmet Ağa geplante Bau unter Sultan Ahmet I. eingeweiht.


Im Vorhof der blauen Moschee (Sultan Ahmed Camii bzw. Ahmediye). Die Moschee steht gegenüber der tausend Jahre älteren Hagia Sophia an einem prominenten Platz. Diese zu übertreffen war ihr Maßstab.


Das Innere der blauen Moschee war ursprünglich mit 21.000 Fliesen mit blau-grünen Fayencen ausgeschmückt. Große Flächen, wo die Fliesen im Lauf der Jahrhunderte abgefallen waren, wurden im 19.Jh. nachgemalt.


An der alten Akropolis der antiken Stadt, anschließend an den Bereich der byzantinischen Kaiserpaläste, lag das Hippodrom, die 203 u.Z. errichtete und unter Kaiser Konstantin (306−337) erweiterte elliptische Pferderennbahn. Der Platz At Meydanı läßt das Ausmaß der Anlage auch heute noch gut nachvollziehen. Der ägyptische Obelisk im Vordergrund wurde 390 u.Z. in der Mitte der Bahn aufgestellt (der im 15 Jh.v.u.Z. angefertigte Stein wurde aus dem Amun-Tempel in Karnak/Theben geholt). Der eingerüstete gemauerte Obelisk im Hintergrund stammt aus spätrömischer Zeit.


Auf den Tribünen des Hippodroms fanden einst 100.000 Menschen Platz. An der Südseite sind noch die Mauern der Ränge erhalten. Man sieht noch die Bögen, die einst die Aufgänge und Tribünen trugen und unter denen Geschäfte und Standeln die Leute versorgten.


Die Hagia Sophia in stimmungsvoller abendlicher Beleuchtung.


Die Hohe Pforte (Bâb-i Ali), der Eingang zum einstigen Amtssitz des Großwesirs, der für den Sultan die Amtsgeschäfte führte. Die Hohe Pforte wurde so schließlich im Westen zum Synonym für die Politik des Osmanischen Reichs. Die heutige Gestalt des Tors stammt aus dem 19.Jh.


Der Galata-Turm (Galata Kulesi), das weithin sichtbare Wahrzeichen Galatas, des Stadtteils jenseits des Goldenen Horns. Der 1348 erbaute Turm gehörte zur Befestigungsanlage der Genueser Handelskolonie, die sich hier ein lukratives Standbein erworben hatte und dieses auch militärisch sicherte. 1204 war Konstantinopel vom Ritterheer des 4. Kreuzzugs erobert und geplündert worden, das byzantinische Reich wurde für ein halbes Jahrhundert zerschlagen. Angeführt wurde dieses Unternehmen vom venezianischen Dogen Henrico Dandolo (er ist in der Hagia Sophia begraben), der damit die Geschäftsbeziehungen der Konkurrenz aus Genua empfindlich störte. 1261 wurde Konstantinopel von einem byzantinischen Heer mit Genueser Unterstützung zurückerobert und Galata dafür Genua als Stützpunkt überlassen. Als Folge des Konflikts zwischen Venedig und Genua blieb Byzanz langfristig geschwächt und die türkische Eroberung 1453 war schließlich nur mehr eine Frage der Zeit. In osmanischer Zeit war der Turm Gefängnis, Observatorium und schließlich Feuerwachturm.


Das 1928 erbaute Denkmal der Republik (Cumhuriyet Abidesi) am Taksim-Platz, es zeigt den türkischen Republiksgründer Mustafa Kemal Pascha, genannt Atatürk, und an seiner Seite u.a. seinen General İsmet İnönü.


Aus der Einkaufsstraße İstiklal Caddesi kam mit einer zur Bühne umgebauten Tramway-Garnitur eine Band auf den Taksim-Platz und spielte dort türkischen Rock. Keine Ahnung warum und weshalb, aber nett war es.


Der Dolmabahçe Sarayı. Im nach dem Vorbild westlicher Schloßarchitektur errichteten Palast residierten die Sultane von 1853 bis zum Ende des Osmanischen Reichs und der Gründung der Türkischen Republik 1923. 1938 starb hier Atatürk.


Die Hagia Sophia, das beeindruckenste Gebäude der Stadt. Vor eintausendvierhundertunddreiundsiebzig Jahren, am 26. Dezember Jahr 537 wurde sie als der heiligen Weisheit gewidmete Kirche eingeweiht. Nach 1453 wurde sie zur Moschee umgewandelt und die Minarette hinzugefügt. Seit 1934 ist das Gebäude ein Museum.


Blick im Inneren der Hagia Sophia in Richtung der 56 Meter über dem Boden gewölbten Kuppel.


Die Gestalt der Hagia Sophia wurde durch die Umwandlung zur Moschee praktisch nicht verändert, hinzugefügt wurden (neben einer Sultansloge) Kultgegenstände in der Innenausstattung, etwa die hier zu sehende Minbar aus dem 16.Jh.
Die acht an den Wänden hängenden Schilde stammen aus dem 19.Jh., als sie Vorgänger aus dem 17.Jh. ersetzten. Sie nennen die Namen von Allah, Mohammed und Kalifen.


