Donnerstag, 28. Mai 2009

Blätter, Mai 2009



Blätter für deutsche und internationale Politik
Heft 5/2009
128 S.








Zum 60-jährigen Jubiläum des deutschen Grundgesetzes gibt es drei interessante Artikel. Hans Karl Rupp berichtet über den antifaschistischen Impetus und dessen antikommunistischer bzw. antitotalitärer Interpretation im Kalten Krieg. Ines Reich-Hilweg über die Entstehungsgeschichte der Gleichberechtigungsparagraphen und die Diskussionen um gleichen Lohn für gleiche Arbeit im Parlamentarischen Rat, der die Verfassung ausarbeitete. Otmar Jung sieht das Fehlen von Volksabstimmungen als Defizit und beleuchtet, daß es historisch falsch ist, dies als damalige Schlußfolgerung der Weimarer Republik zu sehen: "Die negativen 'Erfahrungen' mit Volksbegehren und Volksentscheid als angebliche historische Lehre bestanden nicht bei der Schaffung des Grundgesetzes, sondern entstanden ein Jahrzehnt später während des erbitterten Streits um die Wiederbewaffnung und vor allem die atomare Ausrüstung der Bundeswehr. Sie waren eine geschichtspolitische Konstruktion und erstklassige Waffe in der tagespolitischen Auseinandersetzung."

Spannende historische politischen Diskussionen und sehr Informatives zum Werden des politischen Systems in Deutschland.

Freitag, 22. Mai 2009

A Woman A Man Walked By



PJ Harvey & John Parish
A Woman A Man Walked By
2009





Ich mag ihre Stimme. Es gibt so viele Stücke von PJ Harvey, die mich begeistern. Da kann ich auch gerne Experimentelleres hören.

Die CD ist noch frisch, aber nach den ersten Malen Anhören ist sie selbst mir um eine Spur zu verdreht. Ihre Texte doch eher düster. Musikalisch am besten gefällt mir relativ einfallslos die poppigste Nummer des Albums, Black Hearted Love. Da gab es aber auch schon Besseres.
Ich freu mich dann doch eher auf das nächste Soloalbum. Ich will leidenschaftlichen, vollen Gesang zu rhythmischen E-Gitarren-Klängen hören, wenn ich an PJ Harvey denke. I Think I'm a Mother haut mich ja immer noch jedesmal mit irrsinniger Wucht um, wenn ich es höre.

Dafür ist Leaving California ein unerwarteter und ungewöhnlicher Ohrwurm. Ihre Stimme gefällt mir dabei eigentlich gar nicht, die Musik ist sehr reduziert. Das gequälte "California" setzt sich aber einfach fest.

Mittwoch, 13. Mai 2009

Lost in Translation



Lost in Translation
USA/Japan 2003
Regie: Sofia Coppola
u.a. mit: Bill Murray, Scarlett Johansson








Ruhig und entspannt, mit Witz. Es ist einfach ein schöner Film. Damals im Kino gesehen, seither nicht mehr, aber beim Wiedersehen wieder gleich für sehr nett befunden.

Den gequälten Gesichtsausdruck kann Bill Murray wirklich sehr gut. Verlorensein, Arbeitsleid, Sehnsucht: einfach gut, wie herrlich das - mit Japan als Chiffre für das Leben - dargestellt wird. Mit gutem Ende.

Montag, 11. Mai 2009

Datum 5/09



Datum
5/09
98 S.







Absurditäten sind die auffälligsten Geschichten dieses Hefts.

Quasi antizyklisch zur Wirtschaftskrise berichtet Clemens Marschall von degoutanten Vergnügungen russischer Milliardäre, die für viel Geld "spielerisch" für kurze Zeit als Kick "echte Menschen" spielen. Helmut Spudich erzählt von den "guten Milliardären" von Bill Gates abwärts, die so viel Geld haben, daß sie nichts mehr damit anzufangen wissen, weil die x-te Jacht auch schon fad ist und philanthropische Projekte finanzieren. Absurd das System, das den Ansatz "bewundert mich, ich helfe den armen Hascherln" als "gut" bewerten kann anstatt die Verteilungsfrage zu stellen.

Sonst noch interessant zu lesen ist Thomas Treschers Portrait eines Staatenlosen, der mittlerweile im 7. Lebensjahrzehnt "gefangen" in der Bürokratie lebt. Als straffällig Gewordener ist der seit seinem 2. Lebensmonat in Österreich Lebende mit Aufenthaltsverbot verhängt, kann mangels Staatsbürgerschaft nirgendwohin abgeschoben werden, bekommt aber auch keinen Ausweis, keinen legalen Job, keine Versicherung etc. Die Absurdität der "Fremdenrechts"-Bürokratie.

Freitag, 8. Mai 2009

"Auch schon eine Vergangenheit"




Ulrike Felber (Hg.)
"Auch schon eine Vergangenheit"
Gefängnistagebuch und Korrespondenzen von Bruno Kreisky
Wien 2009 (Mandelbaum Verlag)
162 S.







Das Buch versammelt viel biographisches Material zur Jugend von Bruno Kreisky. Ulrike Felber präsentiert interessante Dokumente wie Briefe Kreiskys an eine deutsche Sozialdemokratin vor 1934, in denen er die politische Entwicklung in den letzten Jahren der Republik kommentiert, sein in austrofaschistischer Haft geschriebenes Gefängnistagebuch, Kassiber an Mithäftlinge und Briefe aus der Haft an einen Freund und an seine Eltern. Eingebettet in umfangreiche Hintergrundinformationen zum historischen und biographischen Kontext.

Es krampft einen zusammen, wenn man Kreiskys Tagebuchnotiz liest, wie der damals 24-Jährige aufgrund seines "Verbrechens" sozialdemokratischer politischer Aktivität 1935 verhaftet wurde:
"Trotzdem war ich heiter u[nd] recht guter Dinge. Wie ich jedoch hinter mir die erste Gittertür ins Schloß fallen hörte, gab es mir einen leichten Riß. Man begibt sich in eine Höhle, um den Ausgang besser zu finden, rollt man einen Faden ab, der reißt plötzl[ich] irgendwo. Man wird schon hinausfinden, denkt man beruhigend nach dem ersten Schrecken, dann merkt man, daß die Höhle viele Gänge hat. Man findet doch nicht sobald hinaus wie man dachte."

Nichts kann das Erleben, ins Gefängnis geworfen zu werden, nachvollziehbarer machen als wenn Bruno Kreisky, den die Politjustiz mit seinen Mitverhafteteten monatelang ohne Anklage "dunsten" ließ, verzweifelt schreibt: "Warum habe ich schon 14 Tage keinen Brief v[on] R. bekommen? Das beunruhigt mich. Ist irgendetwas geschehen? Wissen die draußen denn nicht, wie man auf ein paar Zeilen wartet?"

Wie viele andere SozialdemokratInnen in der Geschichte vor ihm, wie auch schon Victor Adler im Gefängnis der Monarchie oder August Bebel in Deutschland, nützte Kreisky die Zeit als "Haftuniversität", in der er - so systematisch wie es ihm möglich war - greifbare historische und politische Literatur studierte, von 6 Uhr morgens von 6 Uhr abends, wie er berichtet. Wenn der spätere Politiker aus schier unerschöpflichem Fundus an theoretischem und historischem Wissen schöpfte, lag hier die Grundlage.

Ein sehr verdienstvolles Buch, das einem mit seinen Dokumenten sehr stark den Mensch Kreisky in seinen prägenden Erfahrungen als junger Mann näher bringt.