In der Galerie finden sich noch einige wenige der byzantinischen Mosaike (viele wurden etwa 1894 bei einem Erdbeben zerstört). Dieses Mosaik zeigt die Kaiserin Zoë (geb. 980, gest. 1050) und ihren dritten Ehemann, Kaiser Konstantin IX. (reg. 1042-1055). Nach jeder Eheschließung Zoës wurde der Kopf des Kaisers rechts der Jesusfigur und sein Name neu gelegt. Auch das Bild Zoës wurde verändert, 1042 versuchte ihr Neffe Michael auf den Thron zu kommen und verbannte sie für kurze Zeit.


Blick von der Galerie in den Hauptraum (Naos) der Hagia Sophia. Man kann es nicht glauben, wie alt dieses Gebäude angesichts seiner Größe ist. Umwerfend.


Bâb-i Hümayun (Tor des Reiches), das Eingangstor zur weitläufigen Anlage des Topkapı Sarayı, der Residenz der osmanischen Sultane von 1541 bis 1853.


Topkapı Sarayı, Kubbe Altı, der Ratssaal, in dem der Großwesir einst die Versammlungen des Divans, des Staatsrates, leitete. Der Lehrer zeigt seiner Schulklasse hier das vergitterte Fenster oberhalb des Sitzes des Großwesirs, hinter dem der Sultan unbemerkt zuhören und zusehen konnte.


Die Palastanlage des Topkapı Sarayı bestand in alttürkischer Tradition ursprünglich aus offenen hölzernen Pavillions, die nach Großbränden 1574 und 1665 schließlich in Stein gebaut wurden. Hier links die Pavillions des Audienzssaals (Arz Odası) aus der Zeit Sultan Selims I. (1512−1520) und rechts die Bibliothek Ahmed III. aus dem Jahr 1718.


Blick vom Topkapı-Palast auf den Bosporus. Es herrscht reger Schiffsverkehr. Auf der gegenüberliegenden Seite der asiatische Teil Istanbuls.


Blick von der Bosporusfähre über das Goldene Horn Richtung Galata. Links erhebt sich der Galata-Turm über die Häuser.


Blick von der Bosporusfähre auf blaue Moschee links und Hagia Sophia rechts.


Im asiatischen Teil Istanbuls wurde ein weiteres Fußballspiel besucht.

Freitag, 10. Dezember 2010

Blätter, Dezember 2010



Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 12/2010
128 S.







Historisch spannend ist in dieser Ausgabe die tour d'horizon durch christliche Kirchengeschichte und Philosophie über die Geschichte der Gier des Theologen Christoph Fleischmann. Er schreibt vom gerechten Preis in der Gedankenwelt des Mittelalters und über Martin Luther. Interessant ein aktueller Seitenhieb anläßlich des Augsburger Stadtschreibers Conrad Peuntinger. Dieser agierte zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach heutigen Maßstäben als Lobbyist für die damals mächtigen Augsburger Handelshäuser und schrieb Gutachten, die in der späteren Literatur als die Anfänge der deutschen Wirtschaftswissenschaften gefeiert würden, was Fleischmann zur Bemerkung veranlaßt: Die Geburt der Wirtschaftswissenschaft aus dem Geist des Unternehmer-Lobbyismus − das wäre eine reizvole These, der man einmal genauer nachgehen könnte.

Einem historisch interessierten Kreis bekannt ist Peutinger ja vor allem aufgrund der nach ihm bekannten Tabula Peuntingeriana, einer faszinierenden spätantiken Straßenkarte des römischen Reichs, die in der Österreichischen Nationalbibliothek liegt.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Datum 12/10-1/2011



Datum
12/10-1/2011
114 S.







Einige bemerkenswerte Artikel enthält das Dezember/Jänner-Heft.
In der Titelgeschichte schreiben Georg Eckelsberger und Florian Skrabal über Mißbrauchsfälle und deren Vertuschung im System der Kindererziehungsorganisation Pro Juventute. Unklar blieb mir mir, was das Spiel Tierarzt & Wolf sein soll. Einfach ein Kinderspiel, das ich aufgrund meines vorgerückten Alters nicht kenne? Ein Codewort für irgendetwas? Die Frage bleibt im Text unbeantwortet.
Rainer Nowak liefert ein hervorragendes Portrait Erwin Prölls ab, das allein schon den Kauf des Hefts rechtfertigen würde.
Benedikt Narodoslawsky thematisiert vorsichtig den politischen Ansatz Michael Spindeleggers, sich als Außenminister möglichst wenig um Außenpolitik zu kümmern, weil man damit nicht derart politisch reüssieren kann, wie er wohl will.
Petra Ramsauers Artikel über das Leid durch die im Kongo als Mittel der Kriegführung eingesetzten Massenvergewaltigungen bedrückt und macht wütend.
Nach dem leichenfledderischen medialen Overkill über den Selbstmord Robert Enkes vor einem Jahr wollte ich darüber eigentlich nichts mehr lesen. Ines Geipels Annäherung an seine Person konnte ich jetzt wieder lesen.
Dazu gibt es im Heft noch Einblicke in mir fremde, dunkle Bereiche menschlichen Lebens, von Leuten, die sich mit Maronibraten, Bier oder Fingernägeln beschäftigen.
Ein sehr gutes Heft